Gentrifizierung adé
Am 17. Juni beschloss der Stadtrat eine Milieuschutzregelung. Was bedeutet das?
Nach langem Ringen beschloss der Leipziger Stadtrat in der Sitzung am 17. Juni für sechs Gebiete innerhalb der Stadt eine Umsetzung der sogenannten sozialen Erhaltungssatzung, auch als Milieuschutz bekannt.
Sie soll Gebiete, die nachweislich einer hohen Nachfragedynamik und besonderem Aufwertungspotenzial unterliegen, vor steigenden Mieten und daraus resultierenden Verdrängungsprozessen der ansässigen Bevölkerung schützen. Betroffene Gebiete sind die Eisenbahnstraße, Connewitz, Lindenau, Alt-Lindenau, am Lene-Voigt-Park und Eutritzsch.
Leipzig ist schon lange eine boomende Stadt mit stetigem Zuwachs. Gentrifizierung, Wohnungsknappheit und steigende Mietpreise sind auch hier schwer zu ignorieren. Große Immobilienfirmen kaufen Wohnhäuser und sanieren diese, um sie anschließend in Eigentumswohnungen umzuwandeln oder teuer zu vermieten. Das ist laut Mathias Weber (Linke) seit den 90er Jahren das klassische Bauträgergeschäft in Leipzig. So verschwinden allmählich bezahlbare Wohnungen und weniger wohlhabende Bürger werden aus ihren Vierteln verdrängt.
Die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung und die soziale Vermischung – das Milieu – ist dadurch in Gefahr. Hier kommt die soziale Erhaltungssatzung ins Spiel. Sie verhindert Sanierungen über einen bestimmten Standard hinaus, sodass Einwohner*innen mit geringen und durchschnittlichen Einkommen sich weiterhin ihr Zuhause leisten können. Dieser Standard umfasst die baurechtlichen Mindestanforderungen einer Ausstattung mit Sanitär- und Elektro-, sowie Frisch- und Abwasserinstallationen und orientiert sich außerdem am Ausstattungszustand einer durchschnittlichen Wohnung des Gebiets. Luxuriöse Modernisierungen wie Parkettböden oder Marmorfliesen verbietet die Satzung. Alles dazwischen bedarf einer Genehmigung. Weiterhin bekommt die Stadtverwaltung ein Vorkaufsrecht von Wohngebäuden. Das verhindert Investitionen von Großfirmen, die andere Interessen als den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum haben, zum Beispiel durch Luxusmodernisierungen den Wohnwert zu erhöhen.
Die Maßnahme war lange umstritten: Bereits 2015 forderte das Netzwerk Leipzig – Stadt für alle das Nutzen von Erhaltungssatzungen. „Das haben wir gepusht und eingefordert“, sagt Tobias Bernet, Mitglied des Netzwerks. Doch erst ein offener Brief brachte das Anliegen 2017 wirklich ins Rollen und es benötigte nochmals knapp drei Jahre bis zum Beschluss im Stadtrat mit den Ja-Stimmen der Linken, Grünen, SPD und Piraten.
Kritik war aus CDU, AfD und FDP zu vernehmen. Siegrun Seidel (CDU) bezeichnete die Satzung als „Verwaltungsmonster“, welche eine Menge Geld koste. Denn für jede Sanierung über den durchschnittlichen Standard hinaus braucht es eine Genehmigung. Sven Morlok (FDP) äußerte die Befürchtung, dass die Neuerungen statt einer Durchmischung der Bevölkerung eine „Entmischung“ bewirken könnte. „Wer es sich leisten kann, zieht raus. Wer nicht, bleibt“, sagt Morlok. Tobias Keller (AfD) sprach gar von einer „Verslumung“.
Tobias Bernet findet hingegen keine guten Argumente gegen die Erhaltungssatzung. Die Befürchtung der Gegensprecher*innen, dass Investor*innen verschreckt werden, sieht er nicht als Problem. „Man kann den Leuten durchaus ein paar Vorschriften machen und es wird immer noch investiert.“ Auch Sanierungen werden schließlich nicht per se verhindert, lediglich eine „krasse Standardanhebung“ sei nicht mehr einfach so möglich.
Nächste Schritte in der Umsetzung werden Informationsveranstaltungen in den betroffenen Gebieten sein, um Anwohner über die Neuerungen aufzuklären. Die Wirksamkeit der Sozialen Erhaltungssatzung soll zudem fortlaufend beobachtet werden. „Es ist nur ein kleiner Baustein, kein Allheilmittel“, resümiert Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) die Debatte. Die geplanten Evaluationen der Satzung sollen zeigen, wie wirksam dieser Baustein ist und ob er ein Grundstein für weitere Maßnahmen sein kann.
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