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    Fake News, Twitter-Diskussionen, und ein Kampf um Deutungshoheit: Vieles ist in der Berichterstattung rund um die Silvester-Vorfälle in Connewitz missglückt. Ein medienkritischer Blick.

    Schlagzeilen wie „Brutale Straßenschlacht in Leipzig: Chaoten wollten Polizisten töten“ (Tag24) oder „Gewaltorgie“ (Kölnische Rundschau) bestimmten die morgendlichen Nachrichten am 1. Januar 2020. Zahlreiche Medien, unter anderem die Leipziger Volkszeitung (LVZ) und die Bild, übernahmen dabei ungeprüft die Aussagen einer Pressemitteilung der Polizei. Mittlerweile ist klar, dass einige Aussagen überspitzt oder falsch waren.
    „Das war ein Paradebeispiel für beschleunigte Kommunikation“, sagt Patrick Donges, Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Leipzig. Es kursierten bereits vor der Polizeimeldung vermeintliche Informa­tionen, beispielsweise auf Twitter. Die Pressemitteilung sei somit nach Einschätzung von Donges eher eine Reaktion auf die ohnehin schon vorhandene Debatte gewesen. „Sicher hätte es gereicht, zunächst sachlich von angegriffenen Beamten zu sprechen, die nun im Krankenhaus sind, anstatt dramatisierende Aussagen wie die einer Notoperation zu machen“, merkt er an.

    Nach der Blitzmeldung gab die Polizei am Nachmittag des 1. Januar bekannt, dass keine neuen Auskünfte erteilt werden können, da die Ermittlungen noch andauern würden. Das sächsische Landeskriminalamt schwächte in einer Meldung einen Tag später einige Aussagen deutlich ab. So ist in dieser nicht mehr von einer Notoperation, sondern von einer stationären Behandlung die Rede – mehr als 24 Stunden nach der ersten Pressemitteilung. Nachdem die Taz aus dem behandelnden Krankenhaus erfuhr, dass weder Lebensgefahr noch drohender Hörverlust bestanden hätte, räumte ein Sprecher der Leipziger Polizei ein, dass der Begriff „Notoperation“ missverständlich gewesen sei. Michael Hiller, Pressesprecher des Deutschen Journalistenverbandes (DJV) zeigt Verständnis für die Polizei. „Schreiben sie zu wenig, heißt es, sie hätten Informationen unterschlagen; schreiben sie zu viel, sei es wiederum irrelevant.“ Vor den Vorfällen hätte die Mehrzahl der Journalist*innen Polizeimeldungen im Allgemeinen als authentisch angesehen. Diese Wahrnehmung sei nun ins Wanken geraten.

    Der DJV warnte bereits im Sommer 2019 davor, Polizeimeldungen ungeprüft zu übernehmen. Laut Hiller spüren Redaktionen den Impuls, schnell auf ein Geschehen zu reagieren, um nicht hinterher zu hinken. So komme es zu Entscheidungen wie an Neujahr. „Um 5 Uhr morgens ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass jemand in der Redaktion sitzt, der mehr weiß als das, was in der Pressemitteilung steht.“ Dazu kommt laut Donges die chronische Unterbesetzung in Redaktionen, vor allem an Neujahr, und der hohe Zeitdruck. „Es gab eine frühe Auseinandersetzung um Deutungen, noch bevor klar war, was eigentlich passiert ist.“ Die Betonung liege dabei auf Deutungen. Was sich heute rasend schnell über die sozialen Medien verbreite, seien keine Nachrichten, sondern bereits Interpretationen. Auch die Polizei gebe keine objektiven Informationen heraus, sondern stelle Sachverhalte aus eigener Sicht dar. Diese sollte man laut Donges genauso infrage stellen wie jede andere Information. „Das ist das Problem beschleunigter Kommunikation im digitalen Zeitalter“, erklärt er. Gegen die Erwartung, immer in Echtzeit kommunizieren zu müssen, könne man nichts machen. „Wir können das Rad der Zeit ja nicht zurückdrehen und die sozialen Medien ungeschehen machen. So etwas wie einen Redaktionsschluss, bis zu dem recherchiert und nachgedacht werden kann, gibt es kaum noch. Mittlerweile ist und muss alles sofort online sein.“

    Auch Hiller kann keine ultimative Lösung nennen. „Jeder sollte sich ein bisschen Skepsis bewahren und sich sachkundig machen.“ Bei dieser Sachkunde anzuknüpfen, sei die Aufgabe der klassischen Medien. Demnach können die Vorfälle als Aufruf für Journalist*innen gesehen werden, gründlich zu recherchieren und Qualität zu liefern, auch wenn das bedeutet, langsamer zu sein. „Es ist eine Chance für den Journalismus, weiterhin akzeptiert zu werden und den sozialen Medien, in denen oft Fake News kursieren, überlegen zu sein.“

    Konsequenzen scheint die Pressearbeit der Polizei nun doch für zwei ihrer Mitarbeiter*innen zu haben: In einer Pressemitteilung am 23. Januar kündigte die Polizei „personelle Veränderungen“ an. Demnach wird der langjährige Pressesprecher Uwe Voigt seinen Posten räumen. Auch Andreas Loepki wird nicht mehr als Sprecher der Leipziger Polizei auftreten. Loepki fiel dadurch auf, dass er mit seinem privaten Twitter-Account öffentlich über die Polizei-Aussage der „Not-OP“ stritt. Auf die Frage verschiedener Medien, ob diese Personalveränderungen Folgen der Connewitz-Vorfälle sind, gab die Polizei bisher keine Antwort.

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