Ein Film zum Schweigen
In „Girls/Museum“ interpretieren junge Frauen und Mädchen berühmte Kunstwerke. Dabei erfährt man mehr über die Erzählerinnen als man zuerst glauben mag.
Bekannt für ihre Filme, Videos und Fotografien, reicht die amerikanische Künstlerin Shelly Silver regelmäßig ihre Dokumentationen beim Dok-Festival in Leipzig ein. Auch in diesem Jahr bietet Silver eine Weltpremiere mit ihrem Film „Girls/Museum“. Darin präsentiert die Künstlerin das Museum der bildenden Künste in Leipzig, dessen ausgestellte Werke von Mädchen im Alter von sieben bis 19 Jahren untersucht werden. Die spontanen Interpretationen entfalten sich zu Lebensgeschichten der Betrachterinnen. Kindliche Naivität und durchdachte Meinungen treffen aufeinander und formen neue Perspektiven auf die Kunst.
Die erste Vorstellung des Films fand in der Osthalle des Leipziger Hauptbahnhofs statt. Aufgestellte Stühle, die mithilfe von Wänden vom Rest der Halle abgegrenzt waren, standen im Zentrum des Foyers. Der Hall des Bahnhofs und die vorbeieilenden Passanten, die womöglich in jeder anderen Vorführung störend gewesen wären, erzeugten hierbei die Atmosphäre eines Museumsbesuchs. Es erweckte das Gefühl, man wäre selbst beim Dreh anwesend gewesen.
Während einige Mädchen mit ihrer kindlichen Zunge die Zuschauer zum Schmunzeln brachten, wirkten andere Erlebnisse eher erschreckend. So erzählt eine junge Frau von ihrer Kindheit und inwiefern ihr das weibliche Geschlecht zum Verhängnis wurde. Dass so junge Frauen in den Bildern ihre eigene Gefangenheit oder ihre Wünsche der Sorglosigkeit erkennen, vertieft mit jeder Minute den Charakter jeder einzelnen Erzählerin. Man erfährt über ihre Ängste und Träume. Es entstehen mehr als nur Schnappschüsse großer Meisterwerke, denn mit ihnen bilden sich Momentaufnahmen einer jungen Generation und man lernt sie kurz, aber intensiv kennen.
Der Film beeindruckt vor allem mit wundervollen Nahaufnahmen der Gemälde, denen man im Museum selbst nicht so nahtreten darf. Doch mit der Schönheit der Bilder vereint sich die Schönheit der Worte Fremder. Diese Dokumentation ermöglicht die Wahrnehmung von Ansichten, die bei einem normalen Museumsbesuch nicht beachtet worden wären. Damit lässt er für einen Augenblick die eigenen Gedanken zur Kunst im Hintergrund und ergründet die Impulsivität von jungen Menschen.
Die Eigenart einer Dokumentation ist in den meisten Fällen, dass man Informationen zu Fakten und Weltanschauungen erhält, die nicht viel Platz für Interpretationen lassen. Doch Silver schenkt mit diesem Film nicht nur ein Gros an Auffassungen, sondern zugleich eine innere Diskussion, die man mit sich selbst zu führen hat. Widerspruch, Zustimmung und Fragen an die jungen Frauen bleiben im Kopf hängen. Die Möglichkeit, mit ihnen zu sprechen, existiert nicht. 74 Minuten, in denen ich mich darin geübt habe, anderen Meinungen zu lauschen, ohne meine eigenen dazuzugeben. Besonders beeindruckend empfand ich die Natürlichkeit, denn jede Sekunde war Ursprung des Zufalls – keine Vorgaben und kein Skript. „Girls/Museum“ ist für mich ein Film zum Staunen, zum Denken und zum Schweigen geworden, denn er löst in mir das Gefühl, ich würde Geheimnisse mit diesen Mädchen teilen, die ich höchstwahrscheinlich niemals persönlich kennen werde und von denen ich nun so viel verstehe.
Weitere Vorstellungen finden am Samstag 20 Uhr und Sonntag 15 Uhr im Cinestar Leipzig statt.
Titelfoto: DOK Leipzig 2020 / Girls/Museum
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