Schmelzende Herzen und offene Geldbeutel
Menschliche Schicksale sind der treibende Motor der Spendenlobby. Die Infobroschüren der Leipziger Ingenieure ohne Grenzen zeigen deutlich, wie problematisch das sein kann. Ein Kommentar.
Kodjo macht sich Sorgen um seine kleine Schwester Kafui. Sie ist krank, aufgrund von Krankheitserregern im Trinkwasser. Diese Geschichte ist der herzzerreißende Aufmacher einer Infobroschüre des Vereins Ingenieure ohne Grenzen, genauer gesagt zwei verschiedener Infobroschüren. In der einen ist Kodjo ein achtjähriger Junge aus dem Dorf Wanga in Kenia, in der anderen ein Sechsjähriger aus Tomegbé im Südwesten Togos. Die Broschüren dienen dazu, Spendengelder zu generieren – in mindestens einem der beiden Fälle aber offensichtlich mit einer gelogenen Geschichte.
Entwicklungszusammenarbeit ist ein hübsches Wort mit einem behäbigen Hintergrund. Die Leipziger Ingenieure ohne Grenzen sind nicht die Einzigen, die Spendenlobby lebt von lachenden Kindern in afrikanischen Dörfern. Das ist keine Entschuldigung. Es ist mehr eine schwache Ausrede, denn es stecken Rassismen hinter der Geschichte des erfundenen Kindes in Not. Man habe, so heißt es auf Nachfrage von Ingenieure ohne Grenzen Leipzig, die Geschichte von Kodjo, der in Togo lebt, wiederverwendet, um Gelder für ein Projekt in Kenia zu gewinnen. Dass an dieser Stelle nicht gezögert wird, zu lügen, hat einen gefährlich kolonial anmutenden Hintergrund. Es ist irgendein afrikanischer Junge in einem afrikanischen Dorf. Mehr Differenzierung ist anscheinend nicht nötig – ungeachtet der Tatsache, dass Togo und Kenia zwei verschiedene Länder sind, in sich kulturell verschieden. Die Menschen werden mit einem Narrativ gezeichnet, das sie alle in einen Topf wirft: den Topf der armen Afrikaner*innen, die keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, und denen geholfen werden muss. Darüber sind wir doch hinaus, mag man denken. Doch gerade Afrika wird viel zu oft bis heute als ein einziger Fleck Erde wahrgenommen. Nicht zuletzt, weil sich Deutschland bis heute weigert, sich mit seiner kolonialen Vergangenheit in einem angemessenen Maß auseinanderzusetzen.
Ingenieure ohne Grenzen Leipzig räumt ein, dass das Vorgehen mit der Übertragung der Geschichte nicht optimal sei. Man müsse aber zunächst Geld sammeln, um dann nach Kenia zu reisen und dort mit Menschen zu sprechen, wahre Geschichten zu erfahren und diese dann zur weiteren Werbung zu nutzen. Anders als mit emotionalen Geschichten wie Kodjos lasse sich leider kein Spendengeld generieren. Das mag stimmen. Doch wie das Wort schon sagt, ist auch die Spendenlobby eine Lobby, voll von Wirtschaftsakteur*innen, die von globaler Ungerechtigkeit unfassbar profitieren. Und Entwicklungszusammenarbeit, wenn man denn den letzten Teil des Wortes wirklich ernst nimmt, sollte den Prozess auch anders herum denken können. Kontakt zu Menschen vor Ort sollte bestehen, bevor Gelder generiert werden. Im Fall des geplanten Projektes in Kenia war dies sogar offenkundig der Fall: gestoßen sei die Gruppe auf das Projekt durch einen in Dresden lebenden Mann, der in Wanga geboren wurde. Er habe Kontakte zu seinem Heimatdorf. Womöglich aber keine, die die Spender*innen tief genug berühren, die nach Aussage von Ingenieure ohne Grenzen vor allem aus Ingenieur*innenkreisen stammen. Es scheint rentabler, das Bild weiter pflegen, dass die deutschen Ingenieurskünstler*innen wissen, wie es richtig geht, mit der Bildung, mit dem technischen Know-How und dem medizinischen Hintergrundwissen. Das sagt zumindest eines der Fotos in der Infobroschüre: ein weißer Mann inmitten einiger Men of Colour, der ihnen etwas erklärt.
Die restlichen Fotos zeigen lachende Kinder, die übereinanderklettern und offenkundig gesund sind. Kodjo ist nicht unter ihnen, auch wenn seine Geschichte hier erzählt wird. Er lebt ziemlich genau 6.278 Kilometer entfernt in Togo. Sensibilität für die Menschen, über die in den Broschüren gesprochen und mit denen geworben wird, ist unerlässlich für Hilfsorganisationen, denn gewissermaßen sammelt man ungefragt mit ihren Geschichten Geld, von denen dann Andere profitieren. Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
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