Zwischen zwei Welten
Vergangene Woche stellte die Leipziger Regionalgruppe von Ingenieure ohne Grenzen ihr neuestes Projekt in einem kleinen Dorf in Kenia vor. Ihre Berichte schwankten zwischen Begeisterung und Mitleid.
Glühweingeruch erfüllt die Luft, aus Musikboxen scheppert leise Weihnachtsmusik, während der Seminarraum in der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK) sich mit Menschen füllt. Vor dem Vortrag, für den alle hergekommen sind, unterhalten sich die Anwesenden miteinander. Man kennt sich. Ein paar Mitglieder der Ingenieure ohne Grenzen tragen blaue Shirts mit dem Aufdruck der Organisation.
Ingenieure ohne Grenzen ist ein gemeinnütziger Verein, der 2003 von neun Ingenieuren und einem Volkswirt in Marburg gegründet wurde. Sein Ziel ist es, ähnlich wie Ärzte ohne Grenzen, in benachteiligten Regionen zu helfen, allerdings infrastrukturell und nicht medizinisch. Inzwischen gibt es deutschlandweit 29 Regionalgruppen. Ungefähr 1000 Mitglieder engagieren sich aktiv, von ihnen sind etwa zwei Drittel Studierende, nicht nur aus den Ingenieurwissenschaften. Sie unterstützen beim Bau von sanitären Anlagen in Uganda, helfen beim Wiederaufbau nach einem Erdbeben in Nepal oder geben technische Kurse für Geflüchtete in Deutschland.
Die Leipziger Regionalgruppe existiert seit 2010. Hier sind die meisten ehrenamtlich Engagierten bereits berufstätig, obwohl sie gerne mehr Studierende auch aus anderen Studiengängen aufnehmen würden, wie Niels, ein langjähriges Mitglied in Leipzig, berichtet. Seit der Gründung haben sie ein Projekt vollständig umgesetzt, eine Zisterne für einen Kindergarten in Togo. Das Nächste befindet sich gerade in der Erkundungsphase. In dem Dorf Wanga in Kenia fehle es an sanitären Einrichtungen und sicheren Häusern für einige Bewohner*innen.
Ein Projekt läuft bei Ingenieure ohne Grenzen in der Regel so ab: Erst wird das Gebiet, meist ein Dorf, erkundet, dann werden die Hilfen geplant und umgesetzt. Anschließend werden die Ergebnisse von den Mitgliedern der Regionalgruppe und von den Bewohner*innen vor Ort, die hier Partner heißen, evaluiert. „Unser Ziel ist es, Wissen weiterzugeben“, sagt Niels. Die Freiwilligen wollen nicht nur etwas bauen und dann wieder verschwinden, sondern die Menschen vor Ort aktiv einbinden. Sie versuchen, langfristig Resultate zu schaffen. „Die Lösungen sollten zehn oder 20 Jahre halten.“ Wenn es gut läuft, würden auch die deutschen Ingenieur*innen am Ende etwas lernen, denn in den Regionen, in denen sie arbeiten, seien die Bedingungen oft herausfordernder als in Deutschland. „Wir nehmen auch Ideen mit zurück“, merkt Niels an. Gleichzeitig sei die Arbeit auch erfüllend: „Es ist schön, etwas konkret verändern zu können. Zum Beispiel, wenn Kinder Wasser aus der Zisterne trinken, die du mitgebaut hast.“
Manchmal gibt es allerdings auch Probleme: Einige sind praktisch – etwa die Schwierigkeiten bei der Beschaffung von bestimmten Baustoffen – andere beziehen sich auf Entwicklungszusammenarbeit im Allgemeinen. Wie können sich die Mitglieder sicher sein, dass sie tatsächlich helfen? Dabei sei Kommunikation das Wichtigste, erklärt Niels. „Wir wollen ein vertrauensvolles Verhältnis schaffen und die Partner vor Ort von Anfang an einbinden.“ Schwierigkeiten ergeben sich zum Beispiel daraus, dass die Organisation auf Spenden angewiesen ist. „Auch wir sind leider nicht ganz aus den allgemeinen Tendenzen der typischen Spendenlobby ausgeschlossen.“ Kleine Kinder brächten mehr Spenden als Altersheime und um möglichst viel Geld zu bekommen, brauche es aussagekräftige Geschichten. So findet man auf zwei Flyern der Ingenieure ohne Grenzen Leipzig die gleiche Erzählung über den kleinen Jungen Kodjo, der sich Sorgen um seine kleine Schwester Kafui macht. Dies ist, laut Niels, nötig gewesen, um die erste Erkundungsreise nach Kenia überhaupt zu finanzieren.
In dem Raum der HTWK haben sich die Anwesenden um kleine Tische herum verteilt. Es sprechen drei Mitglieder von Ingenieure ohne Grenzen. Sie sind gerade von einer elftägigen Erkundungsreise im kenianischen Dorf Wanga zurückgekehrt. Auf genau diesen Ort sind sie in Zusammenarbeit mit einem jungen Mann aus Dresden gestoßen, der dort aufgewachsen ist. Er ist heute anwesend, Redezeit hat er allerdings keine. Mit dem Wissen, das sie in Wanga gesammelt haben, soll nun das nächste Projekt geplant werden: Wer braucht etwas am Nötigsten? Soll eher die Vorschule im Ort oder ein einzelner Haushalt unterstützt werden? Während des Vortrages strahlt ein Beamer Bilder der trockenen, kenianischen Landschaft, von Schulkindern und den Ältesten des Dorfes an die Wand. Der Abstand könnte kaum größer sein zu dem winterlichen Seminarraum in der HTWK.
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