Urban Wut
Kolumnistin Lisa fährt am liebsten mit dem Fahrrad, aber der Verkehr in der Stadt stresst sie und macht ihr die Freude daran kaputt. Sie findet, dass sich das ändern muss.
Ich liebe Fahrradfahren. Ich liebe den Fahrtwind auf dem Gesicht, mit dem Surren von Reifen auf Asphalt im Ohr von einem Ort zum anderen zu fahren, am besten im Sommer, mit wehenden Kleidern und einer Tasche voll Badesachen auf dem Gepäckträger. In meiner Erinnerung habe ich meine Jugend entweder auf meinem taubenblauen Rad oder auf irgendeiner Wiese verbracht. Das Fahrrad ist eigentlich ein perfektes Fortbewegungsmittel. Ich muss nicht in volle und stickige Bahnen steigen, es gibt immer freie Parkplätze und, egal wie spät es ist, ich komme immer nach Hause. Trotzdem fahre ich in letzter Zeit immer öfter mit der Bahn. Denn mit meinem Lieblingsfortbewegungsmittel zu fahren, stresst mich.
Auf meinem Weg zur Uni muss ich die Könneritzstraße entlang. Es gibt zwar einen Fahrradweg, aber fast jeden Tag steht irgendein Auto darauf und dann wechsele ich auf die Straße, werde angehupt, rege mich auf, habe Angst. So wie dort geht es mir an vielen Orten in der Stadt: Da ist die Stelle auf der Zschocherschen, wenn man über die Bahngleise auf die Straße fahren muss oder der Hügel am Adler. An dieser Stelle werde ich regelmäßig von vorbeihastenden Autofahrer von der Straße gedrängt. Auf der Jahnallee schiebe ich mittlerweile meistens. Dabei gilt Leipzig noch als fahrradfreundlich.
Ein Forschungsteam aus Karlsruhe hat vor ein paar Jahren das Stresslevel von Fußgänger*innen und Fahrradfahrer*innen in der Stuttgarter Innenstadt gemessen. Sie wollten, wie sie es nennen „Urban Emotions“ aufzeigen. So sollen stressige Stellen gefunden und die Situation dort verbessert werden. Den Teilnehmer*innen wurde ein GPS-Gerät und einen Pulsmesser umgeschnallt. Auf einer Karte leuchteten dann die Stresspunkte rot auf. Ich kann mir richtig vorstellen, wie das bei mir aussehen würde. Mein vier Kilometer langer Weg zur Uni wäre eine rote Linie durch den Westen. Da fährt ein Auto mit gefühlt fünf Zentimetern Abstand an mir vorbei und ich fluche innerlich, ein wenig später nimmt mir jemand die Vorfahrt, das zählt anscheinend nicht. Ich bin ja nur eine Fahrradfahrerin. Ich bin kein wütender Mensch, aber das macht mich so rasend, dass ich für ein paar Stunden angespannt bin und mir wünsche, ich hätte dem Autofahrer neben mir gegen seine verdammte Tür getreten.
Mein Stresslevel ist ein Problem, denn eigentlich gibt es in meinem Alltag wichtigere Dinge, mit denen ich mich beschäftigen könnte. Aber mein Stress ist begründet, denn Fahrradfahren in der Stadt ist gefährlich. Während im letzten Jahr die Zahl der Unfalltoten insgesamt abnahm, stieg die Zahl der Fahrradfahrer*innen, die bei Unfällen starben, um elf Prozent. Ich trage zwar einen Helm, aber das schützt mich im Zweifel auch nicht. Ich habe die Schnauze voll davon, Verantwortung für das rücksichtslose Fahrverhalten von anderen Menschen zu übernehmen. Die Wut, mit der ich mich durch Leipzig bewege, hat noch eine andere Auswirkung. Ich frage mich, wie es um die Solidarität einer Stadt steht, wenn jeden Tag auf ihren Straßen ein Kleinkrieg ausgefochten wird. Wie gut kann eine Stadt zusammenhalten, die sich jeden Tag tausendfach wütend durch Autoscheiben anfunkelt, anhupt, anschreit?
Was wir also brauchen sind politische Lösungen, denn immer mehr Menschen fahren Fahrrad oder wollen es gerne tun. Das Lager wird größer und es wird sich sicherlich nicht für immer auf den gepflasterten Streifen vor dem Bordstein verdrängen lassen oder auf Fußwege, um dann von Fußgängern angemeckert zu werden. Für uns muss die richtige Infrastruktur geschaffen werden, denn das Rad ist nicht nur nachhaltiger als das Auto, sondern solche Maßnahmen tragen auch dazu bei, dass wir alle einen stressfreieren und sichereren Alltag haben.
Mein Rad liebe ich trotz allem noch. Im Sommer will ich übrigens eine Radtour zur Ostsee machen, hoffentlich mit wenigen Autos auf dem Weg. Ich freue mich schon auf den Fahrtwind und die Sonne im Gesicht.
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