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  • „Es geht auch um Bildung, aber eben nicht nur“

    Bernd Wagner ist Professor für Grundschuldidaktik Sachunterricht an der Universität Leipzig. luhze-Redakteurin Lisa Bullerdiek sprach mit ihm über die politische Beteiligung von Kindern.

    Kinder und Jugendliche sind in den letzten Monaten mehr denn je als politische Akteur*innen aufgetreten. Bei den Fridays-for-Future-Protesten fordern sie einen nachhaltigen Umgang mit den Ressourcen unserer Erde und auch mehr politische Teilhabe an Fragen, die vor allem ihre Zukunft betreffen. Die beiden Konzepte der Nachhaltigkeit und politischen Bildung sind in der Grundschuldidaktik eng verbunden.

    luhze: Welche Kompetenzen sollen Kindern in der politischen Bildung und der Bildung für Nachhaltige Entwicklung vermittelt werden?

    Wagner: Man spricht immer von Gestaltungskompetenz. Kinder werden an politischen Prozessen eher nicht beteiligt. Politische Gestaltungskompetenz heißt auch, dass man Lösungen entwickelt und sich zutraut, die Probleme zu lösen. Das betrifft Nachhaltigkeit in ökonomischen, ökologischen, sozialen und kulturellen Handlungsfeldern.

    Wie entwickeln sich politische Einstellungen bei Kindern?

    Dazu gibt es umfangreiche Forschung. Die meisten Autor*innen gehen davon aus, dass politische Einstellungen eng mit der Möglichkeit von politischer Beteiligung verbunden sind. Das heißt, dass Kinder sich mit Situationen auseinandersetzen, indem sie beteiligt werden. Daraus entwickeln sie politisches Engagement.

    Es gibt gerade Diskussionen um die Absenkung des Wahlalters. Wie bewerten Sie das?

    Ich würde nicht so weit gehen wie die Piraten und fordern, dass Kleinkinder per Mausklick beteiligt werden sollen, aber es ist durchaus so, dass wir Kinder und Jugendliche etwas stiefmütterlich behandeln. Wir haben bei Kommunalwahlen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt, aber ich denke, auch Zehnjährige haben bestimmte Vorstellungen darüber, wie ihr Lebensumfeld gestaltet werden soll. Sie haben ebenfalls bestimmte Rechte. Zum Beispiel, dass sie in einer Umgebung leben, in der es auch für sie Möglichkeiten gibt, sich auszudrücken, wie etwa bei einem Spielplatz in ihrem Wohngebiet. Deswegen sollten sie so beteiligt werden wie Jugendliche in den Stadtparlamenten. Wir haben hier in Leipzig ein Kinderbüro. Das kommt aus DDR-Zeiten. Dort können Kinder Anträge schreiben, die dann im Stadtrat verhandelt werden. Hier erfahren sie: Wenn ich mein Anliegen einreiche, wird es zumindest diskutiert. Man kann es fast so sehen wie die Einführung des Frauenwahlrechts. Das hat lange gebraucht. Es wird wahrscheinlich noch eine Weile dauern, bis Kinderrechte ergänzt und ratifiziert sind. Bis jetzt sehen wir sie eher als unfertige Bürger. Das führt dazu, dass Kinder abgeschreckt werden, an Demokratie zu partizipieren.

    Es gibt häufig so etwas wie Schulwahlen.

    Ja, es gibt Schulsprecher*innen, Klassensprecher*innen, Schüler*innenparlamente und so weiter, aber die Frage ist, inwieweit die Schüler*innen hier tatsächlich mitentscheiden. Darum geht es eigentlich. Gremien und repräsentative Demokratie müssen aktiviert und erlebt werden. Es müssen für Kinder Möglichkeiten geschaffen werden, sich für Nachhaltigkeitsfragen einzusetzen. Sei es zum Beispiel beim Schulessen, der Abfallentsorgung oder dem Energieverbrauch. Das machen wir teilweise schon, aber es ist noch sehr unzusammenhängend. Ich glaube, wir brauchen in Schulen mehr übergreifende Konzepte wie das der Generationsvermittlung.

    Gerade in Zeiten von Fridays-for-Future stellt sich die Frage: Wie können Lehrer*innen Kinder bei ihren politischen Forderungen unterstützen?

    Wir haben hier in Leipzig und auch anderswo immer mal wieder Lehrer*innen gefragt, was sie in Bezug auf politische Bildung überhaupt tun. Ganz oft sagen sie, das wäre ein interessantes Thema, aber sie würden es nicht schaffen, das im Unterricht zu behandeln. Eltern üben auch oft Druck auf Schulen aus. Lehrkräfte müssen nicht nur Kinder, sondern auch deren Eltern erreichen. Politische Themen sind natürlich polarisierend. Das ist ein umkämpfter Bereich. Ich denke, dass es wichtig ist, grundlegendes Demokratielernen im institutionellen Alltag möglich zu machen.

    Daran anschließend: Wir haben über Lehrer*innen gesprochen, aber wie reagieren denn Lehramtsstudierende auf solche Konzepte?

    Das ist sehr unterschiedlich. Ich gebe ein Seminar zur politischen Bildung. Manche wollen lieber Blätter pressen, Bäume benennen und das Thema „Was ist eine Kartoffel?“ umsetzen. Auch sie fürchten die Problematik der politischen Bildung. Im Gegensatz dazu sind Themen der Heimatkunde nach wie vor sehr akzeptiert. Dieser ganze Bereich des Sachunterrichts kommt ja aus der Heimatkunde. Das Thema Heimat hat sowieso wieder Konjunktur. Es gibt sehr veraltete Konzepte, die plötzlich wieder aufgegriffen werden. Man versucht damit, eine Gemeinschaft, die auseinanderdriftet, irgendwie zusammenzuhalten. Ich finde es nicht gut, auf Heimatkundekonzepte zurückzugreifen, weil es von einer Verniedlichung von Kindern ausgeht. Da lernt man den Bürgermeister kennen, der in dieser wunderbaren Welt alles auf das Beste für Kinder vorbereitet hat. Man lernt also, dass Erwachsene diese Welt für Kinder gut gemacht haben und wie man sich in ihr einfindet. Das ist offensichtlich nicht der Fall. Das Gegenteil wäre wichtig. Es wäre entscheidend zu gucken, wie Kinder mit Beteiligungsrechten umgehen.

    Bei Bildung für Nachhaltigkeit geht es ja vor allem um Kinder und nicht um Erwachsene. Was für einen Unterschied kann Bildung überhaupt machen, wenn politische Maßnahmen gefragt sind?

    Wir haben in Deutschland die Vorstellung, dass Nachhaltigkeit eine Bildungssache ist. Das entspricht unseren Traditionen. Es ist aber eben nicht nur eine Bildungsaufgabe, sondern vor allem eine politische. Wir hatten über mehrere Jahre ein Austauschprogramm in Südamerika mit fünf Universitäten. Dort steht in Bezug auf Nachhaltigkeit nicht Bildung im Mittelpunkt, sondern Regional- und Stadtplanung. Ich denke, es ist eine politische Führungs- und Planungsaufgabe und indem wir das hier in die Verantwortung der Bildung schieben, vergessen wir ein wenig, dass hier politischer Gestaltungswille gefragt ist. Wir haben gesehen, dass in diesem Bereich wenig passiert. Kinder fordern das nun ein. Es geht auch um Bildung, aber eben nicht nur.

     

    Titelbild: Christian Hüller

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