Protest gegen Jörg Baberowski
Im Paulinum hielt der Historiker aus Berlin einen Vortrag zu Gewaltmechanismen. Der Stura der Universität hatte seine Ausladung gefordert.
Die Türen des Paulinums der Universität Leipzig waren am Donnerstagabend geschlossen und die Mitarbeiter*innen des Sicherheitsdienstes der Hochschule zeigten sich außergewöhnlich sensibel denen gegenüber, die sich ihnen näherten. Hinter den Türen fand das Paulinerforum 2020 statt, laut Selbstbeschreibung eine „Diskursplattform“ für „aktuelle Debatten um Religion, Kultur und Politik“, dass damit „Orientierungshilfe in den immer unübersichtlicher werdenden gesellschaftspolitischen Themenfeldern“ sein will. Veranstaltet wurde das Forum von der Theologischen Fakultät der Universität und der Stiftung Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig; die Evangelische Verlagsanstalt war Mitorganisatorin. Debattieren sollten Podiumsgäste und Publikum ursprünglich über die Frage: „Warum gibt es keinen Frieden?“.
Den größten Streitpunkt lieferte jedoch bereits vorher die Personalie des eingeladenen Redners: Jörg Baberowski. Der Studierendenrat (Stura) der Universität Leipzig hatte die Hochschule aufgefordert, den Professor für die Geschichte Osteuropas an der Humboldt Universität Berlin wieder auszuladen. „Für Rechtsradikale ist an unserer Hochschule kein Platz!“, heißt es in einer Pressemitteilung von Montag. Darin führen die Stura-Referenten für Hochschulpolitik weiter aus, Baberowski gelte als Anhänger der Totalitarismustheorie, welche die Studierendenvertretung wegen der Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen kritisierte. Zudem sehe man die Äußerungen des Professors von 2015 zur Geflüchtetenpolitik kritisch. In einem Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Baberowski die Aufnahme Geflüchteter als Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland bewertet.
Aus Sicht der Universität gebe es keinen Anlass zur Ausladung des Wissenschaftlers, selbst wenn man seine Meinungsäußerungen aus der Vergangenheit ablehnte, erklärte der Pressesprecher der Hochschule, Carsten Heckmann. Baberowski sei als „anerkannter Fachmann“ für „Mechanismen, von denen Durchsetzung, Etablierung und Aufrechterhaltung von Macht begleitet werden“, eingeladen worden. Für sein Buch „Verbrannte Erde. Stalins Herrschaft der Gewalt“ hatte der Wissenschaftler 2012 den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Sachbuch/Essayistik gewonnen. An Baberowskis Vortrag anschließende Erwiderungen Rochus Leonhardts von der Theologischen Fakultät und Horst Gorskis von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sollen insgesamt für eine kontroverse Debatte sorgen, sagte Heckmann. Ob dies geglückt ist, lässt sich erst beurteilen, wenn der Videomitschnitt der Veranstaltung auf der Homepage des Paulinerforums verfügbar ist – laut einer Ankündigung dort zu Beginn nächster Woche. Das Publikum war nämlich aufgrund der gestiegenen Zahlen an Covid-19-Infektionen im Stadtgebiet kurzfristig ausgeladen worden, nachdem die Veranstaltung zuvor schon einmal verschoben worden war. Für luhze standen keine Presseplätze zur Verfügung. Laut Leipziger Volkszeitung, von der ein Reporter vor Ort sein durfte, ging Baberowskis Vortrag der Frage nach, warum Menschen nicht von der Gewalt lassen könnten. Grund seien die von Macht durchzogenen sozialen Verhältnisse. „Gewalt tritt auf den Plan, wo Macht in Gefahr ist“, habe er Hannah Arendt zitiert. Somit enthielten alle Machtbeziehungen den Gedanken an die Wiederkehr der Gewalt.
Anstoß für die Stellungnahme des Stura, die Ausladung Baberowskis und die Distanzierung der Rektorin Beate Schücking von seiner Person zu fordern, war ein Plenumsantrag der trotzkistischen Hochschulgruppe International Youth and Students for Social Equality (IYSSE). Im November 2019 hatte der Stura der IYSSE wiederholt den Status als Stura-Arbeitsgruppe verweigert. Das Verhältnis des Stura zur IYSSE sei unverändert, sagt Paul Reinhardt, Referent für Hochschulpolitik, und verweist auf den offenen Brief der Stura-Referent*innen von 2017. Dieser kritisiert verschwörungstheoretische und strukturell antisemitische Tendenzen in Äußerungen der IYSSE.
Das Verhältnis der Gruppierung zu Baberowski ist seit Jahren angespannt. Anfang des Jahres soll es schließlich zu Handgreiflichkeiten des Professors gegenüber einem Mitglied der Berliner IYSSE gekommen sein, wie ein Youtube-Video der Gruppe nahelegt. Bei der Veranstaltung am Donnerstag gab es keine Zwischenfälle. Mitglieder der IYSSE, die erschienen waren, um an der Debatte teilzunehmen, wurde aufgrund der Pandemieregelungen der Zutritt verweigert. Die Veranstalter bedauerten im Absageschreiben die Verhinderung der Publikumsbeteiligung durch das neue Format des Videomitschnitts, erachteten eine erneute Terminverschiebung aber als nicht sinnvoll.
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