Reisereihe: UK-Abschiedstour
Redakteur Dennis unternahm eine Reise durch ein gespaltenes Land, dessen Regierung am 31. Oktober aus der EU austreten will und keinen Plan hat, was danach eigentlich passiert.
Schon auf dem Flughafen der schottischen Hauptstadt Edinburgh begrüßte mich das Klischeewetter. Generell scheint es in letzter Zeit eine größere dunkle Wolke über der Atlantikinsel zu geben, metaphorisch gesprochen. Zuerst der Schock über das Brexit-Votum, dann die unwürdige Muppetshow um Theresa May und schließlich der politische Amoklauf des vermeintlichen Politclowns Boris Johnson. Keine leichte Bürde also, einen britischen Pass zu haben. Doch über das Thema hatte ich mich schon zu Genüge auf Twitter aufgeregt und nun wollte ich eigentlich meinen zweiwöchigen Roadtrip durch das Vereinigte Königreich genießen.
Das erste, was ich über Edinburgh lernte: Es ist verdammt schwer, einen Parkplatz zu finden, zumal das Gekurve zwischen den Steinfassaden über den Bergrücken, auf dem sich die Altstadt niedergelassen hat, auch nicht gerade die angenehmste Disziplin war. Ist der Mietwagen aber erstmal verstaut, konnte man sich bei der Besichtigung der Universität, des Castles oder der Royal Mile die Zeit gut vertreiben. Und der karge Felsen mitten in der Stadt, namens King Arthur’s Seat, ist genau der richtige Ort für eine heftige Regendusche.
Berg- und Talfahrt
Nach dem Städtetrip war es Zeit für Natur. Es ging also Richtung Norden in die Highlands. Zuerst verabschiedeten sich die Radiosender und der Highway schlängelte sich zwischen den tundra-artigen Bergen (im Landesdialekt: Ben) direkt ins gefühlte Niemandsland. Es ging über Inverness vorbei an vielen Seen (Loch) und spektakulären Tälern (Glen), vorbei an Orten mit Namen wie Blair Atholl, Achnasheen oder Boat of Garten bis in das Fischerdorf Gairloch, in dem sich erstaunlich viele deutsche Reisebusse tummelten und mein Highlight ein etwas ausladend aussehender Asia-Imbiss war. In den größeren Städten sah man dabei immer wieder Aktivisten, die für eine Unabhängigkeit von Schottland und den Verbleib in der EU lobbyieren. Ich war übrigens auch am Loch Ness und selbstverständlich habe ich Nessie gesehen – nicht.
Auf der Rückfahrt durch das eindrucksvolle Valley Glencoe ging es schließlich in die größte Stadt Schottlands: Glasgow. Die 620.000-Einwohnerstadt wirkt mit ihren überfüllten Stadt-Highways, dem modernen Zentrum und dem gitternetzförmigen Straßensystem eher wie eine nordamerikanische Metropole. Neben guten Einkaufsmöglichkeiten und einer betrunkenen Person, die aus dem lokalen Pub geschleift werden, konnte ich auf dem Friedhofsberg Necropolis zwischen den Gräbern des Adels einen guten Blick über das Ballungszentrum genießen.
Eskapismus und Elitarismus
Es ging weiter zur englischen Westküste. Auf dem Weg dahin sah man immer wieder Hinweistafeln, die in nüchternen Worten Chaos und Bürokratie ab dem 31.10. bei der Ausreise für Spediteure prognostizierten. Das Ziel war ein Ort, von dem die meisten hierzulande wohl noch nie gehört haben: Blackpool. Die Stadt lässt sich am besten als Las Vegas in angestaubt und mit Küstenpromenade beschreiben. Ein Ort des Eskapismus‘, an dem die Arbeiterfamilien aus dem Ballungsraum Manchester und Liverpool ihr Hamsterrad vergessen können. Ausländische Touristen gab es hier kaum, dafür viele Spielhallen, Tattoostudios, Cinderella-Pferdekutschen, Doppelstockstraßenbahnen und drei Piere voller Rummel, also so richtig Rummel. Man sah viele Leute, die sich aufgrund ihres Übergewichts nur noch mittels Elektromobil fortbewegen konnten, überdrehte Kinder auf Zucker und Menschen in Partylaune. Am Abend waren absurd viele Leute auf der Promenade und schauten sich ein Feuerwerk an. Eins kann man sicher sagen: Hier spielt der Brexit keine Rolle, da man ohnehin unter sich ist und gerade deshalb da hinfährt, um die schwierigen Fragen des Alltages zu vergessen.
Vier Stunden Fahrt und eine Stunde Stau später stand ich auf der Cornmarket Street mitten in Oxford und laufe zur Christ Church sowie zur weltbekannten Universität. Das war ein krasser Kontrast zu Blackpool, in jeder Hinsicht. Überall drängeln sich Leute aus aller Welt, Absolventen sind in Robe unterwegs und feiern sich für einen Abschluss, mit dem ihnen jede Tür auf der Welt offen steht – egal ob die UK weiterhin in der EU ist oder nicht.
Substanz und Fassade
Zum Abschluss stand London auf dem Programm. Bei der Entscheidung, sich per Underground, Bus, oder mit dem Auto in die City, beziehungsweise ins nicht mehr ganz so gruselige Whitechapel zu quälen, fiel die Wahl auf Letzteres. Schließlich suche ich die Herausforderung, welche mir in Form eines Stop-and-Go-Marsches auch den letzten Funken Geduld abverlangte. Ganz oben auf der To-Do-Liste stand das mit 310 Metern höchste Gebäude Europas zu „bezwingen“. Doch bezwungen werden musste nur der happige Eintrittspreis von 30 Pfund. Die Aussicht der gigantischen Glaspyramide, die ausschaut wie eine Collage aus vier spitzen Scherben, war es aber auf jeden Fall wert.
Im steril-modernen Bankenviertel wurde auch wieder jemand rausgeworfen. Diesmal waren es zwei pöbelnde Jugendliche aus einem Café. Der Kassierer sagte im Anschluss zu den perplexen Kunden „This is UK!“
Zwischen den dunklen Glasfassaden der Großbanken, in denen die Banker zur Rush Hour mit ihren E-Scootern ohne Geschwindigkeitsdrosselung in den Feierabend oder zum nächsten Pub düsen, entdeckte man immer wieder architektonische Schätze aus vergangener Zeit ─ etwa den Leadenhall Market oder ein viktorianisches Badehaus im orientalischen Stil. Bei meinem Stadtrundgang am letzten Tag kam ich natürlich nochmal am Zentrum der Macht, der Downing Street, vorbei. Kater Larry war nicht am Start, dafür eine kleine Gruppe Brexit-Gegner, bewaffnet mit EU Flaggen. Auf einem der Schilder Stand „Revoke, Remain, Reunite“. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.
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