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  • „Sehe kaum eine Möglichkeit zur Unterstützung“

    Oberbürgermeister Burkhard Jung trat im März seine dritte Amtszeit an. Im Interview mit luhze spricht er über Studierende und Leipzig in der Coronakrise.

    Oberbürgermeister (OBM) Burk­­­hard Jung setzte sich am 1. März im zweiten Wahlgang knapp gegen den CDU-Kandi­daten Sebastian Gemkow durch und trat seine dritte Amts­­zeit in Folge an. Im Tele­fon-Interview mit luhze-Redakteurin Theresa Moos­mann sprach der 62-jährige SPD-Politiker über sein Amt vor und während der Corona­krise und über seinen Blick in Leipzigs Zukunft.

    luhze: Wie geht es Ihnen im Moment, Herr Jung?

    Jung: Ich habe einen steifen Nacken vom vielen Auf-die-Videowand-Gucken. Es gibt ja kaum noch persönliche Gesprä­che, vieles läuft jetzt über Video­konferenzen. Aber ansonsten geht es mir sehr gut.

    Sie gewannen mit denkbar knappen 1,5 Prozentpunkten Vorsprung vor Herrn Gemkow die OBM-Wahl im 2. Wahlgang. Es ist eindeutig, dass Sie den Wahlsieg den zentrumsnahen Wahlkreisen zu verdanken ha­ben. Woran liegt das?

    Die Wahl war doch im letzten Jahrhundert oder? Seit das Virus unser aller Alltag be­stimmt, er­scheint alles andere unglaublich weit weg. Nein, Spaß beiseite, das ist wirklich eine spannende sozio­logische Frage. Ihre Ant­wort ist diffe­renzierter als es auf den ersten Blick wirkt, also nicht nur außen schwarz, innen rot. In jedem Fall müssen hier ganz viele Brücken geschlagen wer­den. Dafür werde ich gezielt in die Stadtteile gehen, sobald die Situation dies zulässt.

    Dies ist Ihre dritte Amts­pe­ri­o­de. Gibt es ein Thema, das Sie schon seit März 2006, als Sie ihr Amt das erste Mal antraten, begleitet?

    Ich bin ja mit der Idee des nachhaltigen Wachstums an­ge­treten, und dieses Wachs­tum hat uns in einer Art und Weise überholt, dass wir heute damit beschäftigt sind, mit den Wachstumsschmerzen der Stadt fertig zu werden. Die Perspek­tive hat sich geändert: 2006 ha­ben wir alles dafür getan, Ar­beitslosigkeit zu senken und wirtschaftlich und demo­gra­fisch zu gewinnen. Heute be­stimmen Themen wie bezahl­bares Woh­nen oder knapper werdende Flächen die Agenda. Aber ein Thema zieht sich bis in die Gegenwart: Schule und Bil­dung, das hielt ich schon im­mer für die wichtigste Auf­gabe.

    Welche neuen Ansprüche wer­den jetzt an Sie und ihr Amt ge­stellt? Haben Sie das Gefühl, dass sich die Ihre Rolle als OBM verändert hat?

    Am 1. März war die Wahl, seit dem 14. März bin ich im Krisen­modus. Die Pandemie ist von so bestimmender Art, dass sich unsere komplette Art des Handelns verändert hat. Wenn man es zuspitzt, sind wir in einer Hochwassersituation – aber über Monate. Ich erinnere mich an andere Krisen wie die Krise der Wasserwerke 2009, oder an das Hochwasser von 2013, bei dem das Wasser fünf Zentimeter vor der Deichkrone zum Stillstand kam und Schleu­ßig fast abgesoffen wäre. Im Grunde ist das seit dem 14. März eine Dauersituation. Bis vergan­gene Woche hatten wir jeden Tag Krisenstab, jeden Tag Eilent­scheidungen, Analyse der aktu­ellen Zahlen und die intensiven Debatten auf Landes- und Bun­desebene. Wir stehen zwischen Testverfahren und Gottver­trau­en, wir müssen auf Sicht fahren. Und natürlich gibt es keine Außentermine mehr, keine repräsentativen Aufgaben oder Pressekonferenzen zu anderen Themen, keine Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern vor Ort. Wir erleben sowohl eine neue Demokratieerfahrung als auch eine Demokratie­gefähr­dung.

    Von welchen Eilent­schei­dun­gen sprechen Sie?

    Ich habe sehr kurzfristig ent­scheiden müssen, ein viertes Frauenhaus zu öffnen. Ich habe auch kurzfristig beschlossen, dass Obdachlose keinen Obulus mehr entrichten müssen, wenn sie sich auch tagsüber in den Übernachtungshäusern auf­halten wollen. Dass die Eltern­beiträge ausgesetzt werden, wenn ein Kind nicht mehr zur Kita gebracht wird, war ebenfalls eine sehr kurzfristige Entschei­dung. Das wurde später auch im Landesgesetz verankert. Wir wollen zudem Auszubildende unterstützen, falls sie von Kün­digung bedroht sind, wir haben über unsere Partnerstädte in China und Vietnam Schutz­masken und -kleidung besorgt und wir haben entscheiden, Solo-Selbstständige als Stadt zu fördern.

    Im Moment blicken Bürger­*innen vor allem auf Bundes- und Landespolitik, da dort die lebensbestimmenden Maß­nahmen getroffen werden. Was sind die großen Aufgaben von Ihnen und der kommunalen Regierung im Moment?

    Am Anfang waren die Kommu­nen vor allem die treibende Kraft, da die lokalen Gesundheits­ämter im Infektionsschutzgesetz eine führende Rolle haben. Aus dem Handeln der Kommunen ist dann ein gemeinsames Vor­gehen geworden. Ich habe wöchentlich eine Telefonkon­ferenz mit den Fraktionsvor­sitzenden, wo wir die wichtigen Themen bereden. Dort treffe ich auch in Absprache mit den Fraktionsvorsitzenden notwen­dige Eilentscheidungen. Das heißt nicht, dass die parlamen­tarische Demokratie ausgesetzt ist. Wir versuchen, all unsere Entscheidungen miteinander abzustimmen. Der Stadtrat tagt seit letzter Woche wieder. In der Sitzung ging es unter anderem um die Unterstützung von Solo-Selbstständigen. Ich will den Selbstständigen in Leipzig deut­lich machen, wie wichtig sie für uns sind und ihnen innerhalb der städtischen Möglichkeiten für einige Monate helfen, nicht zum Jobcenter gehen zu müssen.

    Auch viele Studierende warten vergeblich auf eine Verbes­se­rung ihrer finanziellen Notlage. Welche Maßnahmen zur Un­terstützung der Studieren­den können Sie sich vorstellen?

    Ganz offen gesagt: Ich sehe über das Corona-Hilfsprogramm des Bundes hinaus kaum eine Mög­lichkeit. Viele haben sich bisher mit Minijobs in der Gastro­nomie oder anderen kleinen Be­schäftigungsverhältnissen über Wasser gehalten, das weiß ich sehr wohl, und das alles ist weggebrochen. Ich sehe die Not der Studierenden, aber eine Hilfe wird wahrscheinlich nicht anders machbar sein als über Bafög oder Ausbildungs­dar­lehen. Es wird lange dauern, bis der kleine Beschäftigungs­markt wieder laufen wird.

    Vor der Wahl haben Sie angekündigt, bis 2030 eine Milliarde Euro für den Ausbau des ÖPNV einzusetzen, seit einem halben Jahr befindet sich Leipzig im Klima­not­stand. Muss die Klimakrise nun an Relevanz einbüßen, oder wer­den Sie dennoch alle ökolo­gi­schen Ziele einhalten?

    Das Verrückte ist, dass wir die Klimaziele durch die Corona­krise einhalten. Das ist aber natürlich nicht nachhaltig. Wir diskutieren das sehr intensiv, ich habe nur die Sorge, dass unsere finanziellen Hand­lungs­mög­lich­keiten in den nächsten Jahren sehr stark ein­geschränkt sein könnten. Eine Kommune bezieht ihre maß­geblichen Einnahmen durch die Gewerbe­steuer, gefolgt von der Einkom­menssteuer. Beides wird uns in einem Maße weg­brechen, wie wir es uns nicht vorstellen kön­nen. Die Schät­zungen liegen bei bis zu 50 Prozent. Wir hatten in Leipzig 330 Millionen Euro Einnah­men durch Gewerbe­steuer im letzten Jahr. Im Moment gehen wir davon aus, dass es in die­sem Jahr etwa 150 Millionen Euro sein werden. Wir haben Einnahmenverluste, gleich­zei­tig steigt die Arbeits­losigkeit und wir haben höhere Aus­gaben im sozialen Bereich, et­wa bei den Themen häusliche Gewalt und Frauenschutz. Dazu kommt, dass uns Ein­nahmen bei LVB, Messe und Kulturbetrieben wegbrechen. Das wird unseren Haushalt belasten, wir brauchen drin­gend einen Rettungs­schirm von Bund und Land. Man wird also in Zukunft jede Ausgabe noch mehr auf den Prüfstand stellen müssen. Ich hoffe da­rauf, dass der Bund ein nach­haltiges Investitions­pro­gramm auf die Beine stellt und den Kommunen ermöglicht, auch weiterhin gegen die Klimakrise vorzugehen.

    Sehen Sie die Gefahr, dass sich nach der Krise Klimathemen wirtschaftlichen Themen grund­sätzlich unterordnen müssen?

    Ich hoffe, dass wir das ver­söhnen können. Der Bund ist gut beraten, sein Investi­tionsprogramm an Nachhaltig­keitsthemen, genauer an den Klimazielen von Paris zu orientieren. Wir sprechen da von CO2-Einsparungen oder Fassadenbegrünung und In­vesti­tionen in den ÖPNV.

    Wie stellen Sie sich Leipzig nach der Krise vor? Wie wür­den Sie es sich wünschen?

    „Nach der Krise“ ist relativ. Ich glaube, wir werden noch sehr lange die Folgen von Covid-19 spüren, für den Einzelhandel und für die Gastronomie, für Kultur- und Tourismus­bran­che. Wir werden Großver­anstaltungen bis lange in den Herbst nicht erleben können. Die Frage ist, wie unsere Kul­turbetriebe, die Clubszene und die Kneipe um die Ecke vom Krisenmodus hin zu einem gemäßigten Betrieb hin wieder aufleben werden.
    Ich glaube außerdem, dass wir im kom­menden Jahr intensiv spüren werden, was das mit uns macht: Werden die Amazons und Googles dieser Welt die großen Gewinner dieser Krise sein? Spüren Menschen, wie kalt und herzlos die digitale Kom­munikation alleine ist? Ich wünsche mir von Herzen, dass Menschen er­kennen, wie wich­­­tig die menschliche Kom­munikation und Zuwendung ist. Sicherlich mit einem neuen Gefühl für Abstand und Hy­giene – vielleicht war es das Ende in unserer Kultur mit dem Händeschütteln. Aber ich hoffe, dass wir wieder schätzen lernen, was es bedeutet, wenn Menschen einander unverstellt begegnen können und dass wir uns nicht an die Virtualität gewöhnen.

    Foto: Stadt Leipzig

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