„Ich will meine Lebenszeit nicht damit verbringen, Maschinen zu entwickeln, die Menschen optimal töten“
Leipzig ist Standort der neuen Agentur für Sprunginnovation. Im Interview mit luhze-Redakteur Niclas Stoffregen spricht der Direktor über disruptive Ideen und Deutschlands veraltete Hightechindustrie.
Mit 16 hat Rafael Laguna de la Vera seine erste Firma gegründet, mit 21 ein komplettes Kassensystem für die Getränkewirtschaft programmiert. Lange Zeit war er CEO eines IT-Unternehmens. 2019 wurde er zum Gründungsdirektor der Agentur für Sprunginnovation ernannt. Mit der staatlichen Agentur soll ein in Deutschland einmaliger Ansatz zur Förderung von disruptiven Innovationen umgesetzt werden.
luhze: Herr Laguna, Sie wollen mit ihrer Agentur Sprunginnovationen fördern. Was macht eine Sprunginnovation aus?
Laguna: Eine Sprunginnovation ist eine Innovation, welche die Welt so stark verändert, dass sie danach nicht mehr so ist wie vorher. Beispiele sind das Smartphone, das Internet oder das Auto. Die Veränderungen kann man auf Bildern, am Verhalten der Menschen und an Industrien erkennen, die sich dramatisch verändert haben.
Wie erkennen Sie eine Sprunginnovation?
Wir haben keine Glaskugel, in die wir schauen können. Man kann die Zukunft nur vorhersagen, indem man sie schafft. Deshalb ist unsere Strategie, auf Menschen mit besonderen Talenten zu setzen. Das sind Menschen, die für ihr Thema an beiden Enden brennen. Sie stehen damit auf, sie gehen damit ins Bett, sie träumen davon. Wenn sie dann noch das Glück haben, ein bisschen schlau zu sein und an einem potenziell disruptiven Thema zu arbeiten, dann sind das die Personen, die wir suchen. Diese Leute kombinieren wir häufig mit anderen außergewöhnlichen Menschen, die in angrenzenden Feldern arbeiten. Sprunginnovationen sind oft Kombinationen einzelner Innovationen. Dabei erlauben wir uns, dass manchmal etwas schiefgeht. Das muss man einfach einkalkulieren. Wir hoffen aber natürlich, dass genügend Ideen übrigbleiben, die zünden.
Wie wollen Sie die Innovationen fördern?
Uns erreichen viele Ideen und Bewerbungen. Wir bauen gerade ein Netzwerk mit verschiedenen fantastischen Leuten auf. Die ziehen wir zusammen, um die eingereichten Ideen zu sichten. Und wenn uns da was überzeugt, dann gehen wir auf die Personen zu und sagen „Pass mal auf, wir unterstützen euch.“ Wir stellen dann erfahrene Menschen an die Seite des Projekts. Wir schaffen Zugang zu Wissenschaft, Wirtschaft, Politik – wir tun, was immer dafür notwendig ist. Und wir stellen die ersten 100.000 oder 200.000 Euro für ein sogenanntes Validierungsprojekt bereit. Wenn das gelingt, gehen wir damit in unseren Aufsichtsrat, gründen eine Tochter-GmbH und können dann Millionen von Euro über viele Jahre investieren.
Sie waren viele Jahre CEO eines IT-Unternehmens. Liegt ein Schwerpunkt auf Innovationen aus dieser Branche?
Ich bin zwar ein ITler, aber mein Interesse ist sehr breit. Die Aufgabe der Agentur geht auch hinein in sozialpolitische Innovationen, zum Beispiel Verteilungs- oder Steuersysteme. Aber Digitalisierung ist überall, fast jedes Projekt hat irgendwo eine digitale Komponente. Deswegen ist es nicht schlecht, dass ich in dem Bereich einen starken Background habe.
Warum braucht Deutschland die Agentur? Was hat Innovationen bisher gebremst?
Innovationen haben wir. Wir sind Patentweltmeister, wir haben ein kerngesundes, hochproduktives Wissenschaftssystem. Aber wir haben es seit nach dem Krieg nicht mehr geschafft, neue Sprunginnovation zu schaffen, die hier im Land bleiben. Wir leben noch von den Sprunginnovation in Pharmazie, Chemie, Automobil, die vor dem Krieg entstanden sind. Wir müssen zu dieser Fähigkeit zurückfinden, Erfindungen in Wirtschaftskreisläufe zu überführen. MP3 zum Beispiel war eine deutsche Erfindung, die hat auch den Erfinder reich gemacht. Aber die daraus entstandenen Geschäftsmodelle wurden von Firmen außerhalb Deutschlands aufgegriffen. Ich bin weder Politiker noch Wissenschaftler im klassischen Sinne, ich bin ein Bindeglied dazwischen. Ich glaube, man dokumentiert mit meiner Berufung, dass man es hier anders machen möchte.
Die Top 10 der IT-Firmen kommen aus den USA oder China. Kann Deutschland mit dem Institut seinen Rückstand aufholen?
Ich denke schon. Es muss Transparenz geschaffen werden, um Vertrauen zu gewinnen. Wir müssen unsere europäische-humanistischen Werte in unsere Innovationen einbauen, dann können wir sie auch transportieren. Dadurch schaffen wir eine Art Gütesiegel, quasi Made in Germany 2.0. Dann glaube ich, können wir digitale Produkte bauen, die im Wettbewerb mit Produkten stehen können, die keine Rücksicht auf unsere Werte nehmen. Aber unsere Produkte müssen auch mindestens genauso gut funktionieren. Das sind schon formidable Wettbewerber, aber ich denke, mit guter Qualität und durch das Made in Germany 2.0-Gütesiegel haben wir nach wie vor eine Chance auf dem Weltmarkt.
Sie nehmen sich die US-amerikanische Forschungsbehörde Darpa als Vorbild. Diese wird mit 3 Milliarden Dollar jährlich finanziert, Ihre Agentur mit 1 Milliarde Euro über 10 Jahre. Investiert Deutschland zu wenig in die Agentur?
Wir fangen erst an. Wir haben 150 Millionen Euro zur Verfügung, um die Agentur aufzubauen. Dann sollen wir 100 Millionen pro Jahr bekommen. Das ist nicht wenig Geld. Wir müssen erst einmal die Fähigkeit aufbauen, das sinnvoll zu investieren. Wir werden Projekte haben, die ein größeres Budget brauchen als unser Gesamtbudget. Das hindert uns aber nicht daran, die Dinger mit anzuschieben, wir müssen sie ja nicht durchfinanzieren. Außerdem garantiere ich Ihnen: Wenn ich morgen bei der Bundeskanzlerin mit einem Projekt aufschlage, wo ich sage, das ist der absolute Knaller, aber ich brauche 2 Milliarden. Dann werden wir die auch finden.
Arbeiten sie mit der neuen am Flughafen Leipzig/Halle angesiedelten Agentur für Innovationen in der Cybersicherheit zusammen?
Die Agentur für Cybersicherheit ist der militärische Teil. Ich habe bewusst gesagt, wir sollten die Agentur unmilitärisch halten. Auf der anderen Seite gibt es aber immer Dual-Use von Technologien, wie zum Beispiel GPS, das hauptsächlich militärisch entwickelt worden ist, aber dann in Smartphones eingebaut wurde. Ich habe auch nichts dagegen, wenn wir Verteidigung für unser Land und für Europa aufbauen. Ich bin nicht diese Sorte Pazifist. Jedoch will ich meine Lebenszeit nicht damit verbringen, Maschinen zu entwickeln, die Menschen optimal töten. Aber die Agentur für Cybersicherheit wird viele Projekte haben, die für uns interessant sind und umgekehrt. Es finden bereits erste Gespräche statt, wir werden eng zusammenarbeiten und uns abstimmen.
Ist eine staatliche Agentur die richtige Antwort auf das Problem? Gibt es nicht andere Möglichkeiten, Unternehmen zu ermutigen, Kapital in gewagte Projekte, sogenanntes Venture Capital (VC), zu investieren?
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie macht da einen guten Job. Wir haben den Hightech Gründer Fond und wir sehen auch, dass vielversprechende VC-Geber entstehen, um die Lücken zu schließen, die noch da sind. Aber die Agentur ist kein VC-Geber. Wir müssen nicht auf die Kapitalrendite, sondern auf den volkswirtschaftlichen Impact achten. Wir finanzieren nur Projekte, die keine VC-Finanzierung bekommen können, weil sie einfach viel zu riskant sind. Sobald wir ein Ding so weit entwickelt haben, dass wir eine private Finanzierung bekommen, die unseren Prinzipien treu bleibt, wird es sofort privatwirtschaftlich gemacht. Das jetzt als staatliche Agentur zu machen, ist ein guter Anfang. Aber muss die Agentur immer eine staatliche Agentur bleiben? Ich kann mir gut vorstellen, dass die Agentur vielleicht in fünf Jahren privatwirtschaftlich sein wird. Aber das werden wir sehen.
Haben Sie Angst, dass Sie eine wirtschaftliche Relevanz der geförderten Ideen suggerieren, wo gar keine ist?
Da achten wir schon drauf. Unsere Leute im Innovation Management sind Menschen, die auf beiden Seiten stehen. Wissenschaft, Wirtschaft und Politik – unsere Innovation Manager haben das alles schon gemacht im Leben. Wir denken immer in Geschäftsmodellen. Wenn jemand vorschlägt, das ganze Schienennetz in Deutschland umzubauen, damit ein neuer Zug fahren kann, dann sagen wir, dass es nicht umsetzbar ist.
Es waren andere Standorte im Rennen. Was hat den Ausschlag für Leipzig gegeben?
Wir hatten drei Kategorien von Entscheidungskriterien. Das eine sind die sachlichen: Wie ist die Anbindung an Metropolregionen? Wie ist die wissenschaftliche Unterstützung? Was sind die Lebenserhaltungskosten? Daraus ergaben sich drei Standorte: Potsdam, Karlsruhe und Leipzig. Die zweite Ebene ist der politische Wille: Der Koalitionsvertrag sagt, dass wir neue Agenturen und Behörden möglichst in den neuen Bundesländern gründen sollten. Das war schlecht für Karlsruhe. Das dritte ist das Image der Agentur: Die Agentur soll hochattraktiv für junge Leute sein, für Studenten, für Innovatoren und Innovatorinnen, für Geeks, für schräge Vögel, wie ich selbst einer bin. Das Image der Stadt muss zu uns passen. Da hat klar Leipzig den Vorsprung vor Potsdam. Leipzig ist einfach rougher, cooler und hat mehr Dynamik.
Titelfoto: SPRIND GmbH
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