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  • Die andere Müllkolumne

    Kolumnistin Sophie ist ausgerechnet während der Pandemie in eine neue Wohnung gezogen. Jetzt lebt sie in einem Müllregime und startet eine Revolution.

    Samstag, acht Uhr morgens, in Leipzig. Ich schleiche aus meiner Erdgeschosswohnung in den Hausflur, dann durch die Hintertür in den Hof, in dem unsere Mülltonnen stehen. In der linken Hand halte ich einen Sack mit Plastikmüll, mit der rechten klopfe ich an das Fenster unserer Küche. Meine Mitbewohnerin öffnet es, reicht mir noch einen leeren Karton raus. Ich entsorge den Karton, doch beim Plastikmüll habe ich Pech. Die Tonne ist voll, eine zweite steht mit dem Deckel nach unten daneben, leer. Ich nehme den Plastikmüll wieder mit rein. Besser als nichts.

    Seit ich Anfang Juni mit einer Freundin zusammengezogen bin, ist das Müllrausbringen unser größtes tägliches Abenteuer. Das ist, mitten in einer Pandemie und vor allem noch während des Lockdowns, vielleicht erstmal nicht ungewöhnlich. Bei uns ist es jedoch nicht (nur) fehlender Spannung und Abwechslung in unserem Leben geschuldet. Der Grund ist eine Frau, deren Namen wir nicht kennen, weshalb wir sie nur als „die Müllfrau“ bezeichnen.

    Kolumnistin Sophie mit einem Mülleimer in der Hand schaut aus dem geöffneten Fenster

    Kolumnistin Sophie hätte nie gedacht, mal eine Kolumne über Müll zu schreiben. Foto: Privat

    Das erste Mal begegneten wir ihr, als unsere Küche geliefert wurde. Ohne sich uns vorzustellen, wies sie uns freundlich darauf hin, unseren Papiermüll und Pappe hinter die blauen Tonnen zu legen, anstatt sie reinzuwerfen. Was wir daraufhin getan haben. Einen Tag später klingelte sie bei uns, wir hätten zu viel Müll hinter die Tonnen gelegt und sollten wir noch mehr haben, müssten wir diesen auf einen Wertstoffhof entsorgen. Das wäre vermutlich der Zeitpunkt gewesen, nach ihrer Zuständigkeit zu fragen oder Kontra zu geben. Stattdessen lagert jetzt in unserem Keller neben Umzugskartons, Wintersachen und Weihnachtsdeko auch ein bisschen Papiermüll, den wir uns nicht getraut haben, wegzuschmeißen.

    Wer jetzt denkt, wir könnten uns nicht durchsetzen und hätten Angst vor der Müllfrau wie vor einer strengen Hausherrin im 18. Jahrhundert, liegt damit wahrscheinlich nicht falsch. Aber mittlerweile glauben wir, nein, wir sind uns sicher, dass in diesem Haus eine Mülldiktatur herrscht. Jeden Tag, manchmal auch mehrmals am Tag, geht die Müllfrau in den Hof und wirft einen Blick in die Tonnen. Sie ordnet falsch entsorgten Müll neu, gräbt dabei in den Tonnen, drückt Tonneninhalte zusammen. Wenn sie eine Tonne für voll befindet, dreht sie die andere um, sodass wir auch diese fortan benutzen können. Denn für das große Haus, in dem wir leben, stehen außergewöhnlich wenige Mülltonnen zur Verfügung.

    Anfangs dachten wir noch, dass diese Art des Müllmanagements zwar eigentümlich ist, jedoch keine weiteren Auswirkungen auf unsere Leben haben würde. Das wäre auch so, würde sie nicht weiterhin regelmäßig bei uns klingeln und uns darauf hinweisen, dass wir den Müll entweder zum falschen Zeitpunkt oder fälschlicherweise in die Tonne anstatt daneben oder neben die Tonne anstatt hinein entsorgt haben. Sie bezeichnet uns dann als „Flöhe“ und „Pinguine“ – was wir uns nur damit erklären können, dass sie uns anscheinend für unbeholfene kleine Mädchen hält, die nicht wissen, wie man alleine wohnt und denen man, damit sie auch verstehen, was ihnen erklärt wird, verniedlichende Bezeichnungen geben muss – aber es sei ja „nicht böse gemeint“. Die Belehrungen dauern gefühlt eine halbe Stunde, während wir vor ihr stehen und nicken, wohlwissend, dass eine Diskussion aussichtslos wäre.

    Während die Augen der Republik auf Hengameh Yaghoobifarahs Müllkolumne in der taz  gerichtet waren, hatten wir also unsere ganz eigenen Müllprobleme. Als meine Mitbewohnerin und ich dann in der gleichen Nacht träumten, die Müllfrau hätte uns aus der Wohnung geschmissen wie eine ehrlose Tüte Müll, beschlossen wir eine Strategie.

    Zunächst verhalten wir uns deeskalierend, bringen unseren Müll nur raus, wenn es wirklich nötig ist und am besten am Tag der Abholung. Wir spielen nach ihren Regeln, aber wir sind gut. Gleichzeitig nutzen wir unseren Vorteil, im Erdgeschoss zu wohnen: Hin und wieder kriegen wir Unterhaltungen mit, aus denen die Worte „Ist gar nicht böse gemeint“ in uns allzu bekannter Stimme und Betonung in unsere Wohnung dringen. Der Plan ist, ihre neuen „Pinguine“ dann irgendwann im Flur abzugreifen und uns mit ihnen zu verbünden. Eine Revolution von unten sozusagen.

    Das Grundproblem ist auch, dass wir nicht wissen ob sie tatsächlich für die Mülltonnen zuständig ist oder einfach schon sehr lange hier wohnt und sich nur zuständig fühlt. Vielleicht war auch für sie während des Lockdowns der Gang zum Müll der Höhepunkt jeden Tages und während andere Bananenbrot backten, machte sie das Müllmanagement unseres Hauses zu ihrem neuen Hobby.

    Wenn es tatsächlich Teil ihres Jobs sein sollte, können wir wohl nicht viel dagegen tun. Fast möchte ich ihr dann ein Lob aussprechen, so ein ausgeklügeltes System geschaffen zu haben. Vielleicht weiß sie selbst um die Tonnenknappheit und versucht nur, die Müllproduktion der Bewohner*innen so zu managen, dass die Kapazitäten nicht erschöpft werden. Dass ich sogar eine gewisse Sympathie für sie entwickelt habe, liegt mitunter vielleicht auch daran, dass meine Mitbewohnerin und ich nun selbst des Öfteren aus unserem Küchenfenster in den Hof schauen. Mit unseren morgendlichen Kaffeetassen in der Hand stehen wir da, kopfschüttelnd, und ziehen über die Art des Müllrausbringens unserer Hausbewohner*innen her. Denn obwohl wir erst seit zwei Monaten hier wohnen, spielt niemand das Spiel so gut wie wir. Zumindest bilden wir uns das ein.

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