Struktureller Rassismus an der Universität Leipzig
Rassistische Diskriminierung sei an der Universität Leipzig Alltag, kritisieren Mitglieder der BIPoC-Hochschulgruppe. Wie erkennt man sie und was können Universität und Studierende dagegen tun?
Die Universität, ein neutraler Ort der Wissenschaft und Lehre, frei von Vorurteilen. Dieses idealistische Bild wird von kritischen Studierenden der Universität Leipzig durch Initiativen und durch Berichte von rassistischen Erfahrungen mehr und mehr gebrochen. Es zeigt sich, dass manche Beschäftigte strukturellen Rassismus hier schon beim Einstellungsverfahren erfahren müssen. Laut einer Definition der Rosa -Luxemburg- Stiftung geht es bei dieser Art von Rassismus um solche Diskriminierungen, die nicht in intentionalen Handlungen einzelner Akteur*innen, sondern in gesellschaftlichen und organisationalen Kontexten begründet liegen.
Manchmal würden Biographien ungleich gewertet werden, wenn Bewerber*innen nur aufgrund eines bestimmten kulturellen Hintergrunds als nicht passend für eine Stelle gehalten werden. Das berichtet Georg Teichert, der als Gleichstellungsbeauftragter auch für Beratung und Unterstützung bei Rassismuserfahrungen zuständig ist.
Die Folgen spüren Minh, Anya und Fatme. Sie sind Mitglieder der BIPoC- Hochschulgruppe. Mit Augenmerk darauf, wie niedrig der Anteil der BIPoC- Dozierenden, und wie hoch der Anteil Weißer Menschen unter ihnen ist, fällt den dreien immer wieder auf, dass BIPoC- Dozierende im Vergleich stark unterrepräsentiert sind.
Der Rassismus, mit dem Minh, Anya und Fatme zu kämpfen haben, trete auch in viel direkterer und persönlicherer Form auf. Sie berichten, dass BIPoC- Studierende an der Uni immer wieder mit schmerzhaften Blicken, Fragen und kränkenden Äußerungen konfrontiert werden. Dahingehende Kritik oder Hinweise würden sowohl von Dozierenden als auch von Studierenden häufig nicht anerkannt, was ein Gefühl der Unsicherheit und des Unwohlseins hinterlasse. Konsequenzen habe Rassismus an der Uni viel zu selten. Selbst wenn die Äußerungen eklatant rassistisch waren, passiere oft nichts oder zu wenig, kritisiert Anya.
Fatme schlägt die Brücke von individuellen Verhaltensweisen zum Rassismus als strukturelles Problem so: „Wenn ein*e Dozent*in als Teil des Systems komplett rassistische Inhalte und Äußerungen von sich gibt und die Studierenden das einfach so hinnehmen, dann ist das Problem ein strukturelles.“ Bedenklich sei auch, dass viele von Rassismus Betroffene nicht wissen, an wen sie sich wenden sollen, weil sie das Gleichstellungsbüro als Anlaufstelle nicht kennen. Das zeigt eine Diskriminierungsbefragung des Gleichstellungsbüros von 2016. Hervor geht daraus auch, dass Vieles einfach ignoriert und nicht gemeldet wird. Die Verantwortung liege nicht nur bei den Einzelnen, die Rassismus betreiben, sagt Anya. Es seien „Strukturen, die in unserer Gesellschaft eingebettet sind und gegen die die Uni nicht gegensteuert.“
Zuerst einmal müsse die Uni zu Rassismus in eigenen Reihen Stellung beziehen, stellt Teichert klar. „Denn nur, wenn man ein Problem benennt und es sichtbar macht, kann man auch dagegen vorgehen.“ Er vermutet, es bestehe Angst, als „die rassistische Uni“ gelabelt zu werden. Das stimme jedoch nicht, sagt Minh: „Es ist nicht so, dass die eine Uni rassistisch ist und die andere nicht. Wir haben es alle in uns, aber jetzt ist es halt wichtig, darüber sprechen zu können.“
Auf universitärer Ebene sollte dies zum Beispiel in Form von verpflichtenden Lehrveranstaltungen für Studierende stattfinden, finden Minh, Anya und Fatme. Eine weitere Idee sei, auch Dozierenden die Möglichkeit zu geben, sich in diesem Thema an der Universität weiterzubilden.
Um Rassismus besser erfassen zu können, plant das Gleichstellungsbüro anonymisierte Beschwerdeverfahren. Man erhoffe sich, die Hemmschwelle für Betroffene zu senken, von erfahrenem Rassismus zu berichten und so Unterstützung bieten zu können. Außerdem versucht das Gleichstellungsbüro, in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine diskriminierungsärmere, anonymisierende Gestaltung der Bewerbungsverfahren Beschäftigter der Universität durchzusetzen.
Besonders wichtig findet Teichert, dass kritische Studierende einzelner Fakultäten durch Initiativen und Aktivitäten immer wieder Diskurse zu schaffen. Er lobt beispielhaft eine Initiative der KritMed (Kritische Medizin Leipzig), in der sie Stellung zu Rassismus am Universitätsklinikum nehmen und anhand eines Beispiels anschaulich erklären, worin genau die Probleme in den häufig stereotypisierenden Fallbeispielen im Medizinstudium liegen.
Und was kann jede*r Einzelne tun? Sowohl Teichert als auch Minh, Anya und Fatme sind sich einig. Ihr Appell lautet: Brecht das Schweigen und sprecht über Rassismus!
Titelbild: Randy Kühn / Universität Leipzig
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