Über Sprache und Realität
Die Diskussion um Sprache ist für Kolumnistin Nele keineswegs banal, sondern ein wichtiger Schritt zu einer gerechteren Welt.
„Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ oder abgewandelt als Frage: „Was darf man denn überhaupt noch sagen?“ Diese Sätze lese ich oft unter auf Facebook oder Instagram geposteten Artikeln verschiedenster Zeitungen. Auch in der Diskussionen mit Teilen meiner Familie oder meines Bekanntenkreises fällt dieser Satz manchmal.
Mir stößt an dieser Stelle das Modalverb sauer auf. Dürfen. Wir leben in einer Demokratie. Die Meinungsfreiheit ist im Grundgesetz verankert. Dürfen darf man in Deutschland fast alles. Vielmehr geht es doch hier um das Wollen. Warum will man andere Menschen beleidigen?
Sprache und Realität stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander. Sprache gibt Realität wieder und andersherum wird die eigene Lebenswelt durch Sprache geprägt. Nehmen wir zum Beispiel gendergerechte Sprache. Mein Umfeld und ich versuchen sowohl in der mündlichen als auch schriftlichen Kommunikation zu gendern. Natürlich vergessen auch wir manchmal das Sternchen, aber es ist ein Prozess. Ein Prozess, in dem wir Fehler machen werden. In dem wir uns dieser Fehler bewusst werden wollen und in dem wir jeden Tag daran arbeiten wollen, es besser zu machen. Dadurch, dass wir gendern, bilden wir Realität in unserer Sprache ab. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es eben nicht nur Mann und Frau gibt. In der Geschlecht nicht binär gedacht werden kann. In der erst recht nicht alle Menschen durch das generische Maskulinum angesprochen werden. Wir wollen nicht andere Gruppen der Gesellschaft nur mitdenken, wenn wir über sie reden
Wenn mein Gegenüber allerdings nicht gendert, dann zeigt sie*er mir dadurch ihre*seine Realität. Eine Realität, in der es entweder verschiedene Geschlechtsidentitäten nicht gibt oder eine, in der es meinem ihm*ihr egal ist, ob er*sie Menschen nicht so anspricht wie sie es möchten, auch auf die Gefahr hin, dass er*sie diese diskriminiert.
Ein anderes Beispiel für das Zusammenspiel von Sprache und Realität sind die Texte etlicher Deutschrap-Interpreten. Vor allem geht es mir hier um die Darstellung von Frauen. „Bring deine Alte mit, sie wird im Backstage zerfetzt. Ganz normal, danach landet dann das Sextape im Netz“ aus dem Song „Was hast du gedacht“ von Gzuz, der mittlerweile sogar auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien steht. Nicht jedoch wegen des Textes, sondern wegen des Musikvideos. Oder aus dem Song „Sex und Gewalt“ von Finch Asozial und MC Bomber: „Du bist ’ne Fotze, die nach zwei Bier schon auf der Theke tanzt. Also laber uns nicht voll mit deinem Mädelskram.“ In diesen Songs wird eine Realität dargestellt, in der Gewalt an Frauen normal ist. In der Sex etwas ist, was der Frau angetan wird und was nicht konsensual passieren muss. In der abwertende Wörter für das weibliche Geschlechtsorgan als Beleidigung benutzt werden. Was bedeutet das für Menschen, die eine Vagina haben, wenn es so viele negativ konnotierte Begriffe für einen Teil ihres Körpers gibt und viele aber gleichzeitig kichern müssen, wenn sie das Wort Scheide oder Vagina nur hören? Es wird ebenfalls ein bestimmtes Bild von Frauen übermittelt.
Der Interpret zeigt mir hier nicht nur seine Realität, sondern prägt zudem auch die Realität seiner Zuhörer*innen. Ich glaube nicht, dass es spurlos an jemandem vorbeigeht, wenn sie*er 24/7 Songs hört, in denen Frauen sexualisiert, objektifiziert und immer nur in der Beziehung zu einem Mann dargestellt werden. Ich denke, dass auch sie*er Teile des Songs zur Konstruktion ihrer*seiner Realität hinzuziehen wird.
Natürlich kann man hier argumentieren, dass die*der reflektierte*r Hörer*in durchaus versteht, dass vieles was in diesen Songs gesagt wird, so nicht geht. Aber auch hier stellt sich mir die Frage: Warum will man dann solche Songs hören?
Sprache ist ein mächtiges Mittel um unsere Realität zu beschreiben. Unsere Sprache hat so viel Einfluss auf uns und andere. Ich bin froh, dass die Diskussion immer mehr in die Öffentlichkeit gerückt wird. Auch ich frage mich am Tag immer und immer wieder: Will ich das so sagen? Oder wie in diesem Artikel: Will ich das so schreiben?
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