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  • Immergut: Die fabelhafte Welt der Amélie

    Wir verraten euch weiterhin wöchentlich die besten Medien, um den Quarantäneblues zu vertreiben – diese Woche den französischen Klassiker „Die fabelhafte Welt der Amélie“.

    Die „Comptine d’un autre été“ von Yann Tiersen aus dem Soundtrack zu dem Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ ist eins dieser Stücke, die wahrscheinlich fast jede*r, die*der nur ein bisschen Klavier spielen kann, schon rauf und runter gespielt hat. Ich kann zwar überhaupt kein Klavier spielen, trotzdem ist dieser Film der Grund dafür, dass ich eine kleine Obsession für französisches Kino hege, und das nicht nur wegen der Musik.

    Auf dem Filmplakat ist eine blasse junge Frau mit schwarzen Haaren und rotem Lippenstift zu sehen, die schüchtern in die Kamera lächelt. Darunter ist ein Schriftzug zu lesen: „Die fabelhafte Welt der Amélie – Ein Film von Jean-Pierre Jeunet“, darüber die Namen der Schauspieler: Audrey Tautou und Mathieu Kassovitz.Falls es doch noch jemanden gibt, der ihn noch nie gesehen hat, nur so viel: Amélie Poulain ist die Tochter eines ehemaligen Militärarztes und einer verstockten Lehrerin. Weil der einzige körperliche Kontakt mit ihrem Vater in seinen monatlichen Untersuchungen besteht, ist Amélie bei diesen Gelegenheiten so aufgeregt, dass ihr Herz wie wild schlägt und ihr Vater ihr fälschlicherweise einen Herzfehler diagnostiziert. Deshalb wird sie zu Hause unterrichtet und wächst völlig ohne Kontakt zu anderen Kindern auf. Sie ist schüchtern und introvertiert, lebt in ihrer eigenen Traumwelt. Das ändert sich auch als Erwachsene kaum, bis sie durch eine Verkettung von Zufällen ein Kästchen in ihrem Badezimmer findet, das ein Junge vor 40 Jahren dort versteckt hat. Sie ist wild entschlossen, ihn ausfindig zu machen und es ihm zurückzugeben.

    Das Internet klassifiziert den Film als Liebeskomödie. Das stimmt, aber er ist viel mehr: Ein Sammelsurium an wunderbar schrägen, angeknacksten Figuren, die so gut gespielt sind, dass man sogar für den herrischen Gemüseverkäufer vielleicht nicht Zuneigung, doch zumindest Mitgefühl entwickelt. Eine Erinnerung daran, dass es nie zu spät ist, die eigene Angst zu überwinden. Eine Feier der leisen Momente, mit einem solchen Blick für die kleinen Dinge des Lebens, dass man selbst beim zehnten Mal Anschauen noch etwas Neues entdecken, und dass jede*r ihr*sein eigenes Lieblingsdetail darin finden kann. (Meins ist das Geräusch des Holzperlenvorhangs, der in Amélies Küche hängt.)

    Man kann es konstruiert finden, wie Amélie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein scheint, oder voyeuristisch, wie sie und ihr Nachbar, der Mann mit den Glasknochen, sich gegenseitig mit Ferngläsern beobachten. Trotzdem zieht die sanfte Magie der Geschichte mich jedes Mal aufs Neue in ihren Bann. Die Art und Weise, wie sie erzählt wird, ist ein Meisterstück des Schmetterlingseffekts und das völlig ohne Zeitreisen. Mit seinen sprechenden Fotos und zwinkernden Statuen streift der Film nebenbei die Grenze zum magischen Realismus. Dazu noch die wunderschöne Kulisse von Paris und eben diese nicht umsonst berühmte Filmmusik – perfekt um sich zumindest für einen Abend aus der Quarantäne zu träumen.

     

    Titelgrafik: Lisa Bullerdiek

    Cover: Prokino Filmverleih

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