Kein Einzelfall: Gedenken an Kamal K. und Opfer rassistisch motivierter Gewalt
Nicht erst seit dem Anschlag in Halle sind rassistische Verbrechen ein Problem. Jährlich ruft eine Initiative zum Gedenken an Kamal K. auf, der 2010 von einem Neonazi in Leipzig erstochen wurde.
In dem Park vor dem Leipziger Hauptbahnhof versammelten sich am gestrigen Donnerstag, den 24. Oktober, bei Anbruch der Dunkelheit etwa 40 Menschen an einem Stein, der etwas versteckt unter Bäumen liegt. In den Stein ist eine Tafel eingelassen, auf der die Mutter des im Herbst 2010 ermordeten Kamal K. in einigen Sätzen ihrem Sohn gedenkt.
Ein Redner beginnt, in ein Mikrofon zu sprechen. Er erklärt, dass „Rassismus in dieser Stadt Alltag ist“. Veranstalter der Gedenkveranstaltung ist das Bündnis Rassismus tötet, laut dessen Website seit 1990 mindestens zehn rechtsmotivierte Morde in Leipzig verübt wurden. Die Gedenktafel für Kamal K. war in der Vergangenheit mehrmals beschädigt worden. Die Initiative hat sie anschließend wiederhergestellt.
Seit dem Mord an Kamal K. richtet Rassismus tötet jedes Jahr Veranstaltungen zu dessen Gedenken aus. Die Gruppe entstand aus einer bundesweiten Kampagne zum Gedenken rassistischer Morde in den 90ern. Bei der Gedenkveranstaltung wird ein Redebeitrag der Journalistin Heike Kleffner abgespielt, der auch im Buch „Unter Sachsen – Zwischen Wut und Willkommen“, herausgegeben von ihr und Matthias Meisner, abgedruckt ist. Kleffner berichtete damals über den Fall und fasste sowohl Tathergang als auch den Verlauf des Gerichtsprozesses in dem verlesenen Auszug zusammen.
Im Oktober 2010 stach Marcus E. in der Nähe des Leipziger Hauptbahnhofs den 19-jährigen Iraker Kamal K. nieder, der an den Folgen starb. Dafür bekam er 13 Jahre Haft wegen Mordes, mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Das Gericht verurteilte auch seinen Begleiter Daniel K. zu drei Jahren Freiheitsentzug wegen gefährlicher Körperverletzung. Er war zuvor mit Pfefferspray auf Kamal K. losgegangen. Als Motiv stellte das Gericht Fremdenfeindlichkeit fest. Die Staatsanwaltschaft hielt einen ausländerfeindlichen Tathintergrund nicht für erwiesen, obwohl auf die Gesinnung der beiden Täter bereits einschlägige Tätowierungen hinwiesen.
Der Anschlag in Halle Anfang Oktober bekam eine große mediale und politische Resonanz – war als Verbrechen mit rassistischem Motiv allerdings keineswegs ein Einzelfall. Neben Kamal K. wurde auch Achmed B. aus rechten Motiven 1996 in Leipzig erstochen, ebenso Marwa El-Sherbini 2009 in Dresden. Aus der im Mai vorgestellten Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes (BKA) von 2018 geht hervor, dass mehr als die Hälfte der Straftaten, die der politisch motivierten Kriminalität zugeordnet werden, dem rechten Spektrum zuzuordnen sind. Dabei hat die sogenannte Hasskriminalität zugenommen. Darunter werden Straf- und Gewalttaten gesondert erfasst, die sich gegen eine bestimmte Gruppe etwa wegen Herkunft, Religion oder sexueller Orientierung wenden. Schlüsselt man die Statistik entsprechend auf, wird deutlich, dass sich dahinter maßgeblich „fremdenfeindliche“, „antisemitische“, „rassistische“ und „islamfeindliche“ Motive verbergen, die das BKA abermals mit großer Mehrheit dem rechten Spektrum zuordnet.
In der Pressemitteilung zur Gedenkveranstaltung beteuert Sprecherin Miriam Schleicher von Rassismus tötet, dass die Aufarbeitung rechter Gewalt von der Stadt Leipzig als nicht notwendig gesehen werde, obwohl Leipzig ein Vernetzungspunkt rechter Akteure sei. „Wenn der rechte Terror gestoppt werden soll, braucht es jedoch wesentlich mehr Engagement.“
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