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  • Eine geht noch

    Der Solidarische Studententreff will sich um studentische Angelegenheiten kümmern. Genau das sehen offizielle Studierendenvertretungen aber als ihre Aufgabe an. Was wollen sie besser machen?

    Rot-weißes Absperrband flattert im Wind und erinnert Passant*innen daran, den gebührenden Abstand einzuhalten, welchen die Pandemie einfordert. Der Augustusplatz ist wie leergefegt – mit Ausnahme eines Standes vor dem Neuen Augusteum der Universität Leipzig, eingezäunt von Absperrband und geschmückt mit einem großen Transparent mit der Aufschrift: „Wir zahlen nicht für eure Krise.“ Unmittelbar darunter die Forderung nach Soforthilfen für Studierende in Not. Es ist der 1. Mai 2020, auch Proteste am Tag der Arbeit müssen sich an die Krisenbedingungen anpassen. Junge Passant*innen sind über die Absperrung hinweg in lebhafte Gespräche mit den Standinhaber*innen vertieft.  

    Ein musikuntermaltes Youtube-Video hält die Szenen für die Nachwelt fest. Darin richtet sich die Kamera auf Max, welcher anschaulich die aktuelle Situation aus Perspektive der Studierenden und deren damit verbundenen Probleme und Sorgen beschreibt. Er fordert, dass Bildung „natürlich“ kostenlos zugänglich sein müsse. Max benutzt sehr oft das Wort „natürlich“, als ob die Forderungen absolut naheliegend und außerdem schon längst überfällig wären. 

    Er und die anderen Protestierenden sind Mitglieder des Solidarischen Studententreffs (SST), einer kleinen Gruppe von Studierenden verschiedener Hochschulen und Fakultäten in Leipzig, Halle und Zwickau. Der SST entwickelte sich vor knapp einem Jahr aus einem Stammtisch im ZweiEck, ein Nachbarschaftsverein in Anger-Crottendorf, welcher noch immer ihr Treffpunkt ist. Durch Werbung auf Facebook und in Ersti-Gruppen hat sich die Mitgliederzahl mittlerweile auf ungefähr zehn Aktive vergrößert. Von Philosophie über Maschinenbau bis Informatik – die Mitglieder studieren in verschiedensten Bereichen. Im Stammtisch entstand das Bedürfnis, sich mit studentischen Angelegenheiten auseinanderzusetzen. „Was sind Probleme und wie lösen wir sie?“ war die zentrale Frage, erinnert sich Max beim Telefon-Interview. Zwei Aspekte kristallisierten sich dabei als Sammelstellen von Problemen heraus: Zum einen die Studienfinanzierung und zum anderen die Frage, wie das Leben nach dem Abschluss eines Studiums weitergeht.  

    Die Gruppe versteht sich selbst als unabhängig, solidarisch und aktiv. Das Stichwort „unabhängig“ wirft eine Frage auf: Warum eine neue Gruppe gründen, wenn doch hochschulpolitische Gruppierungen bereits in Hülle und Fülle existieren, welche genau das tun: sich mit studentischen Angelegenheiten auseinandersetzen? „Es gibt superviele politische Gruppen an den Hochschulen“, sagt Anna, wie Max eine der Mitbegründer*innen des SST. Aber diese setzen sich nicht mit den Interessen und Problemen ihrer Studienrealität auseinander, zum Beispiel der Studienfinanzierung, der Wohnungsfrage oder dem Wettbewerb unter Kommiliton*innen. Vielmehr sei der Studierendenrat der Universität Leipzig primär am nächsten Biertrinken interessiert.  

    Fachschafträte haben oft zu wenig Rückkopplung zur Basis“, argumentiert sie weiter. Die „Basis“, das sind die Studierenden, welche eben nicht Mitglied einer hochschulpolitischen Gruppe sind. Denen fehle es an Erfahrung, dass die eigene Initiative auch tatsächlich etwas bewirken kann. Das habe wiederum zur Folge, dass sich niemand mehr engagiere. Zu sehen ist dies, laut Anna, auch an der Wahlbeteiligung bei den Hochschulwahlen. Der Studententreff will daran etwas ändern, indem er eine solche studentische Basis aufbaut eine Struktur, in der jede*r Einzelne etwas bewirken kann. Fragen wie „Warum finde ich keine bezahlbare Wohnung? Warum bin ich doppelt belastet durch Studium und Nebenjob? Warum arbeite ich umsonst in meiner Praktikumsstelle?“ sollen dann nicht mehr allein, sondern gemeinsam unter Kommiliton*innen gelöst werden. 

    Ganz unabhängig werden sie aber wohl doch nicht bleiben. „Wir haben festgestellt, dass wir größere Strukturen brauchen“, erzählt Anna. Man werde sich nun stärker mit Fachschaftsräten und auch Gewerkschaften zusammenschließen. Bleibt abzuwarten, ob sie dann weiterhin so frei von Kompromissen bleiben können, wie sie es auf ihrer Webseite versprechen. Aus Annas Mund klingt das aber nicht wie ein Zugeständnis, sondern schlicht nach dem nächsten Schritt, der näher zum Ziel führt. Die Gruppe allein reicht nicht, dann entwickelt man sich eben weiter, kein Problem.  

    Wenn eine eindeutig eher der linken Sparte zuzuordnende Gruppe sich selbst den Namen „Solidarischer Studententreff“ gibt, steht automatisch eine Frage im Raum: Warum nicht gegendert? Diskussionen allein über Sprache bringen keine Veränderung, erklärt Anna, sondern lenken stattdessen von realer Unterdrückung ab. „Was hat eine alleinerziehende Mutter, die sich mit Minijobs durchschlägt, davon, wenn überall gegendert wird?“ Gerade die Differenzierung in politisch korrekt oder nicht politisch korrekt reden, schließe viele Leute vorab von diesen Diskussionen aus, die eigentlich Teil von ihnen sein sollten. In eigenen Reihen stoße diese Ansicht aber auch auf Kritik. Vor dem Interview hatte die Gruppe extra noch eine „wichtige Diskussion“ geführt – darüber, „was wir weiter machen und sein wollen“, erzählt Anna. Möglicherweise ist dieses Thema noch nicht ganz vom Tisch.  

    Das Video über die Protest-Aktion am 1. Mai endet auf dem Marktplatz im Zentrum Leipzigs. Die Protestierenden singen zusammen die deutsche Version des italienischen Liedes „Bella Ciao“. Für den Solidarischen Studententreff ist das aber vielleicht gerade erst der Anfang. Die Gruppe hat schon weitere Aktionen geplant. Studieninteressierte wollen sie zu einer Art Speed-Dating mit Berufstätigen einladen. Veranstaltungen zum Skill-Sharing über Programme wie Citavi oder Excel musste der SST aufgrund der Pandemie erst einmal nach hinten verschieben. Auf ihrer Webseite reiht sich währenddessen ein offener Brief an den nächsten – darunter Positionierungen zu dem sogenannten Solidarsemester und Forderungen nach finanzieller Soforthilfe für Studierende. Es gibt noch viel zu tun.  

    Foto: Solidarischer Studententreff

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