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  • „Protest- und Aktionsformen sind kreativer geworden“

    Das Thema-Ressort der Oktoberausgabe dreht sich um Gründe und Geschichte des Demonstrierens. luhze hat mit dem Protestforscher Alexander Leistner über die Entwicklung von Protestformen gesprochen.

    Protestforschung geht vor allem der Frage nach, warum Menschen demonstrieren. Das tut auch Alexander Leistner, der unter anderem Soziologie in Dresden studierte und 2014 an der Universität Leipzig promovierte. Dort ist er als Projektleiter tätig und forscht zu Rechtsextremismus, DDR und Protest. luhze-Redakteurin Sophie Goldau sprach mit ihm über den Stellenwert von Demonstrationen in der Gesellschaft.

    luhze: Warum demonstrieren Menschen?
    Leistner: Die Ursprungsannahme der frühen Protestforschung war, dass Unzufriedenheit oder eine schwierige soziale Lage reichen, damit Protestbewegungen entstehen, was aber in den seltensten Fällen so einfach eingetreten ist. Wenn sich aber genügend Men­schen dazu ent­scheiden, auf die Straße zu gehen und zu demonstrieren, wollen sie etwas verändern, verhindern, oder sich engagieren. 1989 ging es beispielsweise um die Veränderung der Gesellschaft und um Freiheit. Wobei manche damit eher Meinungs- und Pressefreiheit meinten, anderen war Reisefreiheit wichtig. Also die individuellen Beweggründe können sehr verschieden sein.

    Inwiefern haben sich Demos im Laufe der Zeit verändert?
    Im Kaiserreich und der Weimarer Republik waren Demonstrationen häufig sehr organisiert, wenig spontan. In der Arbei­terbewegung wurde beispiels­weise auf ein diszipliniertes Auf­treten geachtet.
    Gewandelt hat sich auch die Zusammensetzung. Es ist eine große Errungenschaft der bundesdeutschen Demokratie, dass es ein sehr lebendiges Protestgeschehen gibt. Dazu gehört auch, dass generationenübergreifend protestiert wird. Im Vergleich zu den 60er-Jahren sind die Demonstrationen in Deutschland heute viel friedlicher. Zudem sind Protest- und Aktionsformen kreativer geworden, Formen des zivilen Ungehorsams haben sich gut etabliert und finden relativ professionell und organisiert statt.

    Wie unterscheiden sich die Resonanzen zu verschieden­ar-tigen Demonstrationen, ins­be­sondere von Seiten der Politik?
    Das kann man gar nicht so pauschal sagen. Die erfolgreichste Protestbewegung der jüngeren Geschichte ist Pegida. Das erkennt man daran, wie viel Raum welche Themen bekommen haben und wie sich das Reden über diese verändert hat. Das steht im scharfen Kontrast zu den anfänglichen Debatten zur Fridays for Future-Bewegung. Da ging es lange Zeit erstmal nur um die Frage der Schulpflicht und nicht um die Anliegen der Kinder. Da merkt man schon, dass es ganz unter­schiedliche Resonanz­räume und -bereitschaften gibt, auf Themen einzugehen.

    Im Oktober jährt sich die Wiedervereinigung zum 30. Mal. Hätte es ohne die Demonstrationen der Friedlichen Revolution eine Wiedervereinigung gegeben?
    Auf keinen Fall. Aber sie waren natürlich nicht der alleinige Faktor.

    Hat sich die Friedliche Revolution in sich gewandelt?
    Ja, ganz stark. In der Forschung spricht man seit einiger Zeit von einer Wende in der Wende. Die Forderungen und Erwartungen wandelten sich, andere Bürger traten auf. Symbolhaft dafür ist der sehr bekannte Wandel des Rufes „Wir sind das Volk“ zu „Wir sind ein Volk“, der den Wunsch nach einer Wiedervereinigung ausdrückte. Gleichzeitig gab es aber auch eine zunehmende Präsenz von Rechtsextremen auf den Demonstrationen.

    Welche Rolle spielen Demonstrationen in einer Demokratie?
    Medien, Polizei und Politik haben Demonstrationen lange eher als Störfaktor des inneren Friedens einer Gesellschaft angesehen. Dabei waren sie oft der eigentliche Beweggrund für Modernisierungs- und Demokratisierungsprozesse. Demokratie ist ohne Konflikt nicht denkbar und Konflikte werden im Wesentlichen über Protestbewegungen ausgetragen. Dazu gehört auch, dass neue Themen überhaupt auf die Agenda kommen.

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