Diskriminierungsvorwürfe und -aufarbeitung an der Universität Leipzig
Im Sommer gab es Rassismusvorwürfe gegenüber einem Dozenten bei der Sommerakademie des Universitätsradiosenders Mephisto 97.6. Der Sender reagierte, das tieferliegende Problem bleibt jedoch bestehen.
Vergangenen Sommer soll es im Rahmen der Sommerakademie des Universitätsradiosenders Mephisto 97.6 zu einem rassistischen Diskriminierungsvorfall durch einen externen Dozierenden gekommen sein. Das Opfer dieses Übergriffes, das anonym bleiben möchte, berichtet, dass dies nicht der erste Vorfall dieser Art war. Bei einem Sprechtraining habe Lean* ein Dozent gesagt, dass Menschen mit Akzent Schwierigkeit haben, einen Job in der Medienlandschaft zu finden und Lean sich darin ein Feld suchen solle, das zu seinem*ihrem Akzent passt. Zuvor habe es bereits eine ähnliche Situation mit Dietz Schwiesau, einem Honorarprofessor des Instituts für Kommunikations- und Medienwissenschaft gegeben, der auch in beratender Rolle bei Mephisto 97.6 involviert ist. Er bestätigt, dass er in der Auswertungsrunde zu Leans Beitrag wegen Leans Akzent und Namen vorgeschlagen hat, ihn als „den syrischen Kollegen“ vorzustellen, um Irritationen zu vermeiden; eine Praxis, die beim MDR üblich sei, auch wenn es beispielsweise um Sprecher*innen mit starkem bayerischen oder sächsischen Dialekt gehe. Lean merkt jedoch an, dass selbst, wenn der MDR so vorgehe, „das nicht bedeutet, dass es die richtige Vorgehensweise ist. Das sollte an der Universität anders laufen.“ Lean fügt hinzu, dass er bis auf den Kommentar zu seinem*ihrem Akzent kein inhaltliches Feedback erhalten hat und somit zusätzlich benachteiligt worden sei.
Als Lean unmittelbar nach den Ereignissen beim Radiosender diesen auf das Verhalten der Dozierenden hinwies, sei lang nichts passiert, sagt er*sie. Lean berichtet von wiederholten, erfolglosen Aufforderungen an die Redaktion, Maßnahmen zu ergreifen und beispielsweise den Studierendenrat der Universität Leipzig (Stura) einzuschalten. Programmdirektion und Chefredaktion von Mephisto 97.6 bedauern die lange Reaktionszeit und sagen, sie hätten gern schneller konkrete Maßnahmen eingeleitet. Da die Dozierenden jedoch im Urlaub gewesen seien und die Chefredaktion gewechselt hat, sei es schwer gewesen, schnell zu agieren. Eine Entschuldigung habe es aber sofort gegeben. Den Vorwurf, zuerst gar nicht reagiert zu haben, weisen sie ebenfalls zurück.
Mit Beginn des Wintersemesters 2019/20 begann eine aktivere Auseinandersetzung mit dem Fall. Als Resultat hat Mephisto 97.6 eine Antidiskriminerungsklausel in ihr Statut aufgenommen, Antidiskriminierungsplakate entworfen und in der Redaktion aufgehängt, sowie einen Antidiskriminierungswokshop für Februar geplant, an dem Schwiesau freiwillig teilgenommen hat. Sie berichten, lang gemeinsam mit dem Antidiskriminierungsbüro Sachsen daran gearbeitet zu haben, das Seminar zu organisieren und die Strukturen, die Rassismus und Diskriminierung ermöglichten, so weit wie möglich zu beseitigen. Sie geben außerdem an, Schwiesau habe sich sowohl mündlich als auch schriftlich bei Lean entschuldigt. Lean sagt, Schwiesau habe sich zwar gemeldet, sich jedoch weder ausreichend noch für die Diskriminierung selbst entschuldigt, sondern nur dafür, Lean verletzt zu haben. Der externe Dozierende der Sommerakademie, der Lean ein anderes Arbeitsfeld empfohlen haben soll, wird dieses Jahr laut Mephisto 97.6 nicht erneut als Coach eingeladen.
Sowohl Ala Yousef, Referent für ausländische Studierende im Stura, Tuul Geimecke, ehemalige Referat für Antirassismus des Stura, als auch Lean bestätigen übereinstimmend, dass diese Fälle alles andere als eine Ausnahme sind und die Aufarbeitung viel zu wünschen übrig lasse. Lean musste viel eigene Kraft und Zeit investieren, um eine Reaktion auszulösen und fühlte sich dabei stark von universitärer Seite im Stich gelassen. Zuständige im Stura arbeiten aktuell daran, eine Dokumentationsstruktur für diskriminierende Vorfälle zu erarbeiten, um damit gegebenenfalls Bestrebungen gegen diskriminierendes Verhalten bündeln und mehr Kraft verleihen zu können. Tuul weist darauf hin, dass es wichtig ist, in einer diskriminierenden Gesellschaft auf die Reproduktion ebenjener Diskriminierung hinzuweisen, um Veränderung bewirken zu können. Um eine Umgangsweise damit zu finden sei es wichtig, sensibel zu sein und sich immer wieder fortzubilden und mit der Problematik auseinanderzusetzen. Die sich unterscheidende Perspektive von Menschen, die Rassismuserfahrungen gemacht haben, sorge auch für eine andere Perspektive zum Beispiel auf die Dauer des Aufarbeitungsprozesses bei Mephisto 97.6.
Aber auch die Reaktionen anderer Studierender geben Anlass zur Sorge. Lean zufolge müsse man sich als betroffene Person auch öfter mal anhören, dass man sich doch nicht so haben solle und Dozierende ihre diskriminierenden Aussagen ja gar nicht so meinten. Lean erzählt, er habe in der Auswertungsrunde seines*ihres Beitrags auch keine Unterstützung durch Kommiliton*innen erhalten: „Jede Person, die schweigt, diskrminiert mit.“
*Name von der Redaktion geändert
In der ersten Fassung dieses Artikels wurde Dietz Schwiesau nicht namentlich genannt und hatte keine Möglichkeit, auf die Vorwürfe zu reagieren. Ebenso konnte sich Mephisto 97.6 zwar zum Vorfall äußern, aber nicht zu den damit verbundenen Vorwürfen. Dafür möchten wir uns bei den Beteiligten und unseren Leser*innen entschuldigen.
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