Dem Stigma entgegen
In unserer Mai-Ausgabe beschäftigen wir uns im Thema-Ressort mit mentaler Gesundheit. Studierende mit psychischer Krankheit berichten von ihrem Studium und ihren Herausforderungen.
„Mir wurde – mehr oder weniger deutlich – unterstellt, ich hätte mit meiner Krankheitsgeschichte ohnehin nichts an der Uni zu suchen“, lautet Tonis* Antwort auf die Frage, ob nim andere Menschen jemals mit Vorurteilen aufgrund nims psychischen Krankheit begegnet sind (Toni benutzt das Personalpronomen „es“ und das Possessivpronomen „nims“). Toni ist 23 und hat Depressionen, Autismus, eine Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie eine Posttraumatische Belastungsstörung. „Beides, der Autismus und Borderline, sind Behinderungen, die ich aber nicht als ‘Krankheit‘ ansehe, weil sie mich zwar behindern, aber ich darunter nicht grundsätzlich leide. Ohne Depressionen wäre ich glücklicher und gesund, ohne Autismus und Borderline wäre ich nicht mehr ich“, äußert sich Toni. Seit Tonis siebtem Lebensjahr befindet es sich in Behandlung. „Damit hatte ich wenige Möglichkeiten, das bewusst selbst zu entscheiden. Das bedauere ich ein wenig, weil viele der Therapieansätze nicht hilfreich und eher dazu ausgelegt waren, das Umfeld zu entlasten, als mir den Leidensdruck zu nehmen.“ Auch während des Studiums hat es oft negative Erfahrungen gemacht. „Unter anderem bei Nachteilsausgleichen, wo die Verantwortlichen der Meinung waren, ich würde bloß meine Faulheit auf Dozierende abwälzen wollen.“ Toni habe glücklicherweise Unterstützung vom Inklusionsreferat und der Beauftragten für Studierende mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen erhalten.
Laut Arztreport der Krankenkasse Barmer waren 2018 rund eine halbe Million Studierende in Deutschland mit einer psychischen Krankheit diagnostiziert. Zwischen 2005 und 2016 sei die Zahl der Erkrankungen bei 18- bis 25-Jährigen um 38 Prozent gestiegen, bei Depressionen sogar um 76 Prozent. Ulrich Hegerl, Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und bis 2019 Lehrstuhlinhaber am Universitätsklinikum Leipzig, wertet dies gegenüber dem Unicum-Magazin aber als eine positive Entwicklung: „Das bedeutet nicht, dass heute mehr Menschen erkranken, sondern dass sich mehr Menschen Hilfe suchen, dass die Ärzte Depressionen besser erkennen und dass mehr Hilfsangebote bestehen.“
Für Toni ist Gruppenarbeit ein großes Problem im Unialltag. Zudem könne es nicht in der Mensa essen, weil sie zu laut und zu voll ist. Regelmäßige Ruhezeiten seien wichtig für Toni, außer in den Bibliotheken bietet die Universität dafür allerdings kaum Platz.
Klara* studiert ebenfalls an der Universität Leipzig. Sie leidet an Depressionen, eine Diagnose, die ihr eine Therapeutin der psychosozialen Beratung nach etwa vier Sitzungen mitteilte. Zuvor war sie mit 16 schon bei einer Jugendtherapeutin gewesen. „Das war so schrecklich, dass ich nie wieder dahin wollte.“ Einen erneuten Besuch bei einer Beratung schob sie auf. „Nach anderthalb Jahren in Leipzig ging es mir, sagen wir mal, kontinuierlich nicht so super.“ Sie sei nicht ständig traurig, es sei eher Gefühlslosigkeit und Leere, die sie phasenweise verspüre.
Durch die Verhaltenstherapie hat Klara Strategien entwickelt, um mit ihrer Krankheit umzugehen. Eine feste Routine hilft ihr durch den Unialltag. Während der Ausgangssperre und auch jetzt noch werde der Unterschied zwischen guten und schlechten Tagen immer kleiner. „Ich sitze ja fast den ganzen Tag in meinem Zimmer. Da ist es schwierig, eine Routine aufzubauen“, berichtet Klara. „Ich frage mich auch: Geht es mir persönlich wegen der Depression so oder geht es allen so?“ Toni hat mit der sozialen Isolation hingegen wenige Schwierigkeiten. „Ich kann mir meine Struktur zu Hause schaffen und online an Lehrveranstaltungen teilnehmen. Da meistens kein Video verwendet wird, fällt auch die Überforderung durch andere Personen weg.“
*Name von der Redaktion geändert
Foto: Fotalia/Engine Images
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