• Menü
  • Kolumne
  • Eine kleine Auszeit

    Damit ihr während der Corona Pandemie die Decke nicht auf den Kopf fiel, führte Kolumnistin Natalie eine neue Routine ein: Spazieren. Dabei entdeckt sie neue Wege und schwelgt in Erinnerungen.

    Zügigen Schrittes gehe ich den unebenen Weg entlang. Kieselsteine knirschen unter meinen Schuhen, manchmal weiche ich auf das Gras neben dem Weg aus, um mal ein anderes Gefühl unter meinen ausgelatschten Sportschuhen zu spüren.  Immer wieder, wenn ich aufsehe, bin ich verwundert in wie vielen hunderten Grüntönen der kleine Wald um mich herum erstrahlt. Wie viele Vögel ich in den Zweigen der hochaufragenden Bäume entdecke. Wie oft ihr Zwitschern in meinen Ohren schrillt.  In dem kleinen Park, der innerhalb weniger Minuten von meiner Wohnung aus zu erreichen ist, wirkt das Leben ganz anders. Hier ist alles viel langsamer, ruhiger und trotzdem voller Leben.  

    Als vor ein paar Monaten die Pandemie begann, war mir schnell klar, dass ich in meinen vier Wänden irgendwann wahnsinnig werden würde. Die immer gleiche Tapete, die wenigen Quadratzentimeter – nicht zum Aushalten auf Dauer. So begann mein neues Ritual.  Jeden Tag spazieren gehen. Egal, wann. Egal, bei welchem Wetter. Manchmal allein, manchmal mit meinem Partner. Eine besonders große Herausforderung war es jedoch nicht. Ich spazierte bereits in der Kindheit viel und gerne. Am liebsten mit der Oma, die erstaunliche Dinge aus einem reich gefüllten Leben zu erzählen hatte.  

    Die Kolumnistin in einem schwazen Shirt im Gras

    Kolumnistin Natalie bei ihrem täglichen-Ritual.

    Ich erinnere mich an ihre Geschichte wie sie ihre geliebten Lackschuhe abgeben musste, weil die Familie im Krieg Geld für Brot brauchte. Da ich damals selbst solche Schuhe besaß, war es unvorstellbar für mich freiwillig zu verzichten. Für Essen, das ich jeden Tag ganz selbstverständlich genießen konnte.  Solche Erinnerungen kommen mir nun wieder, wenn ich durch den Park schlendere. Manchmal schnell, als müsste ich irgendwohin. Manchmal aber auch langsam und ausschweifend. Denn zu Hause erwartet mich Arbeit, Termine, Nachrichten, die unbedingt und sofort eine Antwort fordern.  

    Hier im Park stört mich jedoch kein nerviges Handyklingeln, kein Berg Bücher schaut mich vorwurfsvoll an. Mit offenen Augen laufe ich die Wege ab, entdecke nahezu jede Woche neue unbekannte Abschnitte. Weite Grünflächen, dann jedoch wieder ein kleines Waldstück und Felder voller hochgewachsenem blassen Gras. Ich umrunde den Silbersee, frage mich jedes Mal schmunzelnd, ob in ihm ein Schatz verborgen liegt, so wie bei Karl May. Beschützt von den verschlafenen Enten und den keifenden Gänsen, die gerade jetzt ihre Jungen bis aufs Blut verteidigen.  

    Doch auch zwischenmenschlich gibt es viel zu entdecken bei diesen täglichen Ausflügen. Gemeinsam spazieren gehen, ist das nicht eher was für ein älteres Ehepaar, frage ich mich manchmal. Wenn ich mich im Park so umsehe, dann scheint da was dran zu sein. Aus dem angrenzenden Seniorenheim kommen sie gern zu zweit. Mit Gehhilfe oder Rollator.  Ich schaue zu meinem Spaziergefährten und muss lächeln. Das Alter, diese Zeit im Leben scheint noch unendlich weit weg. Gar nicht greifbar. Unsere Schritte heute sind schnell, weil wir es im Blut haben. Wir sind es gewohnt von A nach B in kurzer Zeit kommen zu müssen. Doch wir lassen uns nicht hetzen. Nicht mal vom Regen, der kalt und fröstelnd an unseren Jacken abperlt. Während die Wege und Pfade so uns an uns vorüber gleiten, erzählen wir einander alles, was im stressigen Alltag schnell mal untergeht. Geschichten, die wir auch nach drei Jahren Beziehung immer noch nicht voneinander wissen. Es ist jedes Mal wie ein neues Kennenlernen. Manchmal spaßig, manchmal ernst und tiefgründig.  

    So geht jeder Tag dahin, jede Woche, jeden Monat. Fast schon bin ich ein wenig froh, dass Corona mich dazu gezwungen hat endlich mal das durchzuziehen, was ich eigentlich schon lange vor hatte. Selbst jetzt behalte ich diese Routine bei, denn ich weiß, irgendwann bricht wieder eine schnelllebige Zeit an, in der ich mich nach ein wenig Freizeit sehnen werde. In der ich wieder von Termin zu Termin, von Treffen zu Treffen, hetzen muss. Doch bis dahin genieße ich erst einmal meine kleine Auszeit.  

     

     

    Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.

    Verwandte Artikel

    Damit ihr während der Corona Pandemie die Decke nicht auf den Kopf fiel, führte Kolumnistin Natalie eine neue Routine ein: Spazieren. Dabei entdeckt sie neue Wege und schwelgt in Erinnerungen.

    |

    Reisen durch das MDV-Gebiet

    Das MDV-Ticket lohnt sich nicht nur für Pendler*innen zwischen Halle und Leipzig. Auch außerhalb der beiden Großstädte gibt es viel zu entdecken, zu erreichen in weniger als einer Stunde.

    Service | 25. Februar 2020