Deakademisiert
Ihr habt das Gefühl, an der Uni fehl am Platz zu sein, weil ihr viel lieber praktisch arbeiten würdet und generell vom wissenschaftlichen Betrieb genug habt? So geht es auch Kolumnist Dennis.
Meine Klassenlehrerin in der Realschule hat mal gesagt: „Dennis sehe ich eigentlich nicht als Gymnasiast.“ Andere Lehrer hatten ähnliche Bedenken. Eigentlich wollte ich auch immer was mit den Händen machen, etwas erschaffen. Erst mit Autos, später was mit Flugzeugen. Der Wunsch zur Theorie kam erst nach dem Wechsel auf das Gymnasium mit Informatik auf und schließlich landete ich relativ spontan bei Jura, der ich nun schon seit fast einer Dekade nachlaufe. Die Entscheidung, an einer Uni zu studieren, kam dabei aber nicht alleine aus dem Fach, sondern auch aus dem Wunsch am hochgepriesenen Studentenleben teilzuhaben und wegen des Akademikerstatus. Eine Ausbildung kam für mich nicht mehr in Frage.
Im ersten Semester merkte ich recht schnell, dass ich ziemlich am Schwimmen war und mich zum Lernen zwingen musste – ein Déjà-vu aus meiner Schulzeit und beste Voraussetzungen für ein Fach wie Jura also. Aber ich arrangierte mich damit. Acht Jahre später muss ich jedoch feststellen, vielleicht hatte meine Klassenlehrerin nicht ganz Unrecht.
Doch warum eigentlich? Das Unileben mit allen Facetten machte und macht auch noch heute Spaß: Vorlesungen, Diskussionsrunden, Projektarbeit, Engagement, interessante Leute treffen und nicht zuletzt die große organisatorische Freiheit meiner Studienordnung. Da das Rechtsstudium auch eher mit einer Ausbildung zu vergleichen ist („Juristische Ausbildung“), suchte ich mir nebenher noch Veranstaltungen, die einen tieferen wissenschaftlichen Schwerpunkt hatten und ging dafür auch gerne morgens um 7 Uhr in die Uni.
Doch spätestens nach der dritten Existenzkrise stellt man sich die Frage: Was will ich mal erreichen und wofür will ich mich einsetzen? Und spätestens nach der 324. Diskussion über ein beliebiges politisches oder soziologisches Thema fragte ich mich, ob ich mich damit bis zum Rentenalter und darüber hinaus herumärgern will. Vielmehr stellte ich eine Abneigung fest, vielleicht auch eine Überforderung mit den ganzen Themen, über die man Bescheid wissen muss, um „mitreden“ zu können.
Denn ich möchte etwas machen, etwas gestalten, nicht über irgendwelche Theorien diskutieren. Ich kann auch klassischer Musik, Theater, Oper oder anderem dergleichen nichts abgewinnen und nein, ich möchte mir das auch nicht „nur einmal“ anschauen. Ich möchte in meiner Freizeit auch keine Romane oder philosophische Werke lesen. Ich möchte abends nach einem Lerntag in der Bibliothek DSDS oder irgendeinen anderen Quatsch schauen.
Ich habe keine Lust mehr, mit intellektuellen Selbstdarstellern ewige, sich im Kreis drehende Debatten darüber zu führen, ob denn nun wahlweise Sozialismus oder Kapitalismus Lösung oder Problem unserer Zeit ist. Auf die man sich aber trotzdem immer wieder einlässt, mir am Ende aber nichts bringen außer schlechter Laune. Und genau da liegt mein Problem, denn weil ich Teil dieser Leute sein wollte, habe ich mich für die Universität entschieden, um nun festzustellen, dass ich mit diesen Leuten im Grunde nicht viel gemein habe. Statt früh an den Stammplatz in der Bibliothek würde ich lieber an eine Werkbank gehen und irgendwas bauen und am Ende des Tages sagen – Schaut her! Das habe ich heute geschaffen!
Hinzu kommt das von meiner Situation unabhängige Problem, dass immer mehr Abiturienten komplett ungeeignet für ein Studium sind, während im Handwerk und Dienstleistungssektor händeringend Leute gesucht werden, wobei Ausbildungsberufe auch konsequent als Lebenswege zweiter Klasse bezeichnet werden. Versteht mich nicht falsch, jeder sollte machen können, was er will. Nur sollte jeder ehrlich sein und sich fragen, ob er das wirklich will oder er es nur aus externer Motivation tut. Oder was spricht gegen einen soliden Handwerksberuf mit optionaler Selbständigkeit, samt gutem Lohn, Selbstverwirklichung und Verantwortung?
Natürlich werde ich mein Studium beenden und auch lebenslanges Lernen ist aus verschiedenen Gründen wichtig und richtig. Doch brauchst du dafür kein Studium und solltest dieses nur dann aufnehmen, wenn es dir selbst etwas bringt und nicht um jemandem was zu beweisen. Nach etlichen Jahren Studium habe ich diese Erkenntnis verinnerlicht und kann mich entspannt und ohne Druck zurücklehnen, wenn Kommilitonen eine Diskussion über die Kritische Theorie oder Queerfeminismus starten und ich mal nichts dazu beizutragen habe, aber dafür weiß was in der letzten Episode des Bachelor passiert ist.
Ob ich nochmal studieren würde, kann ich nicht sagen, denn hätte ich die zurückliegenden Erfahrungen nicht gemacht, würde ich sie wohl noch machen wollen.
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