Ein wenig Magie und zu wenig Logik
„Der Geheime Garten“ hat es verspätet in die deutschen Kinos geschafft und wartet mit einem beeindruckenden Cast auf. Für Fantasyliebhaber*innen ein Augenschmaus, für Literaturfans wohl zu lückenhaft.
Zuallererst: Wer diesen Film aufgrund einer seit Jahren schwelenden Colin-Firth-Obsession sehen will, sollte dieses Vorhaben überdenken. Es ist nicht 1995, er sieht nicht aus wie Mr. Darcy, und sein Charakter hat leider auch rein gar nichts zu tun mit dem charmanten Schriftsteller aus „Tatsächlich… Liebe“. Bis auf die fehlenden sozialen Kompetenzen, aber die ziehen sich ja irgendwie durch viele von Colin Firths Rollen.
Die Geschichte von „Der Geheime Garten“ basiert auf einem Klassiker der britischen Kinderliteratur aus dem Jahr 1911 – geschrieben von Frances Hodgson Burnett –, der viele Male verfilmt wurde, als Spielfilm zuletzt vor fast 30 Jahren. Wäre die aktuelle Verfilmung von Regisseur Marc Munden und Drehbuchautor Jack Thorne („Marie Curie“, 2019) ein wenig eher zustande gekommen, hätte das den Produktionsfirmen STXfilms und Studiocanal viel Sorge erspart: Der ursprüngliche Kinostart lag mit Anfang April mitten in der ersten globalen Covid-19-Welle. Zuerst wurde der Kinostart deshalb auf August verschoben, später erneut auf Oktober. In den USA ist der Film nur als Video-on-Demand erschienen.
„Der Geheime Garten“ handelt vom Mädchen Mary (Dixie Egerickx), das nach dem Tod ihrer Eltern vom kolonialisierten Indien nach Yorkshire, England zu ihrem Onkel geschickt wird. Dessen Residenz spiegelt seinen Gemütszustand wider: ein heruntergewirtschaftetes Anwesen mitten in der trostlosen Moorlandschaft Nordenglands. Lord Archibald (Colin Firth) hat an seiner kleinen Nichte genauso wenig Interesse wie daran, sein langsam verfallendes Anwesen herzurichten.
Als Mary sich auf die Suche nach dem Ursprung der nachts durch das Haus hallenden Schreie macht, lernt sie ihren gleichaltrigen Cousin kennen. Colin (Edan Hayhurst) hat sein bisheriges Leben im Bett verbracht, da ihm stets eingeredet wurde, er könne aufgrund seines angeborenen buckligen Rückens nicht laufen. Was ihm eigentlich fehlt, sind Spielkamerad*innen und väterliche Liebe. Mary will das Leid ihres Cousins nicht länger ansehen und entführt ihn kurzerhand per Rollstuhl in einen verwilderten Garten, den sie beim Spielen auf dem Anwesen des Onkels entdeckt hat. Colin, Mary, der im Garten umherstreunende Hund und Dickon, der kleine Bruder von Marys Dienstmädchen, freunden sich miteinander an und verbringen fortan viel Zeit im geheimen Garten.
Dixie Egerickx alias Mary zieht mit ihrer quicklebendigen Art alle Aufmerksamkeit auf sich. Das eigenwillige, etwas hochmütige Kind verwandelt sich im Laufe des Films in ein immer noch eigenwilliges, aber sehr liebenswertes und empathisches Persönchen. Die schauspielerische Vielfalt der Jungdarstellerin ist beeindruckend und trägt maßgeblich zum Unterhaltungswert des Films bei. Das visuelle Highlight des Films ist zugleich der bei den Romanfans umstrittenste Part: Der Garten wird mit vielen Visual Effects zu einem magischen Ort, an dem Pflanzen innerhalb von Sekunden in die Höhe wachsen und CGI-Vögel Mary den Weg weisen. Das erinnert an „Snow White and the Huntsman“ oder „Alice im Wunderland“ und ist geschickt umgesetzt, wird Romanliebhaber*innen aber vielleicht aufstoßen, da der Garten im Original nichts buchstäblich Magisches an sich hat – die Freundschaft der Kinder ist das magische Element, das Colins Lebensfreude aufblühen lässt.
So schwebt über der aktuellen Filmadaption die Frage, was die Magie-Elemente des Films bezwecken sollen. Dazu kommt, dass der Film keinen einzigen Konflikt zwischen den Charakteren so ausreichend thematisiert, dass sie gelöst werden. Die problematische Beziehung zwischen Lord Archibald und seinem Sohn wird nur oberflächlich erkundet. Deshalb berührt es auch wenig, als der Vater seinen Sohn im Garten das erste Mal laufen sieht und ein paar Tränen verdrückt. Ebenso rätselhaft sind die ständigen Flashbacks in eine Zeit, in der Marys und Colins Mütter noch lebten und im Garten picknickten. Dass sie jetzt tot sind und alle traurig darüber sind, ist schon zu Anfang des Films klar.
Zu der Tatsache, dass Colin Firth in „Der Geheime Garten“ einen verbitterten, langweiligen Witwer spielt, kommt hinzu, dass er seine wenige Bildschirmpräsenz nicht nutzt. Er kann einem mit seinen dicken Tränensäcken und dem fahlen Teint zwar leidtun, aber das wars irgendwie auch – die Emotionen, die ein Mann mittleren Alters hat, der um seine bei der Geburt des Kindes verstorbene Frau trauert, kommen nicht wirklich im Kinosaal an.
Bessere Gründe, diesen Film sehen zu wollen (neben dem ehrbaren Argument, die von Corona gebeutelte Kinobranche retten zu wollen), sind das beeindruckende CGI, die wundervolle Filmmusik und die unglaublich talentierte, 14-jährige Schauspielerin Dixie Egerickx. Und: Es gibt einen niedlichen Streunerhund, dessen Herumtollen durch den geheimen Garten sich viel stärker in die Filmerinnerung einprägt als Colin Firths hölzerne Performance.
Wer keinen großen Wert auf Roman-Originaltreue legt, über ungelöste Konflikte hinwegsehen kann und einen wenig berauschenden Colin Firth aushält, der kann sich in „Der Geheime Garten“ an der wunderschönen Filmmusik und den Fantasy-Elementen erfreuen.
In den Kinos ab 15. Oktober
Fotos: Copyright 2020 Studiocanal S.A.S
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