Niemand darf vergessen werden
Der Hashtag #leavenoonebehind soll auf die Missstände in den Flüchtlingslagern an den EU-Außengrenzen aufmerksam machen. Auch aus der Leipziger Politik und Zivilgesellschaft kommen Lösungsansätze.
Binnen weniger Tage haben es Bund und Länder in Zusammenarbeit mit Virolog*innen geschafft, Hygienekonzepte, Rettungspakete für die Wirtschaft und einen Plan für die Lockerungen der festgelegten Maßnahmen zu verabschieden. Maßnahmen für die Flüchtlingslager an den EU-Außengrenzen scheinen dabei zu kurz gekommen zu sein. Zurzeit leben dort mehrere tausend Menschen auf engstem Raum ohne wirklichen Zugang zu Hygieneartikeln. Durch verschiedene Aktionen machen auch in Leipzig sowohl politische als auch zivilgesellschaftliche Akteur*innen auf diese Missstände unter dem Hashtag #leavenoonebehind aufmerksam.
Ende März veröffentlichte Erik Marquardt, Abgeordneter des europäischen Parlaments als Teil der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz, eine gleichnamige Petition auf der Plattform change.org, welche zum jetzigen Zeitpunkt ca. 360.000 Unterschriften hat. Personen des öffentlichen Lebens, wie etwa Musiker Henning May oder Autorin Margarete Stokowski unterstützen die Petition als Erstunterzeichner*innen. Besonderen Fokus legt die Aktion dabei auf die Geflüchteten im griechischen Flüchtlingslager Moria. Moria liegt auf der Insel Lesbos nahe der Gemeinde Mytilini und wird von etwa 24.000 Geflüchteten „bewohnt”. Bei dem Lager handelt es sich um eine ehemalige Militäranlage, welche von der Europäischen Union zu einem Aufnahmezentrum für Erstregistrierungen und Asylverfahren, einem sogenannten Hotspot, umfunktioniert wurde. In Moria teilen sich laut einer Grafik des Katapult-Magazin, welches sich auf die Zeit und dw.com bezieht, 1.300 Menschen eine Wasserstelle, 242 eine Dusche, und eine Toilette kommt auf 167 Bewohner*innen. Die Initiator*innen und Unterstützer*innen der Petition fordern von der EU-Kommission und den EU-Regierungen, dass Schutz- und Quarantänemaßnahmen in den Flüchtlingslagern umgesetzt werden, der Zugang zu medizinischer Versorgung gesichert ist und die Geflüchteten trotz der Krise weiterhin die Möglichkeit haben, Asylanträge zu stellen.
Auch Leipziger Akteur*innen haben sich zu der Lage an den EU-Außengrenzen geäußert. Die Leipziger Grünen veröffentlichten Ende März eine Pressemitteilung, in der sie klarstellten, dass Leipzig schon seit 2010 die Bereitschaft zeige, „kontingentweise Geflüchtete” aufzunehmen. Die Fraktionsvorsitzende Katharina Krefft äußerte sich darin: „Es ist beschämend, wie handlungsunfähig die EU ist. Seit Jahren warten wir auf eine solidarische Flüchtlingspolitik, durch die EU-Staaten entlang der Fluchtrouten entlastet werden.“ Auch die Leipziger Linksfraktion unterstrich in einer Pressemitteilung: „Wir haben Platz, in Deutschland, in Sachsen und auch in Leipzig.” Am 28. März stimmten alle Parteien des Leipziger Stadtrats außer der AfD der Resolution „Helfen, das humanitäre Drama an der EU-Außengrenze abzumildern“ zu. In der von Grünen, Linken und SPD initiierten Resolution erklären sich die Unterzeichner*innen bereit, im Jahr 2020 bis zu 20 unbegleitete minderjährige Geflüchtete aus Griechenland, zusätzlich zu dem vom Bund zugewiesenen Schutzsuchenden, aufzunehmen.
Aus der Leipziger Zivilgesellschaft gibt es ebenfalls Lösungsvorschläge für die Aufnahme von Geflüchteten. Das Hostel Eden wandte sich mit einem Aufruf Ende März an die Öffentlichkeit, richteten diesen aber auch explizit die Bundeskanzlerin, in dem sie forderten, die leerstehenden Beherbergungsstätten als Quarantänestationen für Geflüchtete zu nutzen. „Es ist sehr leicht, im Falle des persönlichen Leids das Leid der anderen zu vergessen”, äußerte sich Jule, eine der Gründerinnen, gegenüber luhze. In Folge der Maßnahmen zur Bekämpfung von Covid-19, sind auch viele Beschäftigte der Hotel- und Gastronomiebranche von unabsehbaren wirtschaftlichen Folgen betroffen, da sie ihre Räumlichkeiten auf unbestimmte Zeit nicht für Gäst*innen öffnen können. Zu diesem Thema sahen die Hostel-Betreiberinnen viele Initiativen auf Instagram und so kam die Idee für ihren eigenen Aufruf. Sie wollen auf den „Leerstand aller Hotels aufmerksam machen und das Paradoxon aufzeigen, dass es unweit von uns völlig überfüllte Flüchtlingslager gibt.” Jule führt weiter aus: „Da wir die Arbeit von Mission Lifeline aktiv verfolgen, nahmen wir Kontakt mit ihnen auf und boten unser leeres Hostel als Quarantäne-Station für Geflüchtete an.” Zuspruch hätten sie durch andere Hostels auf Instagram bekommen, aber auch auf Facebook teilten 130 Nutzer*innen den Beitrag, der von 20.000 Personen gesehen wurde. Seitens der Politik hätte es bis jetzt keine Antwort auf den Aufruf gegeben, Privatpersonen hätten aber ihre Hilfe angeboten. In Bezug auf die Lage der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen verstehe Jule nicht warum Handlungen so lange auf sich warten ließen. „In erster Linie hoffen wir, dass endlich mehr Menschen aus den überfüllten Lagern geholt werden”, machte Jule klar.
Die Initiator*innen von #leavenoonebehind riefen auch die Kampagne „Evakuierung anzetteln“ ins Leben. Auf der Website kann man die Forderungen der #leavnoonebehind –Petition ausdrucken, um diese in der Nachbarschaft aufzuhängen. Die Idee dahinter ist, nicht nur auf die Hilfsbedürftigen im direkten Umfeld aufmerksam zu machen, sondern auch auf die, die geographisch weit entfernt sind.
Nach aktuellem Stand hat sich Deutschland bereit erklärt, 50 Kinder von Geflüchteten aus Griechenland aufzunehmen und die Stadt Frankfurt hat bereits am 18. April 48 Kinder und Jugendliche empfangen. Das wirkt jedoch für die meisten Unterstützer*innen von #leavenoonebehind als zu wenig in Relation zu den 2.000 Minderjährigen, welche sich derzeit auf Lesbos befinden. Vor allem, da sich 140 Kommunen, Städte und Länder zur Aufnahme von Geflüchteten bereit erklärt haben.
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