Raststättenromantik
Kolumnistin Celine musste die Schönheit deutscher Raststätten auf die harte Tour entdecken. Eine (kleine) Liebeserklärung.
Hätte man mich vor einigen Jahren gefragt, wie meine Meinung zu deutschen Raststätten ist, hätte ich wahrscheinlich mit dem Kopf geschüttelt und vom Thema abgelenkt. Seien wir mal ehrlich – wen (außer Menschen, die wirklich viel Auto fahren) interessieren Autobahnhöfe schon so richtig; geschweige denn: wer hat zu ihnen wirklich eine Meinung? Mir waren sie auf jeden Fall komplett egal – bis ich dann in Hessen an einer vergessen wurde.
Mein damaliger Busfahrer – wir nennen ihn mal Karsten – hat sich zunächst einmal nuschelnd durch das Mikrofon vorgestellt. Er wünschte allen eine gute Fahrt. Wer auf die Toilette müsse, sollte sich bitte zusammenreißen. Die funktioniere schon seit Montag nicht mehr und jetzt sei er mit der Problematik auch allein. Dann bummelten wir weiter über die hessische Autobahn. Zwei Reihen hinter mir saß ein junger Mann, der mir jedes Mal zuzwinkerte, wenn ich nach meinem Rucksack unter dem Sitz griff. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir dann die erste Raststätte. Karsten hielt schweigend, öffnete die Türen und griff dann nach einer Zigarettenschachtel neben ihm. Ich hatte schon seit Beginn der Fahrt mächtig Durst und schnappte mir mein Portmonee, um mich auf den Weg in die Tankstelle zu machen. Einige Minuten kehrte ich dann zufrieden zurück – und war ein wenig erstaunt, als ich „meinen“ Bus gemächlich vom Rastplatz abfahren sah. Und auch wenn das jetzt schon einige Jahre her ist, bin ich mir sicher: Karsten hob beim Abbiegen auf die Autobahn seine Augenbrauen und schaute mich belustigt an. Resignierend blieb ich in der prallen Sonne zurück; mit 30% Akku, meinem frischgekauften Wasser und zwei Euro.
Nachdem ich dann die Zentrale über meine Situation informiert hatte und mir mitgeteilt wurde, dass mich der nächste Bus in frühestens vier Stunden abholen würde, blieb mir nicht mehr viel übrig: Ich musste mich mit meiner Lage arrangieren. Jeder, der bereits Zeit auf einer Raststätte verbracht hat, weiß: Die Möglichkeiten dort etwas zu unternehmen, sind endlich. Und meistens auch mit Bezahlung verbunden. Ich konnte mir also weder ein Festmahl bei McDonalds genehmigen noch einen der klebrigen Spielautomaten benutzen. So blieb ich erstmal sitzen. Im Schatten einer etwas abgelegenen Bank betrachtete ich die Menschen, die ein- und ausstiegen, miteinander lachten oder ihre Hunde für eine kleine Weile auf den Grünflächen – wenn man die zwei-Fuß-breiten Aneinanderreihungen von Grashalmen überhaupt so nennen kann – laufen ließen. Stress, Freude, Wut – auf einem Rasthof kommen wirklich alle Emotionen, die man sich so vorstellen kann, zusammen. Man erkennt das ziemlich schnell an der Art und Weise wie Raststättenbesucher ihre Autotüren schließen. Knallen ist nie ein gutes Zeichen. Jugendliche, die von ihren Eltern in den gemeinsamen Urlaub mitgeschleppt werden, ärgerliche Ehepaare oder gestresste Geschäftsmenschen nehmen sich dabei übrigens nichts. Autotüren – der Stressball der Mittelschicht. Menschen auf Raststätten zu beobachten, fühlte sich kurzzeitig wie eine neue Serie an, in der die Dialoge zwar eher dürftig, die Schauspieler dafür aber umso interessanter sind.
Ich muss ehrlich sein: auch nach den ersten anderthalb Stunden wurde ich nicht richtig warm mit diesem Ort. Leider sind Menschen an Raststätten längst nicht so geeignet für einen mehrstündigen Binge-Marathon, wie eine Netflix-Serie. Man sagt ja, dass Zuhause erst ein schöner Platz durch die Menschen wird, die da sind. Die Menschen an Raststätten verlassen diesen meist nach genau einem Kaffee – wenn nicht sogar schneller. Diese Schnelllebigkeit macht alle Abläufe komplett anonym. Anders als im Supermarkt oder Bahnhöfen, wo zwar auch viele fremde Menschen aufeinandertreffen, sind Rasthöfe eigene kleine Welten. Das macht es aber leider nicht wirklich einfacher sie zu mögen. Sie haben nichts Wohliges oder Einladendes an sich. Doch wenn man sich genau auf diese Anonymität einlässt, begreift man ihren Charme vielleicht ein wenig mehr.
Die restlichen Stunden verbrachte ich auf dem angrenzenden Feld, in dem ich mir die Sonne ins Gesicht schienen ließ. Ich lauschte den Motorgeräuschen, das Gewusel der Menschen wurde für mich zu einem großen Rauschen. Ich war – obwohl doch so viele Menschen um mich herum waren – mit mir alleine. Den meisten fiel ich nicht auf, andere ließen ihre Augen kurz zu mir herüberstreifen, dann stiegen sie alle wieder in ihre Autos und verschwanden als winzige Punkte hinter dem Asphalthorizont. Ich strich immer wieder durch die Reihen der riesigen Lastwägen, beobachtete die Menschen in ihren Fahrerkabinen und bemerkte zum ersten Mal, dass Raststätten vor allem für Fernfahrer keine kurzen Stopps waren. Ich beobachtete wie sich Fahrer auf die Schulter klopften, die Vorhänge ihrer Fahrerkabinen aufzogen oder aus ihren Fenstern die Menschen um sie herum betrachteten. Um ehrlich zu sein waren mir die Menschen in den großen Lastwägen zuvor nie wirklich aufgefallen. Doch in diesem Moment verband mich mit ihnen der Fakt, dass wir uns schönere Orte vorstellen konnten, an denen wir gewesen wären – aber jetzt hier auf dieser Raststätte eben nicht nur fix einen Kaffee trinken konnten.
Vielleicht wurde mir in diesem Moment bewusst, dass Raststätten mehr als dürftig eingerichtete Gebäude an der Autobahn sind. Schönheitspreise werden viele von ihnen nicht gewinnen, das gebe ich zu. Sie sind aber Orte zum Luftholen, Abschalten und zum „Sich-kurz-einreihen“. Auf Raststätten scheint der Rest der Welt kurz auf stumm geschaltet; sie sind unabhängig von den Städten um sie herum. Hier können Profi-Fußballer auf Angela Merkel treffen – jedenfalls theoretischerweise. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob man in der Oberschicht noch an Raststätten hält. Um einmal kurz durchzuatmen und sich zu erden, kann ich es aber auch den oberen zwei Prozent empfehlen.
Am Ende ist übrigens auch der zweite Bus an mir vorbeigefahren. Rund sechs Stunden habe ich schlussendlich auf den dritten gewartet, der mich dann nach Hause gefahren hat.
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