Gemeinsam die Nacht aus dem Takt gebracht
Die Klimabewegung sucht die Nähe zum Arbeitsstreik der Leipziger ÖPNV-Beschäftigten. Über den zaghaften Versuch einer Fusion.
„Don’t you know, they’re talking about a revolution“, singt Tracy Chapman aus dem Lautsprecher, als Petra Szilagyi-Palko sich für das Foto bereit macht. Sie winkt kurz ab und kramt noch schnell ihre Maske aus der Tasche. Szilagyi-Palko mag keine Frühschichten, es sei die Hölle gewesen, als sie noch welche fuhr. Jetzt ist vieles für sie besser geworden. Ihre Tochter ist alt genug, sodass die Busfahrerin nur noch Nachtschichten fahren kann. „Ich fühle mich pudelwohl“, sagt sie strahlend. Es ist vier Uhr morgens, sie steht im Sprühregen am Lindenauer Busbahnhof, neben einem Pavillon der Gewerkschaft Verdi. Ihr Nightliner müsste normalerweise noch bis fünf Uhr unterwegs sein, gesteuert von der munteren Frau mit dem kurzen blonden Haar. Aber Petra Szilagyi-Palko streikt. „Es geht nicht ums Geld“, erzählt sie. Es geht um sie selbst, und um alle anderen Fachkräfte im Fahrbetrieb, wie Busfahrer*innen und Straßenbahnfahrer*innen offiziell heißen. Ihre Arbeit gefährdet ihre Gesundheit, sagt Szilagyi-Palko. „Wir brauchen mehr freie Tage. Es werden immer mehr Passagiere, die Länge der Dienste steigt seit Jahren.“
Annäherung
Einige Meter weiter steht Johanna Schönborn. Die steigenden Passagierzahlen hält sie für überlebenswichtig, angesichts der drohenden Folgen der Klimakrise. Schönborn trägt zwei Paar Wollsocken in ihren Sneakers. Sie kämpfte sich an diesem Donnerstagmorgen aus dem Bett, organisierte den Kaffee und die revolutionsausrufende Musikanlage mit, um sich mit Menschen wie Szilagyi-Palko zu solidarisieren. Nun steht sie abseits des Gewerkschaftspavillons in einem Kreis anderer Klimaaktivist*innen der Gruppe Students For Future (SFF) Leipzig im regnerischen Dunkel. Zwischen ihr und Szilagyi-Palko liegen neben einigen Metern Abstand auch etwa 15 Jahre Altersunterschied. Sie verbindet der Wunsch nach einem öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), der Zukunft hat und für Passagier*innen sowie als Arbeitsplatz attraktiv ist. Szilagyi-Palko um ihrer Gesundheit, Schönborn um des Klimas willen. Doch die beiden Gruppen mischen sich wenig an diesem Morgen in Lindenau.
Seit knapp einem Jahr bemühen sich die Students for Future um eine Zusammenarbeit mit den Leipziger Verkehrsbetrieben (LVB). Als Startschuss gilt die Klimatram, die anlässlich der Klimastreikwoche vergangenen Jahres fuhr, erzählt Schönborn einige Tage später im Trockenen. Die LVB trugen die Kosten für die Klimatram im Nachhinein selbst, so sehr verstanden sie diese als gute Werbung für sich als Unternehmen. Nun hat sich das Verhältnis, wie Schönborn diplomatisch sagt, „neutralisiert“. Denn die Klimabewegung sucht jetzt die Nähe der Beschäftigten, der Arbeitsstreikenden. Der Kampf ums Klima ist für sie nämlich auch ein Kampf um bessere Arbeitsbedingungen in nachhaltiger Mobilität. Die Klimaaktivist*innen unterstützen die gewerkschaftlichen Ziele wie Gehaltserhöhung und Verkürzung der Wochenarbeitsstunden um eine Stunde. Aber sie wollen den Blick auch schärfen: dafür, wie dringend mehr Geld in den ÖPNV fließen muss. Für eine Verkehrswende, über die LVB hinaus. Doch dafür brauchen sie die Beschäftigten, um mit vereinten Kräften für einen ÖPNV-Gipfel zu kämpfen. „Klimathemen und die soziale Frage müssen gemeinsam bearbeitet werden“, sagt Schönborn. Stichwort Klimagerechtigkeit.
Ablehnung
Die soziale Frage ist im Falle der Klimaaktivist*innen auch eine Frage der Sozialkompetenz. Oft, erzählt Schönborn, wurde ihnen das Gespräch von Beschäftigtenseite verweigert, wurden sie als Schulschwänzer*innen bezeichnet. Vor einigen Monaten stand Schönborn mit anderen Aktivist*innen das erste Mal mit einem Infostand an der Angerbrücke, wo die Straßenbahnen sich nachts von ihren Fahrten ausruhen und morgens abgeholt werden. In Teams aus jeweils einer Person von SFF und Verdi gingen sie auf Beschäftigte zu. Für Schönborn war das ein eindrückliches Erlebnis, hier sei sie das erste Mal auf die Mehrheitsgesellschaft getroffen, erzählt sie. „Uns wurde oft ein ,Nein‘ entgegengerufen“, sagt sie. Johanna Schönborn erzählt ruhig und eindrücklich, auch davon, dass sich viele Kommunikationsschwierigkeiten am Politischen entzünden. „Man muss anerkennen, dass eben große Teile unserer Bewegung sich eine Transformation zum Sozialismus wünschen.“ Damit seien viele der Beschäftigten nicht einverstanden. Die Zusammenarbeit mit ihnen sei ein „zartes Pflänzchen“. Schönborn sieht in alledem ein Klassenproblem, und ein Ost-West-Thema, zudem den Altersunterschied. „Das sind zwei unterschiedliche Bubbles“, sagt sie.
Zurück am Lindenauer Busbahnhof. Einer der Aktivist*innen tanzt zur Musik, um sich warmzuhalten. „Ich halte nichts davon, dass man sich vom Kohlekraftwerk trennt“, sagt der Busfahrer Rudolf Koltin, der unweit von ihm im Nieselregen steht. Er ist seit Jahrzehnten Gewerkschaftsmitglied bei Verdi. Es geht ihm eigentlich nur darum, dass endlich die unteren Lohngruppen angehoben werden. Auch er gehört dazu. Koltin fährt Bus für Leobus, ein Tochterunternehmen der LVB. Wenn es nach ihm ginge, wären die Klimaaktivist*innen mitsamt mitgebrachtem Kaffee und Stereoanlage nicht hier. „Für mich sind das sinnlose Fanatiker“, sagt er über die Klimabewegung Fridays for Future. Am Rande des Geschehens lehnt sein Kollege Yakob Kacmaz an einem Parkplatzzaun. Ihm ist es egal, ob Schönborn und ihre Kolleg*innen hier sind oder nicht. „Ich stehe hier nur wegen des Geldes“, sagt auch er. Mehrfach schon wollte er die Stadt wechseln, überall werde er besser bezahlt als hier. Als er aufgefordert wird, eine Streikweste anzuziehen, damit das Firmenlogo der LVB auf seiner Jacke nicht mehr zu sehen ist, winkt er ab und zieht an seiner Zigarette. „Ich will ja auch nicht umziehen“, sagt der Busfahrer. „Aber mir bleibt wegen der Bezahlung eigentlich nichts anderes übrig.“
Zukunftswünsche
Zwei Wochen nach dem Streik sitzt Petra Szilagyi-Palko am frühen Nachmittag in einer Bäckerei am Lindenauer Markt und frühstückt eine Eierschecke. Ob ihr Job eine Rolle fürs Klima und die Verkehrswende spielt, hat sie sich vor der Streikpräsenz der Students For Future nie gefragt. „Das ist für mich natürlich eine Wertschätzung“, erzählt sie. „Warum sollten sie mit uns beim Streik stehen, wenn sie gegen uns sind?“ Sie folgt sogar jetzt irgendwelchen von ihnen auf Facebook, irgendetwas mit Hubraum. Dass das eine Gegenbewegung ist? „Ich hätte schwören können, dass ich denen auf Facebook folge“, sagt Szilagyi-Palko entschuldigend und lacht. Seit die Aktivist*innen mit ihnen streiken, sehe sie aber genauer hin, auf die Klimabewegung.
Szilagyi-Palko ist 48 Jahre alt, das entspricht exakt dem Altersdurchschnitt aller Fachkräfte im Fahrbetrieb der LVB. Sie will eigentlich nichts gegen ihren Betrieb sagen, die LVB waren ihr meist eine gute Arbeitgeberin. Doch die Menschen, die Schichten zuteilen, müssten besser zuhören, sagt die Busfahrerin. Oder selbst mal mitfahren. Im Pausenraum gibt es eine Pinnwand, erzählt Szilagyi-Palko, da hängen Todesanzeigen von verstorbenen Kolleg*innen, und manchmal kommt es ihr so vor, als würden es mehr. Der letzte Kollege war 55 Jahre alt, als er starb. Als Berufskrankheit von Fahrer*innen nennt sie als erstes die völlige Erschöpfung, der neumodische Begriff dafür: Burn-Out. Dann Rückenschmerzen, und man nehme natürlich auch alles mit, was die Fahrgäste so haben. „Man denkt, so einen Bus zu fahren, das kann doch nicht so schwer sein, aber wir haben immense Verantwortung“, fasst sie zusammen. Bei nächtlichen Fahrradfahrer*innen ohne Licht fragt sie sich manchmal, ob die ihren Organspendeausweis mithaben. „Auf Busse und Straßenbahnen wird so wenig geachtet“, klagt sie. Aber Petra Szilagyi-Palko will eigentlich nicht klagen. Sie ist stolz, Busfahrerin zu sein. Gelernt hat sie Mechanikerin, sie ist eine Maschinenperson, praktisch veranlagt. Und dennoch ist es der menschliche Kontakt, der sie antreibt. Deshalb fährt sie Bus, nicht Straßenbahn. Einmal hat ein Fahrgast ihr Blumen geschenkt, weil sie an einer Ampel kurz gewartet hat. Sie will ihren Job noch viele weitere Jahre machen können. Das wollen auch die Klimaaktivist*innen. Für sie sind Menschen wie Szilagyi-Palko die Zukunft – systemrelevant, auch weit über die Pandemie hinaus.
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