Von der kleinen zur großen Freiheit
Abenteuer können schon vor der Haustür anfangen – Das ist der Leitspruch einer neuen Bewegung, die Freiheit an altbekannten und trotzdem ungewohnten Orten sucht.
Mikroabenteuer – das klingt fast zynisch in diesen Zeiten, wo schon der Einkauf im Supermarkt ein kleines Abenteuer ist. Wir rasen durch den Laden und machen uns Sorgen, wie viele Milliarden Keime gerade von dem Lenker des Einkaufswagens auf die Hand krabbeln. Aber natürlich ist das kein richtiges Abenteuer, denn was uns in diesen Tagen Stress bereitet, ist, dass wir nicht selbst entscheiden können. Bei den kleinen Abenteuern sollen wir genau das zurückgewinnen: die Freiheit, selbst zu entscheiden, wo und wie wir Freiheit finden und dass sie nicht nur ganz weit entfernt sein kann, sondern schon hinter der nächsten Straßenecke wartet.
Was ist also ein Mikroabenteuer, oder Microadventure, wenn man Anglizismen vorzieht. Christo Foerster kann es erklären. Der 42-Jährige hat ein Buch über Mikroabenteuer geschrieben, hält Vorträge zu dem Thema. „Ich habe für mich selbst drei Regeln definiert: Ein Mikroabenteuer dauert maximal 72 Stunden, ich benutze weder Auto noch Flugzeug und wenn es über Nacht dauert, verbringe ich sie draußen ohne Zelt.“ Das seien aber seine eigenen Regeln. „Ich kann nicht für jemand anderen definieren, wo Abenteuer anfangen und aufhören.“ In den meisten Fällen finden Mikroabenteuer außerdem im Grünen statt. Zum Beispiel könnte man an irgendeinem Mittwoch nach der Uni in den nächsten Zug steigen, irgendwo unter freiem Himmel ohne Zelt übernachten – denn Wildcampen mit Zelt ist in Deutschland verboten – und am nächsten Morgen wieder zurückfahren. Im Kern heißt Mikroabenteuer, wie Foerster sagt: „Du musst nicht durch die Weltgeschichte fliegen, um ein Abenteuer zu erleben. Es kommt eher auf deine Haltung an.“
Hannes Zacher ist seit 2016 Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Uni Leipzig. Er sagt, dass kleine Ausbrüche aus dem Alltag eventuell dabei helfen können, Stress zu reduzieren. „Es gibt zwar keine konkrete Studie zu diesem Thema, aber verschiedene, die darauf hindeuten.“ Denn in der Natur zu sein ist gut für den Menschen, weil wir aus der Savanne stammen und sich unsere Psyche schon von dem Grün von Büropflanzen positiv beeinflussen lässt. „Das ist ein evolutionärer Mismatch.“ Wenn die Mikroabenteuer ein Selbstzweck sind, dann könne uns das helfen, Selbstwirksamkeit zu erfahren. „Es geht bei diesen Abenteuern nicht um Loslassen, sondern darum, selbst wieder Kontrolle zu gewinnen und die eigene Unabhängigkeit und Autonomie zu stärken“, sagt Zacher.
Mikroabenteuer, da sind sich beide einig, können das Leben und sogar die Persönlichkeit verändern. Wenn wir also irgendwann wieder sorgenfrei nach draußen können, wird es vielleicht Zeit, eine Art von Freiheit zu entdecken, die wir höchstens aus dem Urlaub kennen. Denn, so Zacher, „große Veränderungen fangen im Kleinen an.“
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