Wachstum mit Konsequenzen
Leipzig ist die am stärksten wachsende Stadt in Deutschland. Bis 2040 könnte sie sogar die 700.000-Marke knacken - ein Überblick über die Ausmaße und Auswirkungen.
Abwanderung, 3.000 Brachen und fast 70.000 leerstehende Wohnungen: Das war Leipzig vor zwanzig Jahren. Dass Leipzig zehn Jahre später die am stärksten wachsende Stadt in Deutschland sein würde, damit hätte niemand gerechnet, so Stadt- und Umweltsoziologe Dieter Rink vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung. Er ist einer der Mitwirkenden an der Bevölkerungsvorausschätzung 2019, die vom Amt für Statistik und Wahlen herausgebracht wurde. Diese will die Stadt nun für die kommenden Planungen von Verkehr, Wohnungen und Schulen nutzen.
Für die Bevölkerungsentwicklung hat die Vorausschätzung drei unterschiedliche Prognosen bis 2040 aufgestellt. Sie bilden einmal die wahrscheinlichste Variante ab und die beiden Extremszenarien, die sich zum Beispiel hinsichtlich der Geburtenrate oder der Zuwanderung unterscheiden. Die Hauptvariante besagt ein Bevölkerungswachstum von 70.000 Menschen im Vergleich zu 2018 (ca. 595.000 Einwohner*innen). Üblich sei so ein starkes Wachstum in Deutschland nicht. „Generell schrumpft die deutsche Bevölkerung. Städte, die wachsen wollen, brauchen eine substanzielle Zuwanderung.“, sagt Rink. Leipzig bildet hier auch eine Ausnahme, da sie eine der wenigen Städte mit einem natürlichen Wachstum ist – also mehr Geburten als Sterbefälle. „Das haben nicht viele Städte, vor allem nicht in Ostdeutschland.“ Sollte sich die obere Prognose bewahrheiten, werden bis 2040 sogar über 700.000 Einwohner*innen in Leipzig leben.
Dieses starke Wachstum bringt auch einige Konsequenzen mit sich. Mit einer steigenden Bevölkerung werden sich vor allem die aktuellen Engpässe bei den Themen Wohnen, Schulen und Kitas weiterhin verstärken. Hierzu meint Rink: „Wenn die Entwicklung so weitergeht, werden die Mietpreise weiter steigen und wir werden es mit anhaltender Wohnungsknappheit zu tun haben. Vor allem Leute, die keine großen Einkommen haben, werden Probleme haben.“ Schon jetzt sei zu erkennen, dass Hartz IV-Bedarfsgemeinschaften in die Plattenbaugebiete von Grünau verdrängt werden.
Außerdem braucht die Stadt bis 2030 mehr als 40 neue Bildungseinrichtungen um die über 21.000 zusätzlichen Schüler*innen zu beherbergen. Die Gruppe der schulpflichtigen Kinder (sechs bis 14 Jahre) wird bis 2040 den größten Zuwachs von ca. 20 Prozent haben. Dies sei erklärbar durch die schon heute gut besetzten Jahrgänge im jungen Erwachsenenalter (25- bis 40-Jährigen), was vor allem durch die Wanderungsgewinne bedingt sei laut Prognose. Viele der Zugezogenen bleiben zudem in Leipzig, da sich mit höherem Alter das Wanderungsverhalten stark minimiert. „Viele wollen auch bleiben. Die Wohndauer für Zugezogene beträgt durchschnittlich zehn Jahre.“, so Rink.
Unter dem Fokus der Stadt auf Wohnungs- und Schulbau wird auch die alternative Kulturszene weiterhin weichen müssen. In den letzten Jahren mussten schon die Metallkneipe 4Rooms für eine Schule und der Club So&So für ein Wohnquartier auf dem Eutritzscher Freiladebahnhof Platz machen. Einen neuen festen Sitz haben beide noch nicht und auch in Zukunft wird sich dieser Trend wahrscheinlich fortsetzen: „Ein Teil findet nichts und ein Teil muss ausweichen auf zum Beispiel Wohngebiete, die weiter draußen sind“, so Rink.
Zu betonen sei letztendlich jedoch, dass man sich nicht komplett auf die Vorhersagen verlassen könne. So waren die Zuwanderungen in 2015/16 „unvorhersehbare Ereignisse“. „Das kann man nicht prognostizieren.“, sagt Rink.
Titelfoto: Pixabay
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