Durch die Hölle gehetzt
Regisseur Sam Mendes stellt mit „1917“ erneut sein Talent für innovative Inszenierungen unter Beweis. Zwischen eindrucksvoll inszenierter Barbarei und Natursymbolik hetzt er durch die stille Hölle.
Kriegsfilm oder Anti-Kriegsfilm? Diese Frage muss sich jeder Film gefallen lassen, der Soldat*innen durch eine Kriegsszenerie treibt. Auch bei „1917“ löst der Trailer zunächst das Gefühl aus, eine Neuauflage der Weltkriegs-Action à la „Der Soldat James Ryan“ (1998) serviert zu bekommen. Grausam und brutal, aber doch Freude an Action und Geballer. Diese Erwartung erfüllt „1917“ nicht. Zwar erinnert die etwas fingiert wirkende Handlung stark an „Der Soldat James Ryan“: Ein englischer Soldat muss hinter die feindliche Frontlinie, um britische Truppen, unter ihnen sein Bruder, vor einem deutschen Hinterhalt zu warnen. Dennoch ist der Vergleich mit dem ruhig inszenierten „Dunkirk“ (2017) angemessener, der das zermürbende Warten britischer Soldaten auf Evakuierung von der französischen Kanalküste darstellte.
Besonders die Musikgestaltung ähnelt sich stark. Beginnt der Film zunächst friedlich im rauschenden Gras, kündigt schon bald ein unheilvolles Dröhnen den mörderischen Verlauf an. Wie eine anonyme Bedrohung taucht dieser Sound über den Film hinweg immer wieder auf, obwohl viele Szenen beklemmend still daherkommen.
Doch nicht nur die unterschwellig rumorende Filmmusik sorgt für Anspannung. Der von Anfang bis Ende durchgehaltene, virtuose One-Shot treibt Kinogast und Protagonist gleichermaßen durch die Handlung. Dem hervorragenden Schauspiel von Hauptdarsteller George McKay bleibt dabei leider nur wenig Zeit. Denn sein schauspielerisches Potential zeigt McKay besonders in den wenigen Dialogszenen. Nicht umsonst lautet der Untertitel des Films „Zeit ist der Feind“. Gehetzt dringt der von McKay gespielte Soldat Schofield immer weiter in das seltsam ruhige Feindesland vor, das trotzdem voller Gefahren ist.
Ein wichtiges Motiv bleibt den gesamten Film hindurch die Natur. Sie bietet friedlichen Raum für die kurzen Atempausen des Films. Ihre Zerstörung aber ist allgegenwärtig. Sei es die lebensfeindliche Mondlandschaft der Frontlinie oder getötete Kühe und frisch gefällte, noch in voller Blüte stehende Kirschbäume im Hinterland. Angekommen in einem französischen Städtchen, in dem von Natur nichts mehr zu sehen ist, befindet sich Schofield dann mitten im Inferno. Und stets ist klar, wer für die höllische Zerstörung verantwortlich ist: der Mensch. Auch dieser Film scheint nicht auf einen Kommentar zu den gegenwärtigen Folgen rücksichtslosen Raubbaus verzichten zu können.
Irritierend ist allerdings, dass diese naturfeindliche Kraft ausschließlich in ruchlosen deutschen Soldaten personifiziert ist, die nichts kennen als Mordlust und Zerstörungswut. Das ist dann auch einer der schwächsten Aspekte dieses Films. Die unterschwellige Anspielung, dass auch der Erste Weltkrieg wesentlich von Deutschland ausging, ist zwar historisch korrekt. Dennoch ärgert die etwas plumpe schwarz-weiß-Darstellung der beiden Seiten. Während die englischen Soldaten fast durchweg rechtschaffene, im Kern friedliche Männer sind, scheint sich in den deutschen Soldaten bereits der blutrünstige Nazi anzukündigen. So gewährt der Gang durch den britischen Schützengraben erstaunlich zahlreiche Blicke in höchst individuelle Gesichter. Die fast schon dämonischen deutschen Soldaten hingegen bleiben mit wenigen Ausnahmen eine gesichts- und charakterlose Bedrohung. Schon 1917 kämpft Menschlichkeit gegen Barbarei, so scheint es.
Während die Regie hier etwas schematisch vorgegangen ist, kann der Film an anderer Stelle punkten. Die Soldaten rauchen, als ob ihr Leben davon abhinge und fluchen in feinstem britischem Slang. Und endlich bringt diese Bemühung um historische Authentizität auch Soldaten aus den britischen Kolonien in Afrika und Indien auf die Leinwand. Im Hintergrund zwar, dafür aber ohne klischierte Nebenrollen.
Aber zurück zur anfangs gestellten Frage: Ist der Erste Weltkrieg hier bloßer Schauplatz oder Exempel für ein pazifistisches Plädoyer? Bis auf einen winzigen Dialog um Sinn und Unsinn einer Kriegsmedaille, einen weinenden Offizier und Darstellungen der Kriegsgrausamkeit, scheint der Film sein Sujet nur wenig zu reflektieren. Tatsächlich aber haftet hier keinem Tod etwas Helden- oder gar Sinnhaftes an. Niemand in diesem Film will den Krieg. Und die große Heldentat in diesem Film besteht eben in der Vermeidung von Tod, nicht in der erfolgreichen Überwindung des Gegners. Das macht vielleicht noch keinen Anti-Kriegsfilm. Trotzdem bleibt „1917“ nach „Dunkirk“ ein erfreulicher Gegenentwurf zu Weltkriegsgemetzel nach Art von „Der Soldat James Ryan“.
Ab 16. Januar im Kino
Fotos: 2019 Universal Pictures and Storyteller Distribution Co., LLC. All Rights Reserved.
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