Wie mich Kristen Stewart zur Feministin machte
Kolumnistin Luise Mosig verbrachte einen beachtlichen Teil ihrer Jugend vor dem Laptop, um über Kristen Stewart zu bloggen. Heute weiß sie, dass das mehr war, als eine Teenie-Schwärmerei.
Das erste Mal verliebt war ich mit 14. Es war dieses freudige Herzklopfen, wenn man die Person wiedersieht. Diese leichte bis mittelschwere Obsession, die alles andere im Leben austauschbar scheinen lässt. Meine Teenagerliebe war Kristen Stewart.
Während meine Freundinnen Schwangerschaftstests machten und sich über den Hintereingang in die Stadtdiskothek schleusten, saß ich vor meinem Laptop und versorgte 37.000 Follower mit everything Kristen Stewart. Ich verschlang all ihre Interviews, verwandelte jede Erdenkliche ihrer Filmszenen in Gifs und stellte meinen Wecker auf 4 Uhr morgens, um ihren Auftritt bei den Oscars live mitzuerleben und darüber zu bloggen, bevor ich mit dunklen Augenringen in die Schule fuhr.
Meine Freunde fanden das alles ganz amüsant und zogen mich damit auf, dass ich mich jahrelang Samstagabend lieber vor meinen Laptop setzte und „Kristen + Dogs“-Collagen auf Tumblr hochlud, als mit ihnen feiern zu gehen. Doch sie verstanden nicht, dass das Ding zwischen Kristen und mir mehr war als eine Teenie-Schwärmerei. Ja, ich war jugendlich und ja, ich schwärmte für sie. Und nein, das Kribbeln im Bauch ist nicht mehr da. Aber: Ich bin jetzt erwachsen (wie gruselig, das niederzuschreiben) und immer noch ein großer Fan. Ich kann zwar nicht mehr sagen, wo sie sich gerade aufhält und welche Jeansmarke sie gestern trug, doch das ist vielleicht auch gut so. Die Worddatei mit den Adressen ihrer Häuser in LA habe ich irgendwann von meiner Festplatte gelöscht. Über „leichte bis mittelschwere Obsession“ sollte man vielleicht noch mal reden, ich war ein Creep. Ein verliebter Creep.
Doch neben meinen Stalkerfähigkeiten entwickelte ich durch mein Fan-Dasein vor allem eines: Ein Verständnis von Feminismus. In der Kristen-Stewart-Tumblr-Community schwirrten Begriffe wie „slut shaming“ und „body positivity“ herum, mit denen mein 14-jähriges Dorfkind-Ich noch nie in Berührung gekommen war. Doch ich konnte mich mit vielen Problemen, denen Kristen ab ihrem schlagartigen Twilight-Ruhm ausgesetzt war, identifizieren.
Sie war die, die bei Letterman stotterte und ungewollt unhöflich rüberkam, weil sie nicht über seine sexistischen Witze lachte. Sie war die unangepasste Rebellin, die zur Filmpremiere Sneakers statt schmerzende High-Heels trug. Sie war die Schauspielerin, deren bekanntestes Meme „Kristen Stewart never laughs“ hieß, weil sie es bevorzugte, auf dem Roten Teppich nicht in ein Dauer-Fakegrinsen zu verfallen, sondern die Gesichtsmuskeln zu entspannen – so wie es für ihre männlichen Kollegen völlig normal war. Als sie während ihrer Beziehung zu Twilight-Co-Star Robert Pattinson knutschend mit einem anderen, VERHEIRATETEN Mann abgelichtet wurde, explodierte Hollywood. Donald Trump riet Pattinson auf Twitter, „to not take back Kristen Stewart, because she cheated on him like a dog and will do it again”. Ihren Titel als „Ehebrecherin“ wurde sie in den Klatschspalten jahrelang nicht los. Dass der verheiratete Mann ebenso Anteil an der Affäre hatte, interessierte niemanden.
Man könnte sagen: Kristen Stewart hatte nach Twilight aufgrund ihrer Unangepasstheit keine leichte Zeit in Hollywood. Man könnte aber auch sagen: Kristen Stewart war eine der wenigen Hollywoodschauspielerinnen, die sich vor #MeToo konsequent gegen frauenfeindlichen Bullshit aussprachen. Während sie Talkmaster Jay Leno berichtigte, dass „Snow White And The Huntsman“ gerade wegen seines Actiongehalts sehr wohl ein „chick flick“ sei, nachdem dieser dem Publikum versichert hatte, dass der Film „not a chick flick, but a real adventure movie“ sei, begann ich Simone de Beauvoir zu lesen. Während sie Faux-Girl-Power in Hollywoodfilmen kritisierte, schrieb ich meine Facharbeit in der 11. Klasse über „Die Frauenbewegung und Bedeutung des Feminismus in Deutschland ab Ende des 1. Weltkrieges bis heute – Ein Vergleich“.
Heute ist Kristen eine, wenn nicht die Leitfigur der LGBTQ-Community in Hollywood, und ich bin stolz auf sie.
Was von meinen fünf Fangirl-Jahren bleibt, ist nicht nur ein Tumblr-Blog, der 2015 das letzte Mal regelmäßig upgedatet wurde. Kristen Stewart hat meine Persönlichkeit wohl mehr geprägt als einige meiner Mitmenschen. Und wer weiß, vielleicht habe ich als 70-jährige Omi ja mal wieder Zeit, über sie zu bloggen. Dann wäre Kristen zwar schon 76, aber die Menschen werden ja immer älter…Und nein, ich musste nicht googlen, wann sie geboren wurde. 9. April 1990. Schreibt es euch in den Kalender.
Zum Abschluss dieses Textes empfehle ich Kristen Stewarts Saturday Night Live-Eröffnungsmonolog von 2017, ihre Antwort auf Trumps Tweets. Hail the queen.
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