Die Kostbarkeit guter Lehre
Seit Monaten herrscht ein unerbittlicher Konflikt zwischen Universitätsangehörigen der Lehrer*innenbildung und dem Rektorat. Es geht um Stellenpolitik – und um Wertschätzung forschungsbasierter Lehre.
Seit Mittwochnachmittag halten Lehramtsstudierende das Rektorat der Universität Leipzig besetzt. Es ist der Höhepunkt eines erbitterten Konflikts, der seit Wochen zwischen Beteiligten der Lehrer*innenausbildung und der Hochschulleitung herrscht. Alles begann am 31. Mai 2020. An diesem Tag schickte die Hochschulleitung eine Mail an alle lehrer*innenbildenden Fakultäten, also all diejenigen, die Lehramtsstudierende ausbilden. Darin enthalten waren Stellenzuweisungen – Informationen, wie viele Personalstellen es mit welchen abzuleistenden Semesterwochenstunden ab dem 1. Januar kommenden Jahres geben wird. Seit Wochen herrscht ein erbitterter Konflikt zwischen der Universitätsleitung und Studierenden und Mitarbeiter*innen, die unter anderem das sogenannte Bündnis Keine #LehreOhneZukunft bilden. Er entzündet sich an den Kürzungen der Stellen wissenschaftlicher Mitarbeiter*innen und an der Überlastung von Lehrbeauftragten für besondere Angelegenheiten. Ihr Lehrdeputat soll durch den Zukunftsvertrag außerdem erhöht werden. Am 19. Juni fand die erste Demonstration statt, am 30. Juni und 7. Juli folgten weitere.
Der „Zukunftsvertrag – Lehre und Studium stärken“ besteht aus Verpflichtungserklärungen der Länder gegenüber dem Bund, wie sie Studium und Lehre in den Jahren 2021 bis 2027 gestalten wollen. Verabschiedet wurde der Zukunftsvertrag bei der Gemeinsamen Wissenschaftskonferenz im Mai 2019, er löst den Hochschulpakt ab. Im Rahmen des Hochschulpaktes wurden vor allem viele befristete Stellen geschaffen, unter anderem, um den doppelten Abiturjahrgängen gerecht zu werden, die 2013 von den Gymnasien auf die Hochschulen strömten. Der Zukunftsvertrag sieht nun vor allem vor, die Personallage an den Hochschulen wieder zu stabilisieren, also viele der damals geschaffenen befristeten Stellen zu entfristen. Die Qualität von Lehre und Studium soll so verbessert und die Studienkapazitäten – also die Menge an Studierenden – erhalten, beziehungsweise erhöht werden. Knapp 14 Milliarden Euro will der Bund für das Programm einsetzen, mit den Geldern der Länder wird diese Summe noch verdoppelt.
Im Konflikt an der Universität wichtig sind vor allem die Personalkategorien der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen und der Lehrbeauftragten für besondere Aufgaben (LfbA). Sie sind beide Teil des akademischen Mittelbaus, sie sind also selbstverantwortliche Mitarbeiter*innen in Lehre und Forschung, die keine Professur innehaben. Erstere müssen nur acht Semesterwochenstunden unterrichten, da sie außerdem forschen und damit auch Drittmittel für das Institut eintreiben. LfbA sind eine Personalkategorie, die geschaffen wurde, um zeitintensive, praxisnahe Lehre umsetzen zu können. Eine typische Aufgabe wäre zum Beispiel Geigenunterricht für einzelne Studierende, oder andere weniger forschungsabhängige Lehre. Da sie auch selbst nicht forschen, dürfen LfbA in Sachsen aktuell mit bis zu 24 Semesterwochenstunden beschäftigt werden, an der Uni Leipzig müssen sie aktuell je nach Fakultät zwölf bis 16 Wochenstunden absolvieren. Dennoch sind sie kein Ersatz für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen da sie „klassische“ Seminare eigentlich nicht halten sollten. Genau das ist allerdings Realität an vielen Hochschulen. Seit Jahren schon regt sich bezüglich dieses Umstandes Sorge um die Qualität der Lehre.
Diese Sorge teilt auch Thomas Ottlinger. Er ist LfbA an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät, lehrt im Moment 16 Semesterwochenstunden und ist Teil des Protestbündnisses. „Das Thema ‚Vermittlung praktischer Fähigkeiten‘ ist gewissermaßen ein rotes Tuch“, erzählt er. An seiner Fakultät arbeiten viele LfbA in Bereichen, die eigentlich Aufgaben der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen sind. Auch wenn er keinen Einblick in alle Teildisziplinen habe: „Wir werden in den gleichen Modulen eingesetzt, wir lehren die gleichen Inhalte.“ Es gelinge der Universität offenbar nicht, die Stellenprofile zu trennen, sagt Ottlinger. „Sie bewegt sich diesbezüglich auf rechtlich dünnem Eis.“ Der Unterschied bestehe einzig in der Qualifikation und der Tatsache, dass wissenschaftliche Mitarbeiter*innen neben der Lehre auch forschen.
Entfristung ist nicht gleich Entfristung
Trotz aller Vorgaben von Bund und Ländern haben Hochschulen innerhalb der Verträge noch viele Möglichkeiten zur expliziten Ausgestaltung. Die Universität setzt die Entfristungen zwar um, in der Lehrer*innenbildung allerdings betreffen diese mehrheitlich nicht die wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die sowohl forschen als auch lehren, und damit das Profil der Universität aufrechterhalten. Sondern vor allem die LfbA. Wegen der vielen Lehrstunden haben LfbA nicht die Möglichkeit, sich nebenher auf dem Stand der Forschung zu halten. Wenn sie allerdings entfristet sind, „zementiert sich der aktuelle Forschungsstand auf die nächsten Jahrzehnte“, befürchtet Felix Fink, Referent für Lehramt des Studierendenrats (Stura) der Uni. Auf Dauer führe das in Kombination mit Überarbeitung zu einem Verlust der Lehrqualität.
Zu dem Bündnis gesellten sich nach einem Monat weitere Akteur*innen: Fünf Institutsdirektor*innen der Philologischen Fakultät haben sich Anfang Juli in einem offenen Brief an die Universitätsleitung gewandt. Die vom Rektorat verfolgte Stellenpolitik führe dazu, dass „diese Art der Schema- und Massenlehre sich nicht mehr Universität nennen dürfen sollte.“ Barbara Schlücker, Institutsdirektorin in der Germanistik, hat den Brief höchstpersönlich an das Rektorat versandt. An ihrem Institut sind drei Viertel der Studierenden Lehrämtler*innen, es ist neben der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät deshalb besonders betroffen. Zunächst, kritisiert sie, sei der Zeitpunkt der Umsetzung des Zukunftsvertrags problematisch. „Mitten im Wintersemester laufen die Verträge aus.“ Das sei fatal für die Lehrplanung, und damit sowohl für Studierende als auch für Lehrende. Das ergibt Sinn: Immerhin ändert sich möglicherweise während des Semesters das Lehrpersonal, wenn Stellen neu ausgeschrieben werden. Dass die Finanzierungspakete zum Ende des Jahres auslaufen, sei jedoch nicht die Schuld der Universität, sagt das Rektorat. Den 31. Dezember 2020 hat die Landesregierung festgelegt.
Und obwohl die Hochschulleitung mit Entfristungen wirbt, entzündet sich an dem Thema einer der großen Konfliktpunkte. „Wir sind uns einig, dass es im Mittelbau mehr unbefristete Stellen geben soll“, sagt Schlücker. Auch Thomas Ottlinger stimmt zu: „Die unbefristete Anstellung ist etwas längst Überfälliges.“ Dennoch führen die geplanten Arbeitsbedingungen dazu, dass ein Arbeitsplatz an einer Schule statt an der Universität für viele deutlich attraktiver scheint. Denn für die Entfristung müssen LfbA – je nach Fakultät und Stelle – womöglich eine doppelt so hohe Arbeitsleistung abliefern als zuvor.
„Forschung und Lehre stärken“ wird offenbar unterschiedlich ausgelegt
Im Moment haben befristete LfbA an Schlückers Institut ein Deputat von zwölf Semesterwochenstunden. Dass das nun auf 20 Stunden hochgeschraubt werden soll, sei unvorstellbar, findet Schlücker. Die Diskrepanzen zwischen den Personalkategorien werden damit immer größer, zwischen denen, die acht und denen, die über 20 Stunden lehren müssen. Die LfbA so sehr zu überlasten, sei fatal: „Man kann die Studierenden so nicht mehr anständig betreuen“, sagt Schlücker. „Die Vorstellung, die halbe Stunde zwischen zwei Lehrveranstaltungen als Vorbereitungszeit nutzen zu können, ist völlig realitätsfremd.“ Das sieht auch Thomas Ottlinger so: „Mehr Arbeit in der gleichen Zeit kann eine Lehrperson nur leisten, wenn sie Abstriche in der Vorbereitung und Ausarbeitung in Kauf nimmt.“ Zusätzlich zum Lehren gehören zu den 20 Semesterwochenstunden auch noch Verwaltungsaufgaben, sowie die Studienfachberatung oder das Abnehmen mündlicher Staatsexamen, der Korrektur von Klausuren und der Betreuung von Hausarbeiten.
Die Professorin bemängelt schließlich auch die fehlende Transparenz und Kommunikation mit den Fakultäten im laufenden Prozess. Dies sei vor allem ärgerlich, weil es nun die Professor*innen sind, die die Umverteilung und den Erhalt der Lehrqualität organisieren sollen. „Wir haben die Spielräume nicht, mit denen das Rektorat argumentiert“, sagt Schlücker.
Die Konfliktführung ist außergewöhnlich öffentlich
Nach dem ersten Protest wählte die Universität den Weg einer Pressemitteilung, um „einiges richtigzustellen“, wie es darin heißt. Das Lehrangebot bleibe konstant, und Entfristungen seien doch genau das, was Mittelbauvertretungen und andere seit Jahren forderten. „Von massiven Stellenkürzungen kann nicht die Rede sein“, äußert sich Rektorin Beate Schücking in der Mitteilung. In dem Dokument, das am 31. Mai vom Rektorat an alle lehrer*innenbildenden Fakultäten versandt wurde, ist unbestritten sichtbar: Stellenkürzungen gibt es. Das Rektorat scheint nur mit der Beurteilung „massiv“ nicht einverstanden zu sein, ebenso wie es die Auswirkungen dieser Kürzungen als nicht bemerkenswert einstuft.
Thomas Lenk, Prorektor für Entwicklung und Transfer, der mit dem Prorektor für Bildung und Internationales, Thomas Hofsäss, die Stellenzuweisungen maßgeblich entwickelt hatte, gab laut Lumag, dem Magazin der Pressestelle der Universität, Schlücker und ihren Kolleginnen im Gespräch den Rat mit auf den Weg, „etwas Fantasie“ in die Übergangszeit zu bringen und das Beste daraus zu machen. Es gebe Optimierungsmöglichkeiten, um LfbA zu entlasten. In der Senatssitzung am 14. Juli soll sich Lenk zuvor abfällig über die Protestierenden geäußert haben. Laut Anwesenden sagte er, dass er froh sei, nicht an den Gesprächen mit den Protestierenden beteiligt zu sein, weil diese unwissend argumentieren würden. Hofsäss formuliert Kritik an den Protesten zwar etwas weniger konfrontativ als sein Kollege Lenk. Trotzdem: „Ohne es bestimmten Akteuren vorzuwerfen, ist die Komplexität des Zukunftsvertrages in der Diskussion der Kritiker zu kurz gekommen.“ Er könne sich vorstellen, dass „aus der subjektiven Sicht einer LfbA“ die Deputatserhöhung zunächst „zu einer Irritation“ führt. Argumente des Rektorats können aufgrund dessen oft nicht angenommen werden, so Hofsäss. Er und Lenk hätten die Zuweisungen aber so geschaffen, wie „wir meinen, dass qualitative Lehre umgesetzt werden kann.“
Druck kommt allerdings auch von oben: Auf Landesebene äußerten Politiker*innen Zweifel an der Vereinbarkeit des Handelns der Uni mit dem Koalitionsvertrag. Claudia Maicher, Landtagsabgeordnete der Grünen in Sachsen, sagte in einer Landtagsrede am 15. Juli, während vor dem Landtag das Bündnis Keine #LehreOhneZukunft demonstrierte: „Forschungsbasierte Lehre – nicht nur fürs Lehramt – kann nicht von LfbA übernommen werden und das sollen sie gesetzlich ja auch nicht.“ Und: „Eine Zunahme von unbefristeten Hochdeputatslehrkräften in der universitären Lehre wollte meiner Einschätzung nach der Zukunftsvertrag nicht hervorbringen.“ Ähnliche Aussagen traf Holger Mann, Landtagsabgeordeter der SPD, in einer außerparlamentarischen Anhörung am 13. Juli. „Es gibt laut Koalitionsvertrag Ressourcen für Dauerstellen“, auch für wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, so Mann. Es gebe nicht nur Willensbekundungen, sondern politische Vereinbarungen dafür. Er sei frustriert, dass an der Universität Leipzig etwas anderes passiert: „Die Schaffung von mehr LfbA-Stellen ist nicht unsere Intention.“
„Es ist alles gesagt“, signalisiert das Rektorat.
Die Lehrer*innengewerkschaft GEW Sachsen hat einen Schlachtplan des Weiterkämpfens entworfen: Die Uni Leipzig solle sich anderen sächsischen Hochschulen anschließen und alle bestehenden Verträge bis September 2021 verlängern. Dann solle die im Koalitionsvertrag beschlossene Überprüfung der Personalstruktur durchgeführt werden – mit dem Ziel, dass die vom Land erlaubten Lehrdeputate gesenkt werden, und die höheren LfbA-Lehrdeputate an der Universität rechtlich unmöglich werden.
Obwohl er sich wegen der Besetzung nun weiterhin mit dem Thema auseinandersetzen muss, ist Prorektor Hofsäss im Moment vor allem mit der Planung des Wintersemesters beschäftigt, erzählt er. Tagsüber waren es etwa 20 Protestierende, in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag blieben etwa zehn. Die Protestierenden seien zunächst geduldet, dennoch sei die Besetzung rechtswidrig und „in keiner Weise akzeptabel“, so Hofsäss.
Zum Abschied des Pressegesprächs mit luhze Mitte Juli sagte er: „Der Prozess der Stellenverteilung für die Lehrerbildung aus der ersten Charge des Zukunftsvertrags ist abgeschlossen.“ Und er betonte, dass das alles trotz unschönem Anlass doch sein Gutes habe: In vielen Fakultäten werde nun miteinander darüber diskutiert, was qualitative Lehre ausmacht. Das habe es seit Langem nicht mehr gegeben.
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