Unverhofft kommt oft
Kolumnist Vincent hatte sich mutmaßlich, und ohne sich darüber bewusst zu sein, mit dem Coronavirus infiziert. Doch wie so Vieles in diesen Tagen ist auch das aktuell noch ungewiss.
Hin und wieder habe ich mich in meinen jungen Jahren bereits gefragt, wie es denn wohl später einmal sein wird, wenn man Kinder, Enkel oder Urenkel hat. Was kann ich Ihnen dann aus meinem langen, hoffentlich erfüllten Leben erzählen? Was kann ich den Heranwachsenden, währenddessen ich auf dem Schaukelstuhl meiner Veranda Platz genommen habe, für Ihren Werdegang mitgeben? Bis jetzt nicht allzu viel, nur dass ich in der vierten Klasse einst den Lesewettbewerb meiner Grundschule gewonnen hatte. Nichts Außergewöhnliches, aber eben auch nichts Alltägliches. Doch was ist in diesen Zeiten schon normal? Die Dinge, die bis vor wenigen Monaten noch in Ihren sonst so geregelten Bahnen verliefen, sind durch den Coronavirus entweder mehr als durcheinander geraten oder gar vollständig außer Kraft gesetzt. Hatte ich in den vergangen Wochen vor allem mit den schier endlosen Menschenschlangen vor Supermärkten, den straffen Tragegummis meiner FFP2-Maske oder bestellwütigen Nachbarn zu kämpfen, wurde ich schlagartig mit einer ganz neuen Herausforderung konfrontiert: dem Coronavirus höchstpersönlich.
Alles fing damit an, dass ich von einem auf den anderen Tag rote, ziemlich ungesund aussehende Flecken an meinen Füßen wahrnahm. Einer meiner großen Zehen ähnelte zudem einem bläulich verfärbten Fruchtzwerg, der zu lange im eiskalten Gefrierfach gelegen hatte. Dass ich mich zu diesem Zeitpunkt mit den formschönen Beulen nicht bereits an meine Hausärztin wandte, war sicherlich der Tatsache geschuldet, dass ich diese „Auswüchse“ schon zur Genüge vom Fußball kannte. Neben lädierten Zehen gehörten früher auch Blasen jeglicher Größenordnung immer mal wieder zur Tagesordnung nach Spieltagen. In der Regel waren diese dann aber nach wenigen Tagen wieder verschwunden. Doch dieses Mal nicht. Anstatt sich nach geraumer Zeit dahin zurückziehen, wo sie hergekommen waren, nahmen die Schwellungen im Gegenteil sogar noch zu. Also tat ich, was jede*r Journalist*in ganz am Anfang einer Recherche tun würde: ich googelte. Unter rote Blasen an Zehen spuckte mir der Algorithmus neben mehreren Artikeln zu Fußpilz oder Diabetes Typ-2, auch Suchergebnisse zu neuartigen Symptomen des Coronavirus aus. Da ich die beiden erstgenannten Erkrankungen glücklicherweise ausschließen konnte, belas ich mich zum sogenannten „Covid-Zeh“. Ein Phänomen, welches bisher vermehrt bei jüngeren Menschen in Spanien, Frankreich oder Italien nachgewiesen werden konnte. Neben roten, juckenden Fußsohlen und Fersen wurden zudem frostbeulenartige Schwellungen und Hautveränderungen an Zehen festgestellt. Das interessante dabei: eine Vielzahl der untersuchten Patient*innen wurde zuvor bereits positiv auf Covid-19 getestet oder zeigte zumindest klassische Virussymptome. Als die Rötungen schließlich auftraten, befand sich jedoch keine*r mehr im aktiven Stadium der Krankheit. Die mehr als ungewöhnlichen Symptome, so schlussfolgerten die behandelnden Ärzte*innen, können so folglich erst einige Wochen nach der eigentlichen, asymptomatischen Corona-Infektion auftreten. Verrückt, oder?
Mit diesem Wissen und einem eher merkwürdigen Bauchgefühl ließ ich mich bei nächstbester Gelegenheit auf den Virus testen. Neben meinen Füßen plagten mich mittlerweile auch Kopf- und Gliederschmerzen. Zwei Abstriche, jeweils im Rachen und in der Nase, und eine Blutabnahme später erhoffte ich endlich Antworten zu finden. Und dann: NEGATIV. Wie kann das sein? Was hatte ich mir von dem Test eigentlich versprochen? Auch wenn meine Blutwerte zeigen, dass ich mittlerweile wieder kerngesund bin: Hatte ich nun Corona oder nicht? Und wenn ja, zu welcher Zeit hat sich mein Immunsystem in den vergangenen Wochen gegen das Virus behaupten müssen? Fragen über Fragen, zu denen meine Ärztin noch, verständlicherweise, wenig Antworten parat hält. Die Wahrheit tut zwar manchmal weh, aber auf diese Ungewissheit könnte ich auch verzichten. Doch nichts ist für die Ewigkeit: Mit einem Antikörpertest Anfang Juni soll dann endlich Klarheit herrschen. Mein Name steht ganz oben auf der Liste. Bis dahin heißt es abwarten, schonen und nachdenken. Denn eines habe ich jetzt schon gelernt liebe Kinder, Enkel und Urenkel einer noch in der Ferne liegenden Zukunft: So unberechenbar, bizarr und schnelllebig diese Zeiten auch sein mögen, die eigene Gesundheit und die seiner Mitmenschen muss immer an erster Stelle stehen. Und der Rest findet sich sowieso irgendwie. Kommt Zeit, kommt Rat.
Titelgrafik: Lisa Bullerdiek
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