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  • Mehr Schein als Sein

    Kolumnist Jonas ist durch vier Führerscheinprüfungen gefallen. Und hofft, daraus etwas gelernt zu haben.

    Ab und an beginnen Menschen in meiner Umgebung, über ihren Führerschein zu sprechen, besser: Wie sie an ihn gekommen sind. In solchen Momenten muss ich mir mehrere Fragen beantworten. Wie gut kenne ich diese Leute? Wie gut kennen sie mich? Und wie bereit bin ich, mich ihnen gegenüber verletzlich und fehlbar zu zeigen?

    Das mit der Fehlbarkeit klingt recht arrogant. Natürlich gehe ich bei anderen Menschen davon aus, dass sie in ihrem Leben Fehler gemacht haben und dass sie das Gleiche von mir denken. Aber in den wenigsten Fällen kenne ich diese Fehler, denn vom konkreten Scheitern Anderer zu wissen, setzt eine gewisse Intimität voraus.

    Nun, liebe*r Leser*in: Ich zeige mich dir gegenüber verletzlich und fehlbar. Denn nun liest du, dass ich vor drei Jahren viermal durch meine praktische Fahrprüfung gefallen bin. Und meinen Führerschein immer noch nicht habe, weil ich bis zu meinem Abflug ins Au-Pair-Jahr nach London keinen Prüfungstermin mehr bekommen habe. Dies ist also die Geschichte meiner vier praktischen Führerscheinprüfungen.

    Kolumnist Jonas

    Eigentlich ist Kolumnist Jonas natürlich für die autofreie Stadt.

    Prüfung Eins. Ich bin recht zuversichtlich, immerhin hatte ich einige quasi fehlerfreie Fahrstunden hinter mir. Auch meine Fahrlehrerin scheint sich keine großen Sorgen zu machen. Ich fahre aus der Stadt heraus, die Strecke kenne ich. In einem kleinen Dorf drehe ich um, fahre wieder auf die Bundesstraße in die entgegengesetzte Richtung. Da taucht vor mir ein 25 Kilometer pro Stunde fahrender Traktor auf – immerhin sind wir hier in Mecklenburg. Ich habe in den Fahrstunden noch nie irgendwen auf einer zweispurigen Straße überholt, entscheide mich also dafür, hinterherzutuckern. Das gefällt offensichtlich weder meinem Prüfer – er wird plötzlich sehr still – noch den mir folgenden Fahrzeugen. Es überholen mich erst ein, dann zwei, dann drei Autos und zum Schluss – welch Schmach! – ein Lastwagen. „Fahren Sie bitte zum Startpunkt zurück“, dröhnt es vom Rücksitz. Die Prüfung ist beendet. Kleiner Spoiler: Das ist die einzige Prüfung, in der ich meiner Meinung nach wirklich fehlerlos gefahren bin, immerhin war ich Fahranfänger ohne irgendeine Ahnung vom Überholen.

    Prüfung Zwei läuft dann recht ähnlich, wieder fahre ich auf die Landstraße, wieder ist vor mir ein langsames Fahrzeug. Es blinkt sogar nach rechts, was laut meinen Theoriestunden bedeutet, dass der*die Fahrer*in überholt werden möchte. Ich mache mich also bereit – nicht, dass ich das Überholen inzwischen mal geübt hätte – da bremst das Auto vor mir plötzlich und meine Fahrlehrerin reißt das Lenkrad nach links, damit ich es nicht ramme. Mein Vordermann wollte nicht überholt werden, sondern in den kleinen, unscheinbaren Feldweg abbiegen, den ich übersehen hatte. Cool.

    In Prüfung Nummer Drei schaffe ich es in einem kleinen Dorf nicht, umzudrehen, weil ich eine beeindruckend dämliche Stelle dafür wähle, anstatt noch 100 Meter weiterzufahren. Langweilig, ich weiß. Keine Fast-Unfälle, keine überholenden Zwanzigtonner. In Prüfung Nummer Vier überfahre ich beim Abbiegen haarscharf eine durchgezogene weiße Linie, weil ich die Kurve zu schnell nehme, und falle durch eine Prüfung, in der mir die Fahrprüfungsgöttin wirklich sehr wohlgesonnen war. In einer einspurigen Einbahnstraße steckte ich fünf Minuten hinter einem Bagger fest.

    Das klingt jetzt alles recht banal und im Nachhinein ist es das auch. Nur habe ich noch monatelang nicht mehr ohne ein latentes Schamgefühl in einem Auto sitzen können.

    Immerhin konnte ich daraus lernen. Dass ich die folgende Lektion allerdings erst vor kurzer Zeit daraus gezogen habe, spricht weder für mich noch für das deutsche Bildungssystem. Denn mein Fehler in Prüfungen Zwei, Drei und Vier war, dass ich wegen meiner Erfahrung in der ersten Prüfung so fuhr wie ich dachte, meine Prüfer erwarteten es von mir. So hatte ich auch fürs Abitur und seitdem für die allermeisten meiner Prüfungen gelernt. Stattdessen hätte ich so fahren sollen wie ich es für sicher erachte. Das nimmt Druck heraus, vor allem macht es mich aber zu einem besseren und somit für die anderen Verkehrsteilnehmer*innen weniger gefährlichen Fahrer. Weil ich nicht darauf achte, nicht zu langsam oder zu schnell zu fahren, sondern der Situation – und dem Tempolimit – angemessen. Das lässt sich natürlich auf andere Prüfungen übertragen: Anstatt die Aufgaben in meinen Arabischtests auswendig zu lernen, hätte ich auf Arabisch Artikel lesen und Serien schauen sollen. Nur wäre das nicht belohnt worden, im Gegensatz zu meinem recht stupiden Vokabel- und Grammatiklernen. In Zukunft werde ich mehr arabische Texte lesen. Und einen erneuten Anlauf auf den Führerschein starten.

     

    Titelfoto: Pixabay

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