Gespaltenes Haus
Nach acht Jahren hat die HTWK die Kanzler*innenstelle neu ausgeschrieben. Nun erheben Hochschulangehörige schwere Vorwürfe gegen die aktuelle Amtsinhaberin Swantje Rother.
Eine Stimmung der Angst: Davon berichten Mitarbeiter*innen der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig, wenn es um das Arbeitsklima der Hochschule geht. Sie haben „Angst vor Repressalien“, wie Kündigung oder finanzieller Benachteiligung in ihrer Position. Man traue sich nicht mehr, miteinander zu sprechen, man wisse nicht auf welcher Seite die andere Person steht: Pro-Kanzlerin oder Contra-Kanzlerin. Das Zentrum dieser Frage ist Swantje Rother, seit sieben Jahren Kanzlerin an der HTWK. Sie leitet die Verwaltung, ist verantwortlich für Personal, Bauangelegenheiten, Raumverteilung und Finanzen. Ihr Einverständnis und ihre Unterschrift sind für fast alle Entscheidungen von Nöten. Was sie nicht ist, ist die Rektorin der Hochschule. Inhaltliche Verantwortung obliegt ihr nicht. Ihre Kompetenzen als Kanzlerin, so berichten Hochschulmitglieder, habe sie aber regelmäßig überschritten. Deshalb, und wegen einer weiteren Reihe an schweren Vorwürfen, fordert der Studierendenrat (Stura) der HTWK eine Neubesetzung der Kanzler*innenstelle, die für dieses Jahr ausgeschrieben war. „Die K-Frage“ nennt der Stura die Angelegenheit.
Konfliktträchtige Ausgangslage
Hintergrund des Problems ist, dass das Sächsische Hochschulfreiheitsgesetz für eine gewisse Spannung zwischen Rektor*in und Kanzler*in sorgt. Während Rektor*innen für fünf Jahre vom erweiterten Senat gewählt werden, sind Kanzler*innen für acht Jahre im Amt – und werden ausgerechnet von dem*der Rektor*in dem Wissenschaftsministerium zur Ernennung vorgeschlagen. Der Hochschulrat, eine Art Aufsichtsrat der Hochschule, muss als einziges Gremium seine Zustimmung zur Wahl geben. Einerseits ist also Rother als Kanzlerin von ihrem*ihrer Rektor*in abhängig, wenn sie nach Ablauf ihrer Amtszeit ihre Stelle behalten will. Andererseits hat sie aufgrund ihrer längeren Amtszeit die Möglichkeit, Einfluss auf die Besetzung ebenjenes Amts zu nehmen. Es gibt also zwei Wege für Rother, Jobsicherheit zu erlangen: Vertrauen mit dem*der Rektor*in aufzubauen oder eine Person bei der nächsten Rektor*innenwahl zu unterstützen, die ihr wohlgesonnener ist.
Das Verhältnis zwischen Rother und Gesine Grande, die von 2014 bis 2019 Rektorin der HTWK war, war zerrüttet. Die Kanzlerin hat per Hochschulgesetz die Aufgabe, Entscheidungen des Rektorats auf Risiken zu überprüfen. Letztendlich hat sie sich aber den Beschlüssen des Rektorats zu beugen. Dennoch: Ohne die Unterstützung der Verwaltung, der die Kanzlerin vorsteht, können Hochschulen quasi lahmgelegt werden. Ganz so weit ist es an der HTWK nie gekommen, von Verzögerungen sprechen aber einige. Auch das ist Resultat der Gesetzeslage: Der*die Rektor*in ist für Strategie und Entwicklung der Hochschule zuständig, die Kanzlerin für die Verteilung der dafür nötigen finanziellen Mittel. Nur sie kann personal- und finanzpolitische Entscheidungen durchsetzen. Grande war also eigentlich weisungsbefugt, konnte aber wenig machen, wenn sich die Kanzlerin sperrte. So sei es auch gekommen, berichten mehrere hochrangige Hochschulmitarbeiter*innen: Rother habe die Umsetzung von Rektoratsbeschlüssen verlangsamt.
Wäre Grande vergangenes Jahr wiedergewählt worden, hätte sie Rother wohl nicht noch einmal als Kanzlerin vorgeschlagen. So weit kam es aber nicht: Statt Grande wählte der erweiterte Senat Mark Mietzner, mit denkbar knappen 14 von 27 Stimmen. Wer gegen Grande war, ist in den allermeisten Fällen Pro-Kanzlerin und andersherum. Das ist in der Hochschule weithin bekannt – „hier ist niemand neutral“, sagt dazu ein Professor. Mietzner war zuvor Dekan an der privaten Hochschule Zeppelin Universität Friedrichshafen, die mit knapp 1.000 Studierenden weit kleiner ist als die mehr als 6.000 Studierende zählende HTWK. Als hochschulexterner Bewerber hatte er zu Beginn seiner Amtszeit gezwungenermaßen wenig Zugang zum hochschulinternen Informationsfluss. Er war also auf Rother angewiesen, die mit ihren acht Jahren Amtszeit die einzige Konstante im Rektorat bildet, weil Prorektor*innen üblicherweise mit dem*der abgewählten Rektor*in aus dem Rektorat scheiden. Wie stark Mietzners Abhängigkeit von Rother ist, hängt letztlich davon ab, wie gut sich Mietzner durchsetzen kann und wie er und Rother ihre Rolle als Kanzlerin interpretieren – als Dienstleisterin oder als Teil einer Doppelspitze. Für letzteres spricht, dass seit Oktober 2019 im Senat auch eine Dezernentin sitzt. Dass sich Mitarbeiter*innen der Verwaltung zur Senatswahl aufstellen, ist zumindest ungewöhnlich.
Mietzner will sich nicht zu seinem Arbeitsverhältnis zu Rother äußern, gibt aber zu bedenken, dass es die Kanzlerin nicht leicht hat, die begrenzten Ressourcen der Hochschule zu verteilen: „Sie macht sich in dieser Funktion nicht unbedingt beliebt.“ Insofern sei es verständlich, dass es Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen gibt. Zu Konflikten von Hochschulangehörigen mit der Kanzlerin sagt er nichts. Rother selbst war zu Anfang der Recherche nicht zu einen Gespräch bereit und äußerte sich auch zuletzt auf Anfrage von luhze nicht zu den Vorwürfen.
Machtfragen und -antworten
Sabine Giese und Nico Zech, Sprecher*innen des Stura, berichten – abseits der Machtkämpfe im Rektorat – von intransparentem und willkürlichem Verhalten Rothers. Zum Beispiel, als die Kanzlerin ihnen 2018 ohne Begründung die Nutzungsrechte ihres Tagungsraumes entzogen, und der Stura diesen nur mithilfe der damaligen Rektorin Gesine Grande wiederbekommen habe. Etwas ähnliches passierte der linken Hochschulgruppe Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband, deren Antrag auf einen Raum für eine Veranstaltung abgelehnt wurde – anerkannten Arbeitsgruppen des Stura passiert das eigentlich selten. Auch nach Anfrage des Stura habe die Kanzlerin keine Begründung gegeben, Forderungen nach einer transparenten Raumvergabe wurden laut. An anderen Hochschulen sind solche Fälle aufgrund selbstauferlegter Regeln seltener. Die Kanzlerin der Universität Leipzig etwa muss sich an eine schriftliche Raumvergabeordnung halten. So etwas gibt es an der HTWK jedoch nicht – Rother behält das letzte Wort.
Im persönlichen Umgang, so kritisieren neben Zech und Giese auch weitere Mitarbeiter*innen, sei die Kanzlerin häufig unsachlich und aufbrausend, in manchen Fällen sogar beleidigend geworden, wie bei einer Diskussion mit den Sprecher*innen an der Feierlichen Immatrikulation im vergangenen Jahr. Es ging um das Anliegen des Stura, ein einheitliches Beratungskonzept für die HTWK zu schaffen. „Am Ende hat sie uns angeschrien“, sagt Giese, zudem habe sie Zech als „aggressiv“ bezeichnet.
Auch andere Mitglieder der Hochschule berichten von einem Mangel an professioneller Distanz. Wenn sie in ihrer Autorität in Frage gestellt wird, verliere sie die Beherrschung, werde abwertend, berichtet eine Mitarbeiterin. Ein anderer sagt über seine Beziehung zur Kanzlerin: „Ich versuche jedweder Verbindung auszuweichen. Denn meine Erfahrung ist: Ich kriege erstmal so eins vor den Bug geknallt, danach bin ich fix und fertig. Das macht es unmöglich, unvoreingenommen irgendein Thema anzusprechen.“ Das gehe aber nicht allen so. „Es gibt offensichtlich einen Kreis derer, die gehätschelt und gepflegt werden.“ Er wisse nicht, ob er weiterhin an der HTWK arbeiten werde, sollte Rother erneut als Kanzlerin bestellt werden. „Wir trauen uns untereinander nicht, über dieses Thema zu sprechen, weil wir nicht wissen, auf welcher Seite der jeweils andere steht.“
Mehrere HTWK-Angehörige bestätigen einen grundlegend autoritären Umgang mit Mitarbeiter*innen. Fachlich sei Rother sehr kompetent und würde deswegen geschätzt. An einer Hochschule sei es aber notwendig, sich auf Augenhöhe zu begegnen. „Das ist Frau Rother nicht möglich“, sagt eine Mitarbeiterin. In Konflikten mit ihr ginge es nie um die Sache, immer um Macht. Loyalität sei Rother extrem wichtig, weswegen sie in die Interessen der Mitarbeiter*innen investiere und das dann benutze, um uneingeschränkte Unterstützung zu erhalten. Gisela Brankatschk, ehemalige Mitarbeiterin an der Hochschule, schätzt Rother ebenfalls als „Machtmenschen“ ein – „aber das muss man wohl in so einer Position auch sein. Man darf sich allerdings von ihr nicht unterbuttern lassen.“ Wenn man in Dienstgesprächen, die sie von Anfang an zu dominieren versuche, auf Augenhöhe besteht, sei sie bereit, das zu akzeptieren. „Man weiß bei ihr, woran man ist“, sagt Brankatschk. Nach Einschätzung eines Professors sei dieser Stil legitim und in Führungspositionen häufig anzutreffen. Probleme entstünden, wenn es Beteiligte gibt, die nicht in diese Struktur passen und das in Frage stellen. „Wenn man ein Anliegen hat und das direkt bei der Kanzlerin vorträgt, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man einen guten Deal macht, ohne den üblichen Dienstweg über das Dekanat.“
Der Fall Nagler
Bereits zu Beginn ihrer Amtszeit war Rother in die Geschichte rund um den linken Politaktivisten Mike Nagler involviert, die vor einigen Jahren für Aufsehen sorgte, jedoch vom Rektorat der HTWK nie aufgearbeitet wurde. „Die HTWK hat das einfach ausgesessen“, äußert sich Nagler heute.
Nagler bot seit 2010 an der Hochschule das Seminar „Partei ergreifen“ im Rahmen des Studium Generale an. 2012 habe er dann durch Zufall erfahren, dass seine Veranstaltungen abgesagt wurden. Eine schriftliche Erklärung habe er nicht erhalten. Nagler bat um ein Gespräch mit Renate Lieckfeldt, der damaligen Rektorin. Dabei sagte sie ihm, dass sein politisches Engagement nicht vereinbar mit seiner Lehrtätigkeit sei. Mehrere Mitarbeitende, mit denen er das Gespräch suchte, waren der Auffassung, dass die Entscheidung nicht rechtmäßig sei, rieten ihm aber dazu, erstmal die Füße stillzuhalten.
2014 wiederholte sich die Geschichte. Unter einem neuen Rektorat nahm Nagler sein Seminar an der Hochschule wieder auf. Der erste Block fand statt, kurz danach erhielt er eine Anfrage des Rektorats, ob er vorhabe, bei der Europa- oder Stadtratswahl zu kandidieren oder sich aktiv am Wahlkampf zu beteiligen. „Ich war überrascht, da meine Veranstaltung keinerlei parteipolitischen Bezug hat“, so Nagler. Darüber hinaus ist er nicht Mitglied einer politischen Partei. Er verneinte die Anfrage. Kurz darauf sei ihm telefonisch mitgeteilt worden, dass seine Veranstaltung nicht mehr stattfinden könne und auf Entscheidung der Kanzlerin mit sofortiger Wirkung aus dem Programm genommen werde. Eine Begründung sei ausgeblieben. Bei einem Gespräch mit Rother habe sie ihm erklärt, dass es ihr nicht um den Seminarinhalt gehe, sondern ausschließlich um seine Person und parteipolitischen Aktivitäten. Er äußerte ihr gegenüber seinen Unmut. „Ich realisierte aber, dass ich am kürzeren Hebel sitze“, sagt Nagler.
Die HTWK veröffentlichte kurz danach ein hochschulinternes Statement, die dortige Begründung widersprach der von Rother: „Die Prüfung erfolgte gerade unabhängig des Ansehens von Personen.“ Weiterhin heißt es, dass Nagler den ersten Block seines Seminars ohne unterzeichneten Arbeitsvertrag durchgeführt habe. Als die Kanzlerin „das Vertragsangebot“ anschließend prüfte, sei sie zu dem Schluss gekommen, dass kein Vertragsschluss erfolgen könne. „Sie haben so getan, als hätte ich illegal dort gearbeitet. Aber es gab einen von allen Beteiligten unterschriebenen Arbeitsvertrag. Das wurde einfach ignoriert.“ Als Beleg veröffentlichte Nagler den Vertrag schließlich auf seinem Blog.
Das Thema wurde auch im Hochschulrat diskutiert. Cornelius Weiss, ehemaliger Rektor der Universität Leipzig und 2012 mit Nagler im Hochschulrat, erinnert sich: „Das Gremium war ängstlich. Zwar gab es teilweise Widerspruch, aber dann sind alle eingeknickt. Die Kanzlerin hat knallhart den Standpunkt der damaligen Landesregierung oder Ministerin vertreten.“ 2014 erfuhr Nagler in einer Sitzung von einem Beschluss, der ihm verbietet, an der HTWK zu lehren und der angeblich seit 2012 existiert. Den Beschluss oder dessen Begründung habe er allerdings nie einsehen dürfen. Danach habe sich Nagler nicht mehr groß um die Sache gekümmert. „Ich bin zur Presse gegangen, habe einen offenen Brief geschrieben, mit der Kanzlerin geredet – nichts hat etwas gebracht“, erzählt Nagler.
Die Verantwortung liegt bei Mietzner – und dem Hochschulrat
Es ist nicht klar, ob Rother überhaupt zufrieden mit ihrer Rolle als Kanzlerin der HTWK ist: Bereits 2015 bewarb sie sich an der Humboldt-Universität Berlin als Vizepräsidentin. Der Stura sowie mehrere hochrangige Hochschulmitarbeiter*innen bestätigen zudem, dass sie sich im selben Jahr an der Technischen Universität Dresden und der Technischen Universität Bergakademie Freiberg auf die Kanzler*innenstelle bewarb.
Der Stura und mehrere Hochschulmitglieder berichten von einer engen Beziehung zwischen Mietzner und Rother. Deswegen ist sehr wahrscheinlich, dass Rother, sollte sie sich beworben haben, Kanzlerin der HTWK in einer für die Hochschule ungewissen Zeit bleibt. Da der Hochschulpakt in diesem Jahr ausläuft und dadurch Gelder verloren gehen, wird das Rektorat einige schwierige Entscheidungen über Stellenkürzungen treffen müssen. Dazu kommt die weitere Umsetzung des von Grande angestoßenen und innerhalb der HTWK stark umkämpften Hochschulentwicklungsplans, dem Rother übereinstimmenden Berichten zufolge stets kritisch gegenüberstand. Die einzige Instanz, die den Berufungsprozess des*der Kanzler*in kontrollieren kann, ist der Hochschulrat. Auf ihm lastet nun die Verantwortung, eine Entscheidung zu treffen, die den Weg der HTWK für die nächsten acht Jahre bestimmen wird.
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