Gegen Kälte und Einsamkeit
Die Situation von Wohnungslosen ist im Winter besonders prekär. Das Winterprogramm der Stadt Leipzig soll helfen. Doch einige Vereine kritisieren die Bedingungen in den Übernachtungseinrichtungen.
Auch dieses Jahr führt die Stadt Leipzig wieder ein Winternotprogramm für Wohnungslose durch, um Obdach und die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln und Hygieneartikeln zu gewährleisten. Es läuft bis zum 31. März 2020, wird aber bei andauernden kalten Temperaturen über den Stichtag hinaus fortgeführt. Insgesamt stehen 122 Schlafplätze für alleinstehende Männer und Frauen zur Verfügung, zwölf weniger als noch im letzten Jahr. Laut dem Sozialamt der Stadt musste die Kapazität aufgrund von Brandschutzbestimmungen verringert werden. Es werde dennoch niemand abgewiesen. Für Männer und Frauen gibt es jeweils eine Übernachtungseinrichtung, sowie eine für drogenabhängige Personen. Dazu kommen die ökumenische Kontaktstube Leipziger Oase und der Tagestreff für Wohnungslose Insel, die tagsüber warmes Essen, Getränke, Duschen und Bekleidung anbieten. Benjamin Müller, Leiter der Oase, sieht zusätzlich zur Grundversorgung mit Lebensmitteln und Kleidung noch eine weitere zentrale Aufgabe der Einrichtung: „Soziale Probleme und Schwäche entstehen häufig aus lang andauernder Einsamkeit.“
Verschiedene in der Wohnungslosenhilfe tätige Vereine kritisierten die Übernachtungseinrichtungen. Durch die Geschlechtertrennung müssen Partner*innen in jeweils andere, weit voneinander entfernte Einrichtungen gehen. Zudem können betroffene Personen ihre Hunde nicht mitnehmen und müssten sie ins Tierheim geben oder draußen anbinden. Zwar gibt es in den Einrichtungen inzwischen Schließfächer, trotzdem sei eine Nachtruhe nur bedingt möglich, sagt Müller. Schließlich sei es schwer für Menschen, die keinen engen Kontakt miteinander gewöhnt sind, in Räumen mit jeweils vier Betten zu schlafen. Privatsphäre zu gewährleisten sei insgesamt kaum möglich für Tages- und Übernachtungseinrichtungen.
Wohnungslosen Menschen, die die Übernachtungseinrichtungen nicht besuchen möchten, bietet die Stadt einen Schlafsack und einen Nothilferucksack an. Darin sind eine Thermoskanne, eine Rettungsdecke, Kondome, Campingbesteck, ein Regenponcho sowie Hygiene- und Erste-Hilfe-Produkte. Letzteres ist laut Müller das größte ungelöste Problem. Denn viele Wohnungslose haben wegen ihrer Situation keine Krankenversicherung, sind aber aus demselben Grund besonders verletzungs- und krankheitsgefährdet. Müller schlägt vor, in eine der Einrichtungen eine*n Krankenpfleger*in einzustellen, die bei Bedarf die Wohnungslosen an eine*n Arzt*Ärztin oder ein Krankenhaus überweist. „Die Stadt muss dann nur dafür sorgen, dass niemand fragt, wer das bezahlt“, sagt er.
Seit Februar steht täglich von 20:15 Uhr bis 20:45 Uhr ein Hilfebus vor dem Hauptbahnhof, um Bedürftige in die Notunterkünfte zu transportieren. Träger des Busses ist das Suchtzentrum Leipzig, das auch für den Tagestreff Insel verantwortlich ist und mehrere andere Projekte in der Wohnungslosenhilfe durchführt. Die Mitarbeiter*innen im Hilfebus nehmen Informationen über wohnungslose Personen, die Hilfe benötigen, zwischen 19 und 23 Uhr auch telefonisch entgegen. „Wir fahren dann hin und bieten Hilfe an, fragen die Leute, ob wir sie in eine Übernachtungseinrichtung bringen sollen“, erzählt Tino Neufert, Mitarbeiter des Suchtzentrums. Sie verteilen Essen, Kleidung, warmen Tee, Schlafsäcke und ebenfalls Notfallrucksäcke. Im Sommer haben durchschnittlich fünf Menschen pro Nacht ihre Hilfe in Anspruch genommen, für den Winter erwartet Neufert natürlich mehr.
„Die Stadt fängt an, mehr für Wohnungslose zu tun“, sagt Müller, fügt aber hinzu, dass es noch Handlungsbedarf gebe. Sowohl er als auch Neufert betonen, dass Wohnungslosigkeit ein strukturelles Problem sei, kein individuelles. Steigende Mietkosten würden letztendlich auch steigende Wohnungslosigkeit bedeuten.
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