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  • „Im Nationalismus liegt kein Funken Hoffnung“

    Die Klimakonferenz in Madrid 2019 hat viele enttäuscht. Sind unsere Erwartungen an solche Konferenzen zu hoch? luhze-Redakteurin Leonie Asendorpf hat bei Klimaökonom Reimund Schwarze nachgefragt.

    luhze: Sie waren als Vertreter des Leipziger Helmholtz Zentrum für Umweltforschung bei der Weltklimakonferenz „COP 25“ vergangenen Dezember in Madrid. Welche Bilanz ziehen Sie?

    Schwarze: Die COP hat nicht geliefert. Wir stehen auf dem Ergebnis der vorherigen Konferenz. Dadurch hat man nun die unglückliche Lage, dass es bei der nächsten Konferenz eher mehr Probleme gibt als weniger, was es noch schwieriger macht.

    Welche Erwartungen hatten Sie an die Konferenz?

    Auf der Ambitionsseite habe ich nicht erwartet, dass es zum Durchbruch kommt. Das stand nicht auf der Tagesordnung. Die kleine Hausaufgabe mit dem Emissionshandel hatte ich mir nicht so schwierig vorgestellt, weil dafür eigentlich genügend Zeit war. Das war nur einer von 15 Artikeln des Regelwerks von Paris. Ich hätte nicht erwartet, dass dieser Artikel 6 so quält, dass die ganze Konferenz kippt.

    Es gibt Konflikte, die quasi nicht lösbar sind. Dazu gehört der Ausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern, also das was die Aktivisten Climate Justice nennen. Das ist ein sehr langwieriger Prozess, weil bei jeder Konferenz nur ein klitzekleiner Beitrag hierzu geleistet wird. An diesem grundlegenden Konflikt ist die Konferenz nicht gescheitert, aber die Erwartungen der Aktivisten, dass nach einem Jahr von Protesten hier ein Durchbruch möglich sei, wurden enttäuscht.

    Woran ist die Konferenz dann gescheitert?

    Ich denke es wurde insgesamt zu viel von dieser Konferenz erwartet und dafür zu wenig vorbereitet. Länder wie China reagieren nicht spontan, zum Beispiel nur weil die EU einen Green Deal vorlegt. Hier müssen alle mehr Geduld haben. Eine bittere Enttäuschung war für mich, dass manche Länder versucht haben, den ohnehin langsamen Prozess ganz zu blockieren. Es gab auf der Konferenz erschütternde Momente, wo die Ideologie das beherrschende Moment war. Es gab irrationale Widerstände gegen Lösungen, die im Prinzip möglich waren.

    Eins der größten Streitthemen der Konferenz war der Emissionshandel, also ein marktwirtschaftliches Instrument, was das Klima schützen soll. Die Idee: Wenn Staaten die Atmosphäre mit Treibhausgasen belasten, müssen sie sich dafür Berechtigungen in Form von CO2-Zertifikaten kaufen. Woran ist der Paragraf zum Emissionshandel gescheitert?

    Letztendlich ging es hier vor allem um die Frage, wie die Übertragung von alten CDM-Rechten (Vereinbarungen zu alten CO2-Zertifikaten aus dem Kyoto-Protokoll von 1997, Anm. d. Red.) abläuft. Alle anderen Fragen waren nicht wirklich kontrovers. Bei den alten Kyoto-Rechten geht es summa summarum um etwa vier Gigatonnen (GT) CO2. Die Welt stößt jetzt jedes Jahr 37 GT neu aus. Vier GT, wenn sie alle anerkannt würden, sind viel, aber bringen uns nicht um. Warum also darauf so insistieren? Da in Madrid kein Kompromiss in der Frage gefunden werden konnte, wird diese Aufgabe weiter verschleppt.

    Politische Verfahren sind oft langsam und langwierig. Können Konferenzen wie die COP der Herausforderung Klimawandel überhaupt gerecht werden?

    Es gibt keine Alternative zum Multilateralismus. Die Lösung des Klimaproblems kann nur global sein. Und nochmal, das grundlegende Problem der Climate Justice kann nur in einem stetigen internationalen Prozess kleiner Schritte gelöst werden.

    In der Präambel der „Time for action declaration“ (dem Konferenzpapier der COP in Madrid, Anm. d. Red.) steht im ersten Hauptsatz, dass man stärker auf die Sorgen der jungen Leute und das Thema intergenerationaler Gerechtigkeit eingehen soll. Der zweite Satz lautet: „Wir müssen den Multilateralismus schützen.“ Für mich sind das die beiden Motive, die uns in Zukunft fortwährend leiten müssen, egal ob es eine Krise gibt oder alles im schlimmsten Fall einmal kollabiert wie 2009 in Kopenhagen. Wir müssen in solchen Krisenlagen die Hoffnung bewahren und diese Hauptsätze der Chile-Madrid-Erklärung fest vor Augen haben (Chile, ursprünglich als Konferenzort geplant, leitete die Konferenz in Madrid, Anm. d. Red.).

    Steht unser kapitalistisches System, das immer auf größtmögliches Wachstum setzt, politischen Maßnahmen zum Klimaschutz im Weg?

    Der Klimaschutz ist eine zivilisatorische Aufgabe. Wir müssen unseren Lebensstil ändern. Dabei geht es nicht um Kleinigkeiten. Mich erinnert es an die Abschaffung des Mittelalters, die Renaissance, oder später die Reformation. Auf dem Kaliber ist das Thema Klimaschutz angesiedelt. Wir müssen also unser System auf eine Art ändern, wie es den Protestanten um Martin Luther gelungen ist.

    Wovon ich mich damit scharf abgrenzen möchte, ist die Reduzierung auf die Frage Kapitalismus oder Sozialismus. Es gab und gibt auch sozialistische Systeme, die höchst verschwenderisch und gefährdend für die Zukunft der Welt waren. Im Sozialismus herrschten auch Materialismus und das Streben nach mehr Wohlstand. Kapitalismus versus Sozialismus hat wenig mit der Klimakrise zu tun.

    Es muss also etwas Drittes geben, etwas Neues. Dieses neue System muss auf jeden Fall weniger wachstumsorientiert sein. Dass wir, also die Industrieländer, nicht mehr wachsen dürfen, ist völlig unzweifelhaft. Wir sind übermäßig gewachsen. Wir müssen streng genommen schrumpfen.

    Ende 2020 findet in Glasgow die nächste große Weltklimakonferenz statt. Was werden die Themen sein?

    Da es bei der COP in Madrid keine Einigung zum Umgang mit den alten CO2-Zertifikaten gab, wird dieses Thema auch in Glasgow wieder präsent sein. Diesmal aber hoffentlich besser vorbereitet. Außerdem soll es eine große Abrechnung der Fortschritte der Industrieländer beim Klimaschutz zwischen den Jahren 2015 und 2020 geben.

    2023 wird dann der entscheidendere Moment sein, an dem die Ergebnisse mit dem 1,5-Grad-Ziel abgeglichen werden sollen. Alle diese Momente müssen gut vorbereitet werden. Da müssen zum Beispiel noch gemeinschaftliche Berichtformate gefunden werden, die für alle einheitlich eine Offenlegung ermöglichen, damit man tatsächlich die Summen gegeneinander aufrechnen kann.

    Haben Sie Hoffnung?

    Ja. Das Thema ist unausweichlich und die katastrophalen Folgen des Klimawandels werden immer spürbarer. Es wird immer schwieriger den Klimawandel zu leugnen. Ansonsten bin und bleibe ich ein Romantiker des Multilateralismus. Im Nationalismus liegt nur Rückschritt und kein Funken Hoffnung für eine Lösung dieses Problems. Im Gegenteil.

    Sie können mich beim Wort nehmen: Wenn wir uns nächstes Jahr wiedertreffen und das ganze kollabieren sollte, dann werde ich erneut auch sagen: „Lasst es uns wieder wagen.“ Egal wie weh es tut, was bei einer Konferenz rauskommt, die Alternativen tun viel mehr weh.

     

    Titelfoto: Sebastian Wiedling

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