Durch dick und dünn
Kolumnistin Rebecka berichtet von einem Umzug ohne Auto und von der Beziehung, die sie deswegen zu einer Sackkarre aufgebaut hat.
Vor zwei Wochen bin ich mit Sack, aber ohne Pack, nach Leipzig gezogen. Schnell wurde mir klar: Ich muss nicht nur eine Menge Möbel finden, sondern auch eine Transportmöglichkeit, denn ich habe keinen Führerschein. Glücklicherweise erzählte mir mein Nachbar am ersten Tag von einer Sackkarre in unserem Keller und ich wusste, dass sie und ich einige Transport-Abenteuer in den nächsten Tagen erleben würden.
Ein paar Tage später, an einem kalten und diesigen Samstagmorgen, saß ich mit freudiger Erwartung im kuscheligen Bus, die Sackkarre neben mir und jede Menge Spanngurte im Gepäck. Ich machte mich auf, eine Kommode abzuholen. Eine halbe Stunde später war mein neues Schmuckstück fest auf meiner Karre verstaut. Obwohl eines der Räder unter dem Gewicht nicht mehr gut rollte und der Pflastersteinuntergrund lange keine Wasserwage mehr gesehen hatte, kamen wir heil an der Haltestelle an. Große Nervosität ergriff mich, als der Bus seine Türen wie einen Schlund öffnete und ich die 20 Kilogramm mit meinem Fuß unten anheben, über die Schwelle drücken und in den Bus schieben musste. Meine Sackkarre, meine Kommode und ich wurden in das gemütliche Innere der Linie 60 geschluckt und machten uns durch den Nebel auf den Rückweg.
Kurz danach ein weiterer Möbelsucherfolg, diesmal waren es ein Lattenrost und eine Matratze. Ich war ein bisschen frustriert, als ich merkte, dass sich beides in der Nähe wie die Kommode befand, und ich mit einem Auto wahrscheinlich alles auf einmal abholen und mir so zwei Wege hätte sparen können. Die Frustration wuchs, als ich das Monster von Lattenrost vor mir sah. Niemals würde das zusammen mit der Matratze auf meine Sackkarre passen! Hatte ich nun schon am ersten Tag ihre Grenzen erreicht? Es blieb mir nichts anderes übrig, ich musste sie hier parken, um später die Matratze abzuholen. Immerhin half mir der nette Kleinanzeigen-Verkäufer, den Lattenrost zur Haltestelle zu tragen. Dann verabschiedete er sich allerdings und ich musste das Monstrum alleine in den Bus hieven. Da kam meine Linie schon! Der Bus zischte, mein Herz wummerte, ich sammelte all meine Kräfte und hob das Holz an. Nach einem kurzen Kraftakt verschwand es im Bus und ich auch. Das Ausladen erwies sich dank helfender Hände als ein kleineres Problem. Jetzt schnell wieder zurück und meine Matratze abholen! Wieder angekommen, lag die Matratze schon gerollt und verschnürt im Flur. Während ich die Spanngurte anlegte, konnte ich mit meiner neuen Schlafunterlage auf Tuchfühlung gehen und sie fest umarmen. Die Umarmung gab mir Kraft für die dritte Tour an diesem Tag.
Ein paar Tage später aktivierte ich die Sackkarre ein weiteres Mal, um einen Teppich abzuholen – schon wieder in derselben Ecke der Stadt. Das Schieben zur Haltestelle lief fast wie von alleine, schließlich kannte ich mein Gefährt mittlerweile in ziemlich vielen Facetten. Zusammen beobachteten wir, wie der Bus mit einem Ruck zum Stehen kam, anfing zu zischen, sich zur Seite neigte, uns liebevoll in Empfang nahm, fürsorglich hinter uns die Tür schloss und sich in Bewegung setzte, woraufhin wir beide wie gewohnt ein wenig aus dem Takt kamen. Aber wir konnten uns schnell fangen und das Ausladen verlief so unkompliziert, man hätte fast übermütig werden können.
Und das wurde ich auch, einen Tag später, an dem ich dann die Grenzen meiner liebgewonnenen Sackkarre erfahren sollte. Mit zwei Mitbewohnern holte ich zu Fuß ein Schlafsofa ab. Matratze und Gestell ließen sich voneinander trennen, aber beides auf der Sackkarre zu verstauen, stellte sich als schwierig heraus: War das Gestell auf der Sackkarre verschnürt, dann war für die Matratze kein Platz mehr und umgekehrt. Also trugen wir beides mit unseren Händen und einer meiner Mitbewohner zog die Karre hinter sich her. Da war es also, das Limit der Sackkarre. Mit vor Enttäuschung hängenden Köpfen schafften wir es noch um die nächste Ecke, als plötzlich ein Autofahrer neben uns hielt und uns aufforderte, die Matratze in seinem Sportwagen zu transportieren. Nach anfänglichem Stolz unsererseits und seitens der Matratze schloss sich die Tür tatsächlich hinter ihr. Einen Moment später saß ich auf dem stark nach vorne geklappten Beifahrersitz. Innerhalb von zwei Minuten kam ich so an der Wohnung an, während die beiden anderen sich noch mit dem Gestell abmühten. Also luden wir schnell aus und machten uns auf den Rückweg.
Ich spürte leichte Enttäuschung darüber, dass meine liebgewonnene Sackkarre tatsächlich Grenzen hatte und dass Autofahren doch sehr nützlich schien. Richtiggehende Traurigkeit fing an, sich in mir breitzumachen, als wir mit dem Auto um eine Ecke bogen und die anderen beiden auf uns zulaufen sahen, ja sie flogen fast. Vor sich schoben sie die Sackkarre und auf ihr das Sofagestell. Der Anblick erfüllte mich mit Stolz auf meine zweirädrige Gefährtin (und auf meine Mitbewohner). Ich hoffe, sie wird es mir nicht übel nehmen, dass ich sie nicht in meinem neu eingerichteten Zimmer beherbergen, sondern sie wieder an ihren Kellerplatz zurückverfrachten werde.
Titelfoto: Pixabay
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