Performanceprovokation
Kunst gilt als Kämpferin und Protestmittel im politischen Diskurs, so auch in der ehemaligen DDR. Eine Annäherung daran, was es bedeutete, in den 80er-Jahren künstlerisch zu studieren und zu arbeiten.
Ins Auge stechen verzerrte Gesichter an Mikrofonen und wütende Frisuren, wenn man die Fotografien der Punkband Wutanfall anblickt. Sie stammen von Christiane Eisler, heute Leipziger Fotografin, zum Zeitpunkt der Aufnahmen Studentin der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) Leipzig. „Ich trage ein Herz mit mir herum“ heißt das Projekt, mit dem die damals 25-Jährige im Jahr 1983 dissertierte. Jahrelang begleitete sie verschiedene Gruppen von Punks, die in der DDR zu den unliebsamsten Gegner*innen des Regimes gehörten, weil sie sich der bestehenden Staatsform energisch entgegenstellten. Zu sehen sind die Bilder im Moment in der Deutschen Nationalbibliothek, im Rahmen der Ausstellung Störenfriede, die sich der Verbindung von Kunst und Protest in den 80er-Jahren der DDR widmet. Eislers Porträts stellen diese Menschen in den Mittelpunkt, gibt ihnen Bühne und lässt sie sein – wie war das auf einer staatlichen Hochschule in einem diktatorischen Regime möglich?
Einen Blick in die HGB der 80er-Jahre. Die Hochschule hatte damals knapp hundert Studierende. „Es gab einen wahnsinnig guten Betreuungsschlüssel“, erzählt Julia Blume, Leiterin des Hochschularchivs und Dozentin für Kunstgeschichte an der HGB. Es sei wie in einer kleinen Blase gewesen, einer Familie – Schutz und Gefahr zugleich. An der Hochschule, so beschreibt es Blume, unterrichteten auch weltgewandte Künstler*innen, wie Evelyn Richter, die auch Eisler in ihrer Arbeit unterstützte. Manche hatten das Glück, keine Ausreisebeschränkungen zu haben. Oder das Netzwerk, denn viele Figuren zeichnet Blume ambivalent: Dozent*innen, die Parteimitglied waren und dennoch weltoffene Kunstverständnisse an ihre Studierenden vermittelten.
Eine dieser ambivalenten Personen war Bernhard Heisig, Rektor der HGB von 1976 bis 1983. Er schützte den Raum der Hochschule und war gleichzeitig eine Machtfigur, hatte eine entscheidende Rolle in der Sozialistischen Einheitspartei (SED). Während ihres Studiums lernte Christiane Eisler den Sohn des Rektors kennen, war ab 1981 mit ihm liiert und heiratete ihn später. Möglicherweise wurde ihr auch deshalb besonderer Schutz der Hochschule zuteil. „Sicher mag die private Situation, dass ich seit 1981 mit einem seiner Söhne zusammen war, ihn zusätzlich motiviert haben, die Schule als Freiraum der Kunst zu verteidigen“, sagt Eisler dazu. „Aber das hat er, aus meiner Sicht auch für andere Studenten getan.“ Diese Einschätzung unterstützt auch Blume: „Viele waren in ihrer Arbeit sozialkritisch“, erzählt sie. Exmatrikuliert wurden Wenige.
Von Hochschulen in der DDR wird in der Regel ein dunkles Bild gezeichnet. Ausbildungsstätten, die ihre Studierenden ideologisch indoktrinieren sollen, die überhaupt nur Biografien zum Studium zulassen, die keine systemkritischen oder kirchennahen Verbindungen beinhalten. Mit dem Ziel, eine unkritische und selbstzensierende Bevölkerung zu schaffen. Dieses Bild vermittelt zum Beispiel der Sammelband „Zwischen Humor und Repressalien“ aus dem Jahr 2017, in dem 80 Zeitzeug*innen zu Wort kommen, die in der DDR, vornehmlich an technischen Hochschulen, studiert haben. An der HGB entwickelt sich jedoch der Eindruck: Kunst konnte mithilfe des Wohlwollens der „richtigen“ Leute das Schwarz-Weiß-Bild aufbrechen, und Grauzonen hinzufügen.
Das bestätigt auch die Ausstellung „Störenfriede – Kunst, Protest und das Ende der DDR“ in der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, die bis zum 2. Mai kommenden Jahres zu sehen ist. Julia Rinck hat die Ausstellung kuratiert, einer ihrer Lieblingsteile der Ausstellung ist die Wand mit den Fotos von Christiane Eislers Dissertation. Die Ausstellung habe sich vor allem um die Frage gedreht: „Wie gehen Künstler*innen mit dem Druck der Zensur um?“, erzählt Rinck. Sie zeichnet Widerstand in Leipzig nach: „Der Gestaltungswille der Künstlerinnen und Künstler hat nach Orten gesucht, an denen er möglichst ohne Zensur und Kultursystem walten konnte“, sagt die Kuratorin. Auch die Ausstellung konzentriert sich auf das letzte Jahrzehnt der sozialistischen Republik. Mit dem richtigen Netzwerk, so sagt auch Rinck, war freiere Kunst möglich: „Auch in diesem abgeschotteten, eingemauerten Land.“ Blume stimmt dem auch bezüglich der HGB zu: „Es waren immer individuelle Entscheidungen, niemals Leitlinien, die in den Hochschulen für Freiräume sorgten.“ Sie sieht neben dem Argument Netzwerk allerdings einen weiteren Grund für die Duldung auch systemkritischer bildender Kunst: „Die Literatur hatte es schwerer, sie war auf das Wort festgelegt. In der bildenden Kunst war es eher möglich zu sagen: So war das nicht gemeint“, sagt die Archivleiterin. Explizite Fotografien kristallisierten jedoch klare Positionen: Auch Christiane Eislers Dissertation bekam – wenn auch spät – politische Dimension. Nach ihrer Veröffentlichung verschwanden die Fotografien bald und wurden zur Verschlusssache erklärt.
Eisler ist bis heute Fotografin. Sie fühlte sich von den Dozent*innen, die ihre Arbeit betreuten, „ermuntert, nicht eingeschüchtert“, erzählt sie. Und: „Ich habe die Hochschule immer als geschützten Raum empfunden.“ Nicht alle Künstler*innen in der DDR haben es geschafft, sich nach der Wende neu zu orientieren. „Kunst, die sich gegen den Staat richtete, verlor plötzlich ihren Gegenpart“, beschreibt Rinck. Sie mussten gewissermaßen ihren Lebenssinn neu finden, außerhalb des geschlossenen Raumes. Auch an der HGB veränderte sich das Klima. „Studierende waren in der DDR nicht damit beschäftigt, später auf dem Markt zu existieren, da es den Markt so nicht gab“, erzählt Blume. „Es ging eher darum, eine Kunst zu machen, die was bewirkt und die relevant ist.“ Diese äußerte sich auch in systemkritischen Fotografien oder abstrakten Malereien, Lichtshows und Performances. So wie die der Punkbands, die Eisler begleitete. Oder auf ganz leise Weise, wie Blume sagt: „Manche fanden ihren Widerstand auch darin, ganz stille Bilder zu malen.“
Titelfoto: Collage der Deutschen Nationalbibliothek, Fotografien (1983-1985): Christiane Eisler
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