„Es könnte knallen, muss es aber nicht“
Der „Arbeitskreis Nordafrika-Nahost“ lud gemeinsam mit dem Orientalischen Institut am Dienstagabend ein, Michael Lüders und seinen Einschätzungen zur Lage im Iran zuzuhören.
Der Vortragssaal der Albertina ist am Abend des 7. Januars voll. Geladen ist ein Gast von nicht wenig Prominenz: Der Politik- und Islamwissenschaftler Michael Lüders, unter anderem bekannt für seinen Bestseller „Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet“, in dem er den USA einen wesentlichen Anteil an der aktuellen Situation in der Westasien-Nordafrika-Region (WANA-Region) zuweist.
Die Aktualität des Themas Irans sei Zufall, so Sebastian Maisel, Professor für Arabische Sprach- und Übersetzungswissenschaft am Orientalischen Institut, in seiner Ansprache. Der Vortrag ist Teil einer Reihe, die der „Arbeitskreis Nordafrika-Nahost“ organisiert. Der nächste soll am 21. April stattfinden und sich mit der aktuellen Lage in Ägypten befassen.
Lüders beginnt seinen Vortrag mit Kritik an den dominanten Narrativen zum Iran, die er im Laufe des Abends mehrfach betont. Die dominante Wahrnehmung des Irans als „Schurkenstaat“ habe nichts mit den Fakten zu tun und hänge mit der fehlenden Kenntnis historischer Hintergründe zusammen. So sei auch die Ermordung Kassem Soleimanis durch einen US-amerikanischen Luftangriff vor einigen Tagen in Politik und Medien mehrheitlich zwar als Fehler der USA bezeichnet, jedoch nicht als völkerrechtswidrig verurteilt worden. Völkerrechtsverletzungen seien nur dann welche, wenn sie nicht von den Mächtigen begangen werden, kritisierte er.
Ausführlich geht Lüders auf die Geschichte des Irans und vor allem dessen Beziehungen zu den USA ein. Nachdem das damalige Staatsoberhaupt Mossadegh die vormals in britischer Hand befindliche iranische Erdölförderung verstaatlichte, brachten britische und US-amerikanische Geheimdienste 1953 durch einen Putsch Mohammad Reza Pahlavi an die Macht. Dieser verfolgte mit Unterstützung der USA einen Modernisierungskurs im US-amerikanischen Sinne und unterdrückte mit Hilfe des iranischen Geheimdienstes SAVAK die eigene Bevölkerung massiv. Dass die iranische Revolution von 1979 auch eine Nachwirkung dieser Regierung ist, wird laut Lüders im westlichen Narrativ gerne ignoriert. Ebenfalls ein Trugschluss sei die Annahme, dass die Antagonie zwischen Iran und USA eine Art Naturgesetz darstellt, wie die militärische Kooperation zwischen beiden Staaten bis ins Jahr 2002 zeige. Der vermeintlich fanatische, grundlose Hass der Iraner*innen auf die USA und „den Westen“ werde unter Einbezug dieser Hintergründe in ein anderes Licht gerückt.
Im westlichen Narrativ gebe es eine transatlantische Wertegemeinschaft, die gegen „niederträchtige Schurkenstaaten“ agiere. Was man dabei in Medien und Politik gerne ignoriere, seien die geopolitischen Interessen des „Westens“, dem dieses Narrativ hilft, diese auch durchzusetzen. Dass keine der EU-Regierungen den Mord an Soleimani verurteilt hat, zeigt laut Lüders, wie unterschiedlich Verbrechen bewertet werden.
Nach dem Tod Soleimanis sei die Stimmung auf den Straßen Teherans und Bagdads gekippt. Regierungskritische Proteste in Bagdad, die den Einfluss des Irans im Irak kritisch betrachten, seien aufgrund der Verschärfung der Situation untergegangen. Die Wut nach dem Anschlag auf Soleimani sei groß und in der irakischen Bevölkerung werde der Abzug US-amerikanischer Truppen gefordert.
„Wie geht es weiter?“ fragt Lüders am Ende seines Vortrags. Er prognostiziert, dass der Iran mit Sicherheit auf die Angriffe der USA reagieren werde, weil die iranische Führung sonst an Ernsthaftigkeit einbüße. Am fünften Januar hatte Trump angekündigt, 52 Ziele im Iran anzugreifen, sollte der Iran sich tatsächlich rächen. Laut Lüders „könnte es knallen, muss es aber nicht.“ Einen offenen Krieg werde es zwischen Iran und USA nicht geben, sollte aber die falsche Person zur falschen Zeit einen dummen Fehler machen, könnte ein Eskalieren der Situation die ganze WANA-Region in Brand stecken.
Nach dem Ende des Vortrags ist die Zeit zum Fragenstellen kurz bemessen. Kritische Stimmen aus dem Publikum sind nicht zu vernehmen. Lüders ist eine prominente Persönlichkeit, aber nicht unumstritten. Auch nach eigenen Angaben wird ihm häufig der Vorwurf des Verschwörungstheoretikers gemacht. Seine Betonung, dass wir im Bezug auf den Iran reflexartig und gefangen im Narrativ des „bösen Iran“ argumentieren, hat mit Sicherheit seine Berechtigung. Wenn man sich nur die Fakten ansehe, so werde klar, dass hinter diesem Narrativ die geopolitischen Interessen der USA stünden, sagt er. Der Zynismus, der seinen Vortrag begleitet, und die abwertende Bezeichnung gewisser Akteure geben seiner Argumentation – gepaart mit einer ordentlichen Portion Selbstsicherheit – eine unbestechliche Überzeugungskraft.
Seit Dienstagabend überschlagen sich die Ereignisse. Der Iran griff am Mittwoch US-amerikanische Militärbasen im Irak an. Außerdem stürzte einer ukrainische Passagiermaschine kurz nach ihrem Start in Teheran ab, wobei über 170 Personen ums Leben kamen. Die Umstände sind zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch ungeklärt.
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