„Ein wenig bahnbrechend“
Der Chemiker Jens Meiler hat für seine interdisziplinären Forschungen die Humboldt-Professur verliehen bekommen und kommt nun nach knapp 20 Jahren USA an die Universität Leipzig zurück.
luhze: Ab wann werden Sie in Leipzig forschen?
Meiler: Offiziell fange ich ja erst am 1. Januar 2020 an der Universität Leipzig an, in die Stadt komme ich aber bereits Mitte Oktober. Ich komme aus Leipzig, bin dort geboren und zur Schule gegangen. Ich habe auch in Leipzig Chemie studiert. Promoviert habe ich anschließend in Frankfurt am Main. Von dort bin ich zum Post-Doc nach Seattle gegangen. Meine Frau habe ich allerdings bereits in Leipzig kennengelernt. Sie ist nach Seattle mitgekommen. Zwei Jahre Post-Doc in den USA waren eigentlich geplant – nun sind es doch fast 20 Jahre geworden.
Sind Ihre Gründe, nach Leipzig zurück zu kommen, vor allem privat?
So kann man es nicht sagen. Als ich 2005 nach Nashville gekommen bin, habe ich gemeinsam mit Annette Beck-Sickinger eine Kollaboration zwischen der Vanderbilt-Universität und der Universität Leipzig aufgebaut. Über dieses Programm konnten schon viele Studenten, Doktoranden, Post-Doktoranden und Forscher ausgetauscht werden. Daher kannte ich natürlich auch schon viele Wissenschaftler auf meinem Gebiet in Leipzig. 2017 verbrachte ich mit meiner Familie einen halbjährigen Forschungsaufenthalt in Leipzig. Da wurde ich angesprochen, ob ich nicht die Pharmazeutische Chemie, die ja zwischenzeitlich vor der Schließung stand, wiederaufbauen wolle.
Die Vanderbilt-Universität in Nashville hat das, glaube ich, zunächst nicht ganz so ernst genommen. Für mich war das aber eine attraktive wissenschaftliche Option: Ich bin 45 Jahre alt und habe damit in der Mitte meiner wissenschaftlichen Karriere die Möglichkeit, ein neues Institut aufzubauen. Das ist schon eine große Chance, noch dazu in meiner Heimat- und Lieblingsstadt. Hinzu kommen natürlich auch private Gründe wie die Nähe zu Eltern und Geschwistern.
Wie lief Ihre Bewerbung für die Humboldt-Professur genau ab?
Sagen wir mal so: Eine Professur in Deutschland ist nicht so gut ausgestattet wie hier in den USA. Deswegen haben wir damals, als ich sagte, dass ich interessiert wäre, den Antrag auf eine Humboldt-Professur gestellt. Die Humboldt-Professur ist der mit fünf Millionen Euro höchstdotierte Wissenschaftspreis in Deutschland. Diese Summe kommt zum Angebotspaket der Universität Leipzig hinzu. Das ist für Deutschland eine sehr gut ausgestattete Professur und natürlich besonders attraktiv, da es großzügige Investitionen in das neue Institut erlaubt. Der Antrag ist dann durch das Review-System bei Humboldt gelaufen, und parallel wurde an der Universität die Professorenstelle ausgeschrieben, auf die ich mich beworben habe. Beides war erfolgreich: Ich wurde berufen und bekam fast gleichzeitig die Humboldt-Förderung.
Wie lange werden Sie in Leipzig bleiben?
Die Humboldt-Professur hat eine Laufzeit von fünf Jahren. Ich habe aber ganz klar das Ziel, dauerhaft in Leipzig zu bleiben. Ich behalte trotzdem zunächst das Labor in Nashville. Die Labore in Leipzig müssen erst renoviert werden, Geräte müssen angeschafft werden und weitere Professuren sind auszuschreiben und zu besetzen. Das braucht natürlich Zeit. Meine Gruppe in Nashville umfasst etwa 35 Mitarbeiter, von denen auch nicht alle mit nach Leipzig ziehen wollen. Ich werde nur etwa drei bis fünf Wissenschaftler mitbringen. Auf diese Art kann ich aber in Nashville die Forschung weiterlaufen lassen, während ich in Leipzig die Strukturen aufbaue.
Wo genau werden sich Ihre Labore befinden?
Im zentralen Forschungsgebäude der Medizinischen Fakultät in der Liebigstraße (ehemalige Hautklinik).
Sie haben in Leipzig Chemie studiert, ihre Forschung läuft jetzt allerdings unter Bioinformatik. Das ist ja sehr interdisziplinär, wie kommt das?
Ich habe durch meine Mutter, die Mathematikerin war, als Kind schon programmieren gelernt. Mein Vater war Physiker. In meiner Diplomarbeit habe ich ein neuronales Netz programmiert – Stichwort Künstliche Intelligenz, das war damals in der Chemie schon ein wenig bahnbrechend. Meine Stärke ist die Theorie mehr als das Experiment. Nach der Promotion kam ich nach Seattle, wo ich eines der wichtigsten Softwarepakete bezüglich computergestützter Biologie mitentwickelt habe.
Diese Software, genannt Rosetta, aber nicht zu verwechseln mit dem Programm zum Erlernen anderer Sprachen, wird jetzt von einigen 10.000 Forschern weltweit genutzt. Meine Kollegen von damals sind jetzt zumeist auch Professoren, vorrangig in den USA. Ich habe, unter anderem, den Teil der Algorithmen geschrieben, mit denen Wirkstoffe entwickelt werden können. Anschließend bekam ich eine Professur an der Vanderbilt Universität in Nashville. Dort hat sich mein Forschungsgebiet dann nochmal deutlich verbreitert. Wirkstoffentwicklung ist aber bis heute unsere Hauptstoßrichtung.
Wie würden Sie in einfachen Worten beschreiben, worauf ihre Forschung abzielt?
Wir konstruieren am Computer dreidimensionale Modelle von Proteinen und sagen deren Interaktionen mit Wirkstoffen voraus. Im Herz hat man zum Beispiel Kaliumkanäle, die in Zusammenarbeit mit anderen Proteinen dafür sorgen, dass das Herz in der richtigen Schlagzahl pumpt. Wenn man in diesen Kanälen eine Mutation hat, kann es zu Herzrhythmusstörungen kommen. Nicht alle Mutationen führen dazu, dass man Medikamente nehmen muss oder einen Herzschrittmacher braucht. Es gibt allerdings sehr viele Mutationen, die nicht charakterisiert sind, sodass es sehr schwer für Mediziner ist, bei einer neu entdeckten Mutation, die richtige Behandlungsentscheidung zu treffen. Wir entwickeln also Modelle, die vorhersagen, welche der Mutationen Herzrhythmusstörungen verursachen können.
Welche Krankheiten, abgesehen von Herzrhythmusstörungen, können durch die Modelle womöglich vorhergesagt werden?
Ich sage meinen Studenten immer: Es ist mir egal, welche Krankheit ihr heute heilt, Hauptsache ihr heilt eine Krankheit. Wir haben viel an personalisierter Krebstherapie geforscht, da es bei Krebs auch sehr viele spezifische Mutationen gibt. Außerdem forschen wir an besseren Antikörpern und Impfstoffen gegen die virale Grippe oder das HI-Virus. Hier könnte es in den nächsten Jahren Durchbrüche geben. Abgesehen davon forschen wir auch an neurologischen Krankheiten wie Alzheimer oder Schizophrenie. Dabei ist die gleiche Klasse von Rezeptoren im Gehirn beteiligt. Diese Breite rührt von der vielseitigen Einsetzbarkeit unserer neuen Computeralgorithmen her.
Vor welchen Herausforderungen stehen Sie dabei?
Die Herausforderung bei computergestützten Vorhersagen ist, dass die Biologie zu kompliziert ist, um sie in einem Computerprogramm vollständig abzubilden. Man könnte also sagen: Wir machen mit stark vereinfachten Modellen schlechte Vorhersagen. Man ist dann ganz schön überrascht, wenn man dafür den Humboldt-Preis bekommt. (lacht) Das Wichtige ist, dass ich mit Experimenten prüfen kann, ob meine Modelle die richtigen Vorhersagen machen, also: Wie nah sind meine Modelle an der Natur? Daher kollaborieren wir viel mit anderen Wissenschaften, nur einen Teil der Experimente machen wir in meinem Labor, zum Beispiel wenn wir so verrückte Ideen haben, dass wir keinen anderen Wissenschaftler überzeugen können, diese für uns zu testen. Ohne Experimente sind unsere Modelle Schall und Rauch.
Das kann man zum Beispiel mit den vergangenen Präsidentschaftswahlen in den USA vergleichen, als alle Modelle Clintons Sieg vorhersagten, und dann doch Trump gewann. Ein kleiner Fehler bei der Vorhersage in einzelnen Bundesstaaten kann wegen des Wahlrechts in den USA zu sehr großen Verschiebungen beim Wahlergebnis führen. Ähnlich ist es in der Biologie. Manchmal haben kleine Ungenauigkeiten in unseren Modellen große Konsequenzen in der Vorhersagegenauigkeit. Auf Basis aller bekannten Informationen bauen wir das wahrscheinlichste Modell. Wir können aber nicht das gesamte biologische System modellieren, also den gesamten Menschen oder auch nur eine vollständige Zelle.
Wir greifen uns einzelne Protein heraus und stecken diese einzeln oder höchstens mit einigen Partnermolekülen in den Computer, weil es sonst einfach zu kompliziert wird. Damit haben die Modelle intrinsische Fehler. Diese müssen wir durch den Abgleich mit dem Experiment ausgleichen. Das ist also wie mit einer Spirale, die sich langsam an sehr genaue und allgemeine Modelle annähert: Wir haben Daten, daraufhin erstellen wir ein Modell und machen auf dessen Basis Vorhersagen, die dann durch Experimente überprüft werden. Mit den neuen Daten aus diesen Experimenten können wir dann die Modelle verfeinern.
Wie sind Studierende an Ihrer Forschung beteiligt?
Ich habe hier in Nashville im Labor etwa fünf Bachelor- und Masterstudenten, 15 Doktoranden, zwölf Postdoktoranden und einige wissenschaftliche Mitarbeiter. Unsere interdisziplinäre Forschung bringt mit sich, dass ich Biochemiker, Chemiker, Pharmazeuten, Physiker, Mathematiker und Informatiker im Team habe. Ich freue mich über jeden, der in Leipzig mit mir forschen möchte und bin da auch auf keine Zahl festgelegt. Ich brauche Mitarbeiter, die intrinsisch motiviert sind und sich die technischen Fähigkeiten aneignen können. Weil ich viel reise, brauche ich allerdings auch Mitarbeiter, die eine gewisse Selbstständigkeit mitbringen.
Das Gespräch fand Ende September per Videoanruf statt.
Fotos: Humboldt-Stiftung, David Ausserhofer
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