Unerwartete Freundlichkeit
Kolumnistin Sophie erzählt von ihrer Reise nach China und der unerwarteten Großzügigkeit mancher Menschen dort.
Mit 15 war ich drei Wochen in China. Das Ganze war ein Schüleraustausch mit unserer damaligen Partnerstadt Suzhou und der „No.16 Middle School“. Wir sind mit einer Gruppe von vielleicht zwanzig Leuten durch China gereist. Eine Woche hat jeder von uns einzeln in einer Gastfamilie verbracht. Neben der ersten, nicht sonderlich glorreichen Panikattacke meines Lebens, die unter anderem von Hundekadavern auf einem Markt ausgelöst wurde, ist meine Gastfamilie das, was mir von dem Trip am meisten in Erinnerung geblieben ist.
Man muss vielleicht noch dazu sagen, dass meine Familie eine Ausnahme war. Der Großteil meiner Mitschüler war in sehr reichen Familien untergebracht. Eine hatte extra für die deutsche Austauschschülerin ein Hotelzimmer gebucht, eine brachte meine Freundin bei der reichen Tante unter, wo sie dann mit ihrer Austauschschülerin wohnte. Viele wohnten in großen Hochhäusern und wurden morgens zur Schule gefahren. Einerseits lag diese Vorherrschaft von reichen Gastfamilien sicherlich an der geografischen Positionierung der „Suzhou No.16 Middle School“, da sie in einem verhältnismäßig reichen Viertel liegt. Andererseits aber auch daran, dass die Schule Angst vor einen Gesichtsverlust gegenüber der deutschen Austauschschule hatte. Denn arme Familien gab es. Zum Beispiel meine Gastfamilie.
Das Haus in einem der alten Viertel der Stadt, heute, zumindest meiner Recherche auf Google Maps nach, wahrscheinlich abgerissen. Die Mutter Krankenschwester im nahegelegenen Kinderkrankenhaus, der Vater Künstler. Außerdem hat die Großmutter im Haus gewohnt. Eine alte Chinesin, die zwar noch im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte war, dafür aber leider nur noch ihre beiden oberen Schneidezähne hatte, um sich auch wortwörtlich durchzubeißen. Das Haus bestand aus einem Innenhof, der zugleich Küche, Wohnzimmer und Esszimmer war. Überdacht mit Teilen des Daches, die in den Hof überstanden. Ging man aus dem Innenhof eine kleine Treppe hoch kam man in ein Obergeschoss bestehend aus zwei kleinen Zimmern und einem kleinen Bad, das ich ungern weiter beschreiben möchte.
Die erste Sache, die mich damals aufgrund ihrer Großzügigkeit erstaunt hat und die ich auch erst später komplett verstanden habe, war unsere Schlafsituation. Wie eben schon gesagt, gab es im Haus zwei kleine Schlafzimmer. Im einem habe ich geschlafen, im anderen, wie ich später erfahren habe, die Mutter, die Oma und meine Austauschschülerin, deren Namen ich tatsächlich, so komisch das jetzt klingt, nie herausgefunden habe. Der Vater ist abends zum Schlafen immer irgendwo anders hingefahren. Warum ich das erst später herausgefunden habe, ist ganz allein meiner Naivität zuzuschreiben. Ich dachte, dass sich hinter der Tür am Ende des Flurs noch mehr Zimmer befinden würden. Der Flur war aber einfach kurz.
Ein anders Beispiel ist unsere Ernährung. Jeden Abend hat die gesamte Familie zusammen auf bunten Kindestühlen an einem Plastiktisch gesessen und gegessen. Die ersten Tage lang was ich mir unter asiatischer Küche vorgestellt habe, also gerne auch mal frittierte Schweineohren. Ich war nie ein besonders großer Fan dieses Essens und habe mich zwar zusammengerissen, aber man hat mir meine Abneigung wahrscheinlich trotzdem irgendwie angemerkt. Wahrscheinlich einfach daran, dass ich wenig gegessen habe. Dann gab es einmal Dumplings. Dumplings sind, einfach gesagt, Teigtaschen mit Füllung. An was hat das den von meiner Mutter geerbten schwäbischen Teil meiner Seele erinnert? Genau. Maultaschen.
Was das bedeutete? Die restlichen fünf Tage gab es nur noch Dumplings.
Ich könnte noch viel mehr Beispiele aufzählen, aber das würde hier sicherlich den Rahmen sprengen. Während dieser einen Woche, die ich bei meiner Gastfamilie verbracht habe, habe ich, komplett unabhängig von Sympathien und Kommunikationsschwierigkeiten, eine warmherzige Freundlichkeit erfahren, die mich heute noch erstaunt. Sie hatten wenig, aber haben trotzdem versucht, mir meinen Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, auch wenn sie dadurch auf vieles verzichten mussten.
Die Moral von der Geschicht‘? Es ist bewundernswert, wie großzügig Menschen sein können, obwohl sie selbst nicht viel besitzen.
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