Indianer und King Kong
Italienische Oper trifft auf Westernfilm: "Der Liebestrank" feierte Premiere an der Oper Leipzig.
An der Kulisse von Bank, Saloon, Sheriffstation und Silbermine rollt ein Steppenläufer vorbei. Freizügig gekleidete, gefiederte Saloondamen umgarnen Cowboys. Gangster in gestreiften Sträflingsanzügen werden abgeführt, ein Indianer steht in der Ecke.
Das ist die Szene, die sich dem Premierenpublikum des 1832 uraufgeführten „Liebestranks“ von Gaetano Donizetti am 14. September in der Oper Leipzig bietet. Nach einer Festspielaufführung steht die Inszenierung Rolando Villazóns, selbst fernsehbekannter Tenor, in Leipzig nun zum ersten Mal auf dem Spielplan eines Opernhauses. Die Szenerie auf der Bühne ist ihrerseits nur Filmset: Das Publikum wird Zeuge eines Westerndrehs, inklusive Ritt auf dem Schaukelpferd vor einer Kurbelleinwand. Villazón habe die Handlung von „L’elisir d’amore“ nicht einfach in den „Wilden Westen“ packen wollen – zu unoriginell – stattdessen spielt die in Felice Romanis Libretto in einem italienischen Dorf verortete komische Oper nun teils vor und teils hinter der Kamera.
Dort dreht sich zunächst alles um die von Bianca Tognocchi sehr verführerisch gesungene, schöne Adina – Hauptfigur des Westerns und umworbene Schauspielerin. Vor allem Nemorino (Piotr Buszewski), der „kleine Niemand“, ein tollpatschiger Statist, stalkt sie regelrecht, erfährt aber Abweisung. Ihm bleibt nur die fixe Idee, seine Angebetete mit einem Liebestrank zu gewinnen. Als sie vor der Kamera von Sergeant Belcore (Jonathan Michie) drehbuchgemäß und schmierig umworben wird, gärt Eifersucht in Nemorino. Der hoffnungslos Verliebte kauft vom Händler Dulcamara (Sejong Chang), der in der nächsten Filmszene die Westernstadt besucht und in beeindruckender Sprechgeschwindigkeit Wundermittel feilbietet, ein solches Elixier gegen echtes Geld.
Vom „Liebestrank“, schnödem Bourbon, wird Nemorino zwar selbstbewusster, doch Adina nicht verliebter. Um eine zweite Dosis des Tranks bezahlen zu können, verkauft er sich an Belcore, obwohl der einen Sergeant eigentlich nur spielt, als Soldat. Die zweite Portion beginnt zu „wirken“, nachdem eine große Erbschaft Nemorinos bekannt wird – alle weiblichen Personen am Set steigen ihm nach. Das Interesse der anderen Frauen weckt Adinas Gefühle für Nemorino. In „Una furtiva lagrima“, besingt er diese glückliche Wendung; eine Arie, die es tatsächlich schafft mitzureißen, voller Sehnsucht und Sentimentalität steckt und die Bezeichnung der Oper als „melodramma“ erklärt.
Anders der Großteil der vorhergehenden fröhlichen, geradezu süßen Melodien, mit denen das Gewandhausorchester unter Leitung von Giedré Šlekyté, die unter anderem an der Leipziger Hochschule für Musik und Theater studierte, zum unwillkürlichen Mitwippen verleitet. Währenddessen wimmelt es auf der Bühne von Eindrücken und Anspielungen. Plötzlich läuft King Kong durchs Bild, eine Torte fliegt in ein Gesicht oder die gestreiften Banditen lassen in der Mine eine Bombe hochgehen. Die Grenzen zwischen Filmdreh und Wirklichkeit verwischen. Donizettis Musik wird mal von ein paar Takten „La Cucaracha“, mal von „The Entertainer“ eingeleitet. Die Saloondamen, inklusive King Kong, tanzen, cancan-artig ihre Röcke werfend, bis sie sich umdrehen und dem Publikum für einen sehr langen Augenblick ihre Schlüpfer zeigen. Das wirkt nicht überzeichnet genug, um als Kritik an sexistischen Darstellungen durchgehen zu können.
Vielmehr werden fortwährend Klischees reproduziert. Jugend und Attraktivität symbolisieren Dirndl-Dekolletés. Frauen fallen Belcore, der ständig seinen langen Säbel durch die Gegend schlenkert, willenlos um den Hals – vielleicht der Versuch einer Huldigung an Donizettis Beinamen „Maestro orgasmo“? Ein nicht minder unwohles Gefühl bewirkt die Darstellung nordamerikanischer Ureinwohner mit Federschmuck: einer ab und an „Howgh“ rufend, sonst starr herumstehend, der andere als durchtriebener Händler Dulcamara. Villazóns Inszenierung könnte eine unterhaltsame und witzige Hommage an den Western-Film und das alte Hollywood sein. Doch ohne Reflektion und das Aufbrechen von Stereotypen ist ein schaler Beigeschmack unvermeidlich. Noch bis April steht die Oper, in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln, auf dem Spielplan.
Fotos: Kirsten Nijhof
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.