Diskurs um Straßennamen
Einige Straßen in Leipzig tragen Namen von Persönlichkeiten mit hinterfragbarer, teils rassistischer Lebensgeschichte. Die Arndtstraße sollte deshalb umbenannt werden, doch nun stockt der Prozess.
In Leipzig gibt es 3.033 Straßen und Plätze. Im Laufe der Geschichte wurden viele nach Personen benannt, die dem Staat gedient haben und in den Zeitgeist der Stadt passten. Nicht nur sind die Straßen Leipzigs vornehmlich nach (weißen) Männern benannt, auch haben einige Namensgeber*innen eine Geschichte, die geprägt ist von Rassismus, Antisemitismus und anderen Diskriminierungsformen. Seit Anfang des Jahres kam eine Debatte den Umgang mit Straßennamen auf: die Umbenennung der Arndtstraße, benannt nach dem Schriftsteller und Historiker Ernst Moritz Arndt.
Angestoßen wurde die Diskussion von Stadtrat Thomas Kumbernuß (Die Partei). Auf seinen Antrag hin beschloss der Stadtrat in der Ratsversammlung vom 22. Januar, dass die Arndtstraße in der Leipziger Südvorstart in Hannah-Arendt-Straße umbenannt werden soll. Dem voraus ging die Petition „150 Jahre sind genug – Arndtstraße in Leipzig umbenennen“. Die Initiatorin Alexandria John weist wie Kumbernuß auf den Rassismus und Antisemitismus Arndts hin, der sich in politischen Schriften national und juden*feindlich äußerte. Ebenso betont sie, dass in der Südvorstadt noch keine Straße nach einer Frau benannt worden sei. Deshalb fordert Kumbernuß in seinem Antrag, „die Straße nach einer Frau zu benennen, deren Wirken der Aufklärung gewidmet war, Hannah Arendt, jüdische deutsch-amerikanische Historikerin und Publizistin!“
Die Arndtstraße in Leipzig wurde schon 1870 nach dem Schriftsteller benannt. Später wurde Arndt von den Nationalsozialist*innen instrumentalisiert und als Vorreiter nationalsozialistischer Ideologie verstanden. Sehen kann man das an der Universität Greifswald: Arndt hatte selbst dort studiert, die Universität trug seinen Namen ab 1933. 2018 folgte die Distanzierung und die Universität legte 2018 den Namen „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“ offiziell ab. Ein kritischer Umgang ist also nicht Neues und findet sich bei vielen historischen Persönlichkeiten.
Nun gab die Stadt Leipzig in einer Pressemitteilung vom 25. März bekannt, dass innerhalb der einmonatigen Frist rund 180 Widersprüche eingegangen seien. Deshalb verschiebt sich die Umbenennung. Eine der Gegenpetitionen ist „Arndt bleibt Leipziger – Keine Umbenennung der Arndtstraße“ mit bisher 1.085 Unterschriften. Als Gründe gegen die Umbenennung finden sich auf der Website der Initiative „Arndt bleibt Arndt – Es ist unser Ernst (Moritz Arndt)!“: „unnötige Kosten und Aufwand für fast 2000 Anwohner (darunter Bewohner mehrerer Pflegeeinrichtungen)“, „Geschichtsvergessen und einseitige Herabwürdigung des Dichters der Befreiungskriege 1813“, „der Kulturbruch, dessen sich Leipzig schuldig machen würde, wenn Leipzig als einzige Stadt in Deutschland den Namen tilgen würde“ und „politischer Kleingeist“. Stadtrat Kumbernuß sieht die Kritik und verstehe die nostalgischen Gründe von Menschen, die schon lange in der Straße leben und den gewohnten Namen schwer loslassen könnten. „Nicht nachvollziehbar wird es, wenn Menschen sich einer Auseinandersetzung mit Ernst Moritz Arndt, seinen antisemitischen, nationalistischen und frankophoben Ansichten konsequent verweigern“, heißt es weiter vom Die-Partei-Stadtrat.
Auch von anderen Seiten wurde die Debatte um Straßennamen in Leipzig aufgegriffen. Zum Weltfrauentag am 8. März starteten unbekannte Aktivist*innen eine Aktion, in der Straßen in Leipzig nach Frauen benannt wurden. So wurde aus Wilhelm Leuschner der Emma-Goldman-Platz, die Olympe-de-Gouges-Straße statt Kurt Eisner und die Clara-Zetkin-Straße statt Karl Liebknecht. Die Linksjugend Leipzig begrüßte die Aktion in einer Pressemitteilung und stellte eine Liste mit den kurzweilig nach Frauen benannten Straßen zur Verfügung. Von Natalie Prautsch, der Inklusionsbeauftragen der Linksjugend Sachsen, heißt es darin: „Frauen müssen sich in vielen Situationen permanent gegenüber von Männern beweisen. Wenn sie dies dann doch schaffen, werden sie weniger gewürdigt als Männer, was man beispielsweise an der Benennung von Straßen sieht.“
Die Ungleichverteilung wird auch beim Amt für Statistik und Wahlen der Stadt Leipzig beachtet. Dessen Abteilungsleiter Jens Vöckler sagt: „Bei Neubenennungen nach Personen wird darauf geachtet, dass – soweit inhaltlich und örtlich passend – bevorzugt Frauennamen verwendet werden“, so Vöckler. Straßen zu benennen und Namen zu hinterfragen, liege beim Stadtrat. Weiter verweist er auf die AG Straßenbenennung. Die Leipziger Stadtratsfraktion von Bündnis 90/die Grünen fordert zudem die Gründung einer Kommission, die sich mit den Straßennamen auseinandersetzen und Vorschläge zum Umgang erarbeiten soll.
„Ernst Moritz Arndt ist nicht die einzige Persönlichkeit, der in Leipzig mit einem Straßennamen gedacht wird, in deren Geschichte und Wirken Einstellungsmuster der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit deutlich werden“, heißt es in der Pressemitteilung vom 21. Februar. Auch „Leipzig postkolonial“, ein Projekt der AG Postkolonial im Verein Engagierte Wissenschaft, weist auf der Stadtkarte „(post)koloniale Spuren“ auf Orte mit kolonialer Vergangenheit in Leipzig hin. Auf der Karte finden sich die Ernst-Pinkert-Straße sowie die Ernst-Hasse-Straße. Beide, Pinkert und Hasse, trugen zur menschenverachtenden Kolonialisierung bei. Kumbernuß wünscht sich zudem, „dass sich in Leipzig endlich kritisch mit Richard Wagner auseinandergesetzt wird.“ „Es entsteht der Eindruck, als habe Richard Wagner ‚Das Judenthum in der Musik‘ nie geschrieben“, heißt es dazu von Stadtrat Kumbernuß in Bezug auf die geplanten Feierlichkeiten zu Ehren des Komponisten 2022.
Für den Die-Partei-Stadtrat geht es nicht nur um die reine Umbenennung von Straßen, denn das ist laut Kumbernuß „kein Ersatz einer geschichtlichen Aufarbeitung und kritischen Auseinandersetzung“. Diese Straßennamen auszuradieren kann also nicht das Ziel sein, vielmehr solle ein Diskurs entstehen. Dafür könnten Erläuterungstafeln dienlich sein, für die laut der Stadt Leipzig Bürger*innen, Vereine oder Initiativen spenden können. Diese umfassen eine Erklärung des Namens und biografische Daten des Namenspatrons, der Text werde zwischen Spender*in und Verwaltung abgestimmt.
Ernst Moritz Arndt als Namensgeber für eine Straße in Leipzig ist also nur der Anfang einer Debatte. Wichtig ist, dass wir sie führen.
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