Klimawut
Wütend zu werden kann uns helfen, die Klimakrise zu lösen. Ein Versuch der Erklärung und Überzeugung mit windschiefen Metaphern, Greta Thunberg, Terry Pratchett und Dylan Thomas.
Wenn wir als Menschheit in der nahen Zukunft nicht unsere CO2-Emissionen unter Kontrolle bekommen, werden Millionen, wenn nicht Milliarden Menschen sterben, an den direkten und indirekten Folgen einer globalen Klimakatastrophe. Wohl niemand, der diese Zeilen liest, wird dem widersprechen.
So weit, so angsteinflößend. Denn wenn nicht die drohende Apokalypse Angst einflößt, was kann uns in unseren Palästen sonst Sorgen bereiten? Da ist es keine Überraschung, dass Menschen beginnen, Klimaangst zu entwickeln. Das Phänomen der Klimadepression ist real und nachvollziehbar, schließlich sind wir als Individuen weitestgehend machtlos diesem Urfeind des Menschen ausgeliefert: dem Wetter. Nicht, dass diese Entwicklung unaufhaltbar wäre. Wenn der politische Wille da wäre, sollte es uns als vereinter Menschheit ein Leichtes sein, die drohende Katastrophe abzuwenden. Wenn wir Milliarden in die Rettung von Banken stecken können, um das Finanzsystem vor sich selbst zu beschützen, dann können wir auch Milliarden in die Rettung des Planeten stecken, um die Menschheit vor sich selbst zu beschützen.
Nur: Das passiert nicht.
Die Bundesregierung schickt eine 60-Cent-Klimapostkarte mit hübscher Blumen-Briefmarke und lieben Grüßen ab, wo ein (klimaneutraler) Eisbrecher voller Maßnahmen notwendig wäre. In Brasilien brennt der Amazonas, in Russland taut Sibirien, im Libanon steht ein ganzes Land in Flammen. An dieser Stelle passiert nun das, weswegen diese Kolumne ihren Titel trägt: Ich werde wütend. Was recht ungewöhnlich ist. Mit Enttäuschungen und schlechten Nachrichten gehe ich normalerweise ganz anders um. Ich werde traurig, verkrieche mich hinter einem Buch oder einer Serie und schlafe viel, bis es mir besser geht. Aber diese verabscheuungswürdige Heuchelei, die gerade in Deutschland und anderswo betrieben wird, hat es geschafft, mich wütend zu machen.
Einerseits natürlich, weil ich gern dieses eine Leben, das ich habe, genießen möchte. Und wenn ich 2060 mit meinem Segelboot vom Leipziger Hafen zum Tauchen ins ehemalige Kopenhagen fahren kann, ist meine Lebensqualität höchstwahrscheinlich eingeschränkt. Weil ich um diese Gefahr weiß und aus reinem Glück als weißer Mann in eine gebildete, bürgerliche Familie hineingeboren wurde, muss ich etwas dagegen tun. Denn es gibt wenige privilegiertere Menschen auf diesem Planeten. Das heißt, nicht meine Gastkinder in London zu besuchen, nie Elefanten in freier Wildbahn sehen und mich nicht in obskuren Nischen der Menschheitsgeschichte zu verkriechen und sie zu erforschen. Ich werde in meinem Leben massiv davon beschränkt, dass die Regierungen dieser Welt das Problem der Klimakrise nicht ernsthaft angehen.
Andererseits bin ich umso wütender, weil es unvorstellbar vielen Menschen so viel schlechter geht und gehen wird als mir. Ich werde die Klimakatastrophe, so sie denn eintritt, wahrscheinlich überleben. Bangladesch dagegen ist ein flaches Küstenland mit doppelt so vielen Einwohnern wie Deutschland, das, wenn es so weiter geht wie bisher, in 80 Jahren ein Fünftel seiner Fläche an den Indischen Ozean verloren haben wird. Diese Millionen Menschen – ein Großteil von ihnen ist von Armut betroffen – werden nicht alle in höhere Lagen fliehen können. Viele werden sterben. Nichts davon ist ihre Schuld.
Grade wir in den Industrieländern haben auf so viele Arten und Weisen die größte Verantwortung, die Herausforderung der Weltrettung zu meistern. Einerseits haben wir historisch den Mammutanteil des übermäßigen Kohlenstoffdioxidausstoßes geliefert, andererseits ist der durchschnittliche CO2-Fußabdruck eines*einer Deutschen immer noch um ein Vielfaches höher als der von individuellen Chines*innen oder Inder*innen, egal wie viel CO2 diese Länder jeweils insgesamt ausstoßen. Und selbst wenn dem nicht so wäre – und um die so oft bemühte Metapher des brennenden Hauses auch in diese Zeilen über die Klimakrise einzubauen: Wenn mein Haus brennt, verlange ich doch auch nicht schreiend, dass mein Nachbar anfängt, sein Volvic-Wasser zur Löschung des Brandes zu bemühen, bevor ich mein kostbares San Pellegrino den Flammen entgegenwerfe.
Greta Thunberg hat auf dem UN-Klimagipfel mit vor Wut bebender Stimme und verzerrter Mine die anwesenden Politiker*innen gefragt, wie sie es wagen können, so mit ihrem, meinem und unser aller Leben umzugehen. Sie hatte jedes Recht, wütend zu sein, jedes Recht, zu weinen und jedes Recht, die anwesenden Entscheidungsträger*innen für ihr Versagen anzuprangern. Die Reaktionen auf diese Rede waren verräterisch: Ihr wurde Kontrollverlust vorgeworfen; endlich gab es einen Grund, sie nicht mehr ernst zu nehmen. Doch Greta hat keineswegs die Kontrolle über sich selbst verloren, sie ist nicht über die Stränge geschlagen und hat keine unsichtbare Linie des Akzeptablen übertreten. Greta Thunberg hat die durch und durch menschliche Reaktion darauf gezeigt, dass ihr Leben für immer davon bestimmt sein wird, dass mächtige Menschen mit Verachtung auf das Schicksal der Menschheit spucken.
Diese Wut ist enorm wichtig. Der britische Autor Neil Gaiman erzählt eine Geschichte, in der er und sein Kollege Terry Pratchett auf der Buchtour eines gemeinsamen Romans einmal auf dem Weg zu einem Radiointerview waren, von dem sie dachten, es sei nur ein paar hundert Meter entfernt. Als sich herausstellte, dass es mehrere Kilometer bergaufwärts waren, war es im Zeitalter der Telefonzelle schon zu spät, ein Taxi zu rufen. Sie kamen also viel zu spät zum Interview, komplett erschöpft und durchgeschwitzt. Pratchett war sichtlich wütend, woraufhin Gaiman versuchte, ihn aufzumuntern. Pratchetts Antwort? „Unterschätze diese Wut nicht. Diese Wut ist der Motor, der dieses Buch angetrieben hat.“ Dieses Zitat ist zentral in dem, was ich versuche, hier deutlich zu machen: Wut ist ein fantastisches Mittel, Wandel zu bewirken. Es verleiht Energie und Überzeugungskraft, kann Menschen mitreißen und Hoffnung verleihen. Aber dafür muss sie gelenkt werden. Ich lenke meine Wut grade in diese Kolumne und darin, mich weiterzubilden, um in Zukunft mehr Menschen davon überzeugen zu können, die Welt zu retten. Ich bin wütend in der Hoffnung, andere mitzureißen. Denn das ist mein Aufruf: Wandelt die Angst oder Resignation vor der Mammutaufgabe der Weltrettung in Wut: Klimawut. Denn es gibt Hoffnung und es gibt Mitstreiter*innen. Oder mit den Worten Dylan Thomas‘: „Do not go gentle into that good night/…/Rage, rage against the dying of the light.”
Titelbild: Annika Seiferlein
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