Hausinterne Gentrifizierung
Es sind nicht immer Immobilienkonzerne, die dich entmieten. Manchmal sind es auch deine einstigen Nachbarn. Kolumnist Dennis ist über dieses Phänomen gestolpert.
Ihr alle kennt Gentrifizierung. Natürlich, denn da ihr alle aus Stuttgart, Braunschweig und München hierhergezogen seid, weil ihr euch weder die genannten Orte, noch Berlin leisten könnt, seid ihr – ob gewollt oder nicht – Teil dieses Problems geworden. Also das Problem, bei dem ein Viertel oder eine ganze Stadt durch großen Zuzug aufgewertet wird, das immer mehr Leute anzieht, sowie Spekulanten, die Immobilien erwerben, dann sukzessive die Preise nach oben treiben, bis sich die bisherigen Bewohner den Altbau schließlich nicht mehr leisten können und wegziehen müssen.
Übrig bleibt dann meistens nur die vegane-Helikoptereltern-SUV-Fraktion. Und obwohl wir an dieser Entwicklung, wie schon gesagt, selbst unseren Anteil haben, beschränkt sich das verbreitete Feindbild regelmäßig nur auf den bösen Vermieterhai: Den Kapitalisten, der die lokale Kreativszene zerstört, Studierende auf die Straße setzt und dich im Zweifel aus der Hütte mobbt.
Neulich bin ich im Zuge meiner Tätigkeit bei der studentischen Rechtsberatung auf ein mir bisher unbekanntes Phänomen gestoßen – die hauseigene Gentrifizierung.
Der Unterschied: Hier sind es deine eigenen Nachbarn, denen du ein Dorn im Auge bist. Im konkreten Fall hatte sich meine Mandantin als Einzige nicht der neugegründeten Hausgenossenschaft angeschlossen. Und dafür hatte sie auch verdammt gute Gründe! Denn als Studentin einen großen Geldkoffer auf den Tisch zu legen, um damit einen Altbau zu kaufen, bei dem schon der Putz von der Fassade fällt, die Substanz in einem semi-guten Zustand ist und keiner der anderen Mitgesellschafter betriebswirtschaftliche oder juristische Kenntnisse hat, wäre nicht klug. Es ist ein ziemlicher Stunt, der gut gehen kann, aber halt auch nicht. Und nicht abschätzbare Folgekosten als Damoklesschwert über dir hängen zu haben ist auch nur bedingt angenehm.
In dem von mir beschriebenen Fall im Leipziger Osten dachte sich besagte Studentin aber, dass sie ja weiter Miete zahlt und mit den Leuten im Haus per du ist, das also eigentlich kein Problem sollte – tja, weit gefehlt.
Das Faszinierende an der menschlichen Natur ist: Gibst du jemandem Macht, zeigt er seinen wahren Charakter. Und wenn du nun quasi ein Mehrparteienhaus in deinem Portfolio hast, ist das schon eine ziemlich starke Position. Mit Macht geht halt auch fast immer der Wunsch nach mehr Geld einher. Und so eine Genossenschaft in einem Haus mit den beschriebenen Problemen braucht viel Geld.
Nun sitzt du als Mieter auf dem Thron des starken deutschen Mietrechts und kannst dich schön auf deinen Rechten ausruhen, während die anderen Geld und Risiko investiert haben, also wird direkt die große Säge angesetzt. In unserem Fall war es ein Dachbodenabteil, das besagte Studentin mit viel Mühe und über viele Jahre zu einem kreativen Hobbyraum umgebaut hatte – mit dem Segen des vorherigen Vermieters und ohne, dass es irgendeine Sau gestört hätte. Also hast du bald einen Vertrag im Briefkasten, mit dem du diese Fläche anmietest, oder du räumst das Abteil und kannst schauen, wie du mit den Sachen in deiner Zweiraum-Bude Tetris spielst. Dass sie auch ohne diesen Vertragswisch rechtlichen Anspruch auf die Fläche hat, interessiert die Genossenschaft herzlich wenig. Auch nicht, dass du wenigstens eine Mindestmietzeit von drei Jahren willst, denn sie wollen dich ja schließlich loswerden.
Zwar gibt es dann noch ein paar Gespräche mit selbstgebackenen Keksen, Verständnis und Zusicherungen, doch die sind spätestens nach einer Woche wieder vergessen. Und hier liegt ein weiterer Unterschied zur Entmietungsmafia: Man täuscht zumindest Menschlichkeit und Solidarität vor. Doch am Ende können auch der linksalternative Lebensstil und die warmen Worte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es eben nur um eins geht – Geld. Ich weiß nicht, ob mir da das übliche Investorenklientel nicht doch lieber ist, denn immerhin weiß ich dort, woran ich bin. Schlussendlich hat die Mandantin trotz meines intensiven Abratens den Vertrag unterzeichnet, denn so ein Streit – im Zweifel auch vor Gericht – mitsamt Drohungen im eigenen Haus, ist psychisch einfach belastend.
Die Moral von der Geschichte? Mit Schwarz-Weiß-Denken kann man dieser Problematik nicht begegnen. Jeder kann Täter und Opfer werden und wir alle sind immer noch Teil dieses Systems.
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