„Alle müssen ihren Beitrag leisten“
Die Klimakrise wird die Welt, in der wir leben, verändern. Über die Folgen für Leipzig sprach luhze-Redakteurin Lisa Bullerdiek mit dem Energietechnikexperten Jens Schneider von der HTWK.
Jens Schneider weiß seit seiner Schulzeit, dass er an der Entwicklung von erneuerbaren Energien mithelfen möchte. Zu diesem Zweck hat er Elektrotechnik in Duisburg und Berlin studiert, sechs Jahre bei einer Solarfirma gearbeitet und ist seit 2014 Professor an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig (HTWK). luhze-Redakteurin Lisa Bullerdiek sprach mit ihm über die Folgen der Klimakrise in Leipzig und nachhaltige Lösungen.
luhze: 2018 sind die Treibhausgasemissionen zum ersten Mal seit vier Jahren gesunken. Das geht aus einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Bundesumweltamtes hervor. Glauben Sie, dass wir hier einen Trend erkennen können?
Schneider: Auch 2019 haben sie sich reduziert. Das liegt an dem CO2-Zertifikathandel. Der wurde durch die EU reformiert, sodass die Preise für eine Tonne CO2 seit Ende Mai 2018 von fünf auf 25 Euro gestiegen sind. Damit ist die Stromerzeugung durch Braunkohle und Steinkohle teurer geworden. So ist die Produktion von Strom aus Kohle um etwa ein Drittel zurückgegangen. Auch der Stromexport ist zurückgegangen. Das hat einen entscheidenden Einfluss auf die Gesamtemissionen, aber in den anderen wichtigen Sektoren Wärme und Transport hat sich nichts getan. Wie das weiter geht ist also schwer zu sagen. Der Zertifikathandel scheint aber ein sinnvolles Mittel zu sein, wenn man es richtig einsetzt.
Wie wird sich Leipzig durch die Klimakrise verändern und gibt es bereits spürbare Auswirkungen?
Es ist immer schwer, kurzfristig zwischen Wetter und Klima zu unterscheiden. Wir haben aber alle den unmittelbaren Einfluss der letzten beiden Sommer miterlebt, die unglaublich heiß, trocken und sonnig waren. Ich hatte mal einen Studenten, der im Leipziger Umland bei der freiwilligen Feuerwehr war. Er hat von Überschwemmungen und Bränden berichtet, die vorher in dieser Form bei uns nicht aufgetreten sind. Auch Stürme oder starker Hagel sind möglich. Mir graut es davor, dass bei uns eines Tages das Trinkwasser ausgeht und sanktioniert werden muss, wie es zum Beispiel schon in Kalifornien der Fall war. Auch im Wald zeigt sich jetzt schon die fatale Kombination aus Stürmen und Trockenheit. Dort manifestiert es sich gerade am deutlichsten. Das Klima wird wärmer, bei dem Wetter wird man sehen, was das bedeutet.
Wie könnte ein gelungener Strukturwandel in Leipzig und der Region aussehen?
Leipzig macht glücklicherweise schon recht viel. Im Strombereich können einzelne Regionen wenig machen, weil das Stromnetz bundesweit vernetzt ist. Anders ist es bei der Wärme und beim Verkehr. Leipzig hat für Aufmerksamkeit gesorgt, weil es aus dem Fernwärmevertrag mit dem Kraftwerk Lippendorf ausgestiegen ist – 2023 soll der Vertrag enden. Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Außerdem soll ein Gaskraftwerk in Rekordzeit gebaut werden. Dabei darf man aber nicht die erneuerbaren Energien und das Fernwärmenetz vergessen. Beim Verkehr muss man so umdenken, dass die oberste Priorität zuerst auf Fußgänger, dann auf Radfahrer und Öffentlichen Personennahverkehr und dann erst auf das Auto gelegt wird.
Braucht es eher Innovationen oder politische Maßnahmen, um den Klimaschutz zu unterstützen?
Für die Energiewende braucht es beides. Ich kenne keine Simulation des zukünftigen Energiesystems, die nicht zu dem Schluss kommt, dass Wind- und Solarenergie für die Zukunft die entscheidenden Komponenten sind. Strom aus Solarenergie ist längst keine Innovation mehr. Es ist alles da, wir müssen richtigen Rahmenbedingungen schaffen. Gleichzeitig benötigen wir Innovationen, zum Beispiel um Stromerzeugung und Verbrauch zu synchronisieren. Sonst wird Deutschland den Anschluss an andere Länder verlieren. Eine Studie von Shell legt nahe, dass am Ende dieses Jahrhunderts die Solarbranche doppelt so hohe Umsätze machen könnte, wie die Ölbranche heute. Damit geht natürlich auch hoher politischer Einfluss einher. Es ist also nicht die richtige Entscheidung, sich auf diesem Markt zurückzuziehen.
Was muss sich an der Einstellung der Menschen in Bezug auf Klimakrise und Energiewende verändern?
Ich habe vor zwanzig Jahren studiert und damals fest daran geglaubt, dass wir die Energiewende schaffen, ohne dass wir starke persönliche Einschnitte hinnehmen. Heute denke ich, dass wir die Zeit für diesen Komfort nicht mehr haben. Je länger wir warten, desto schwieriger wird es. Es können auch nicht mehr nur die Ingenieurwissenschaften allein richten. Alle müssen ihren Beitrag leisten. Das, was Fridays for Future heute schafft, ist ein toller Weg. Wir haben es damals nicht hinbekommen, so eine Bewegung auf die Beine zu stellen. Die Energiewende ist eine riesige Herausforderung. Ich hoffe, dass wir auch ein bisschen Spaß dabei haben und es nicht nur schlimm wird.
Titelfoto: Robert Weinhold/HTWK Leipzig
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