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  • Nie wieder Flugscham

    Die Luftfahrtbranche stellt detailliert ihre Klimaschutzstrategie vor, die zwar viele gute Ideen enthält, aber noch lange nicht ausreicht.

    Mit Beginn dieses Jahres ist das internationale Emissionshandelssystem Corsia (Carbon Offsetting and Reduction Scheme for International Aviation) in Kraft getreten, das den Handel mit CO2-Zertifikaten im Luftverkehr regelt. Dadurch soll die Luftfahrt ab 2020 klimaneutral wachsen.

    „Klimaneutralität bedeutet nicht, dass man gar keine Emissionen mehr ausstößt“, erklärt Paul Lehmann von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig, „sondern, dass die Emissionen, die ausgestoßen werden, an anderer Stelle vermieden werden. Zum Beispiel, indem man Bäume pflanzt oder von Kohle auf erneuerbare Energien umstellt“, sagt er und fügt hinzu: „Da CO2 ein global wirkender Schadstoff ist, ist es für den Klimawandel egal, ob es in Deutschland vermieden wird oder in Afrika.“

    Beim Emissionshandel wird, im Gegensatz zur Emissionssteuer, nicht von vornherein ein Preis festgelegt. Stattdessen entsteht dieser durch den Handel mit den verfügbaren Zertifikaten. Damit das funktioniert, müsse die Politik aber eine ausreichend strenge Obergrenze durchsetzen. „Sonst entsteht kein Preis und damit auch kein Anreiz, CO2 einzusparen“, sagt Lehmann.

    Bei Corsia wird allerdings nur das Wachstum der Emissionen kompensiert. Das bedeutet, die Fluggesellschaften messen, wie viel CO2 sie jährlich ausstoßen. Ab nächstem Jahr müssen sie dann alle Emissionen kompensieren, die über dem Bezugswert von 2020 liegen, also entsprechend Zertifikate kaufen. Der Erlös fließt an zertifizierte Klimaschutzprojekte, die anderswo Emissionen einsparen. Allerdings ist Corsia erst ab 2027 für die Mitgliedsstaaten verpflichtend. Die Staaten, die wie Deutschland bereits freiwillig teilnehmen, machen zusammen 77 Prozent des weltweiten Luftverkehrsaufkommens aus.

    Alle innereuropäischen Flüge sind zusätzlich seit 2012 vom europäischen Emissionshandelssystem (EU-ETS) abgedeckt. Ursprünglich wollte die EU alle Flüge, die in ihrem Gebiet starten oder landen, in das Handelssystem mit aufnehmen, dagegen protestierten jedoch viele Drittstaaten wie China, Russland oder die USA. Auch jetzt monieren die europäischen Fluggesellschaften, die doppelte Abdeckung ihrer Flüge sei eine unfaire Wettbewerbsverzerrung. Trotzdem gilt EU-ETS für diese Flüge noch bis 2023. Was danach passiert, ist noch nicht entschieden.

    Corsia ist nur ein Teil einer größeren, im Jahr 2009 beschlossenen Klimaschutzstrategie der Luftfahrtbranche, die der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft auf einem Klimaschutzportal im Internet vorstellt. Diese besteht, wie dort zu lesen ist, aus drei Zielen: „Der Treibstoffverbrauch soll pro Jahr um 1,5 Prozent sinken, ab 2020 soll das Wachstum des Luftverkehrs CO2-neutral erfolgen und bis 2050 sollen gegenüber dem Jahr 2005 die netto-CO2-Emissionen der Luftfahrt halbiert werden.“

    Das erste Ziel konnte bisher eingehalten werden. Für die Einhaltung des zweiten Ziels soll nun Corsia sorgen. Da dabei aber nur der Zuwachs an Emissionen kompensiert wird, ist das fürs Klima noch kein echter Fortschritt. Das dritte Ziel soll vor allem durch sogenannten „grünen Treibstoff“ erreicht werden, also Kerosin, das entweder aus Biomasse gewonnen oder synthetisch hergestellt wurde. Beim Kerosin aus Biomasse gehen jedoch Flächen verloren, die man sonst für den Anbau von Nahrungsmitteln nutzen könnte.

    Bezüglich des synthetischen Kerosins fügt Lehmann hinzu: „Das funktioniert zwar, es ist aber gegenwärtig relativ teuer, und die Frage ist, was man sonst mit dem Strom machen könnte. Ein Großteil der Energie, die im Strom steckt, geht verloren, wenn man damit synthetische Kraftstoffe herstellt.“ Diese seien auch nur sinnvoll, wenn sie wirklich aus Erneuerbaren produziert werden. „Wenn man die Luftfahrt nachhaltiger gestalten will, reicht es nicht aus, auf andere Kraftstoffe umzustellen“, sagt Lehmann. „Man wird auch weniger fliegen müssen.“

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