„Das Klima sollte ins Gebet“
Am 25. September beteiligte sich die Nikolaikirche am Klimastreik. Im Interview mit luhze sprachen Vikarin Susanne Linke und Churches For Future-Mitglied Helena Funk über Sinn und Verantwortung.
Die Nikolaikirche ist seit jeher bekannt für ihren gesellschaftlichen Einsatz. luhze-Redakteurin Sophie Berns hat mit Vikarin Susanne Linke und Helena Funk, Mitglied von Churches For Future (CFF), über die Kirche in der Klimakrise gesprochen.
luhze: Im Zuge des Klimastreiks am 25. September haben Sie die Wand der Nikolaikirche für Plakatierungen zur Verfügung gestellt. Dabei sind auch menschenverachtende Plakate mit Sprüchen wie „Komm, wir kriegen Kinder, um sie verhungern zu sehen“ aufgehängt worden. Haben Sie dieses Risiko einkalkuliert, als Sie die Aktion geplant haben?
Linke: Ich denke, das ist ein Risiko, mit dem immer gerechnet werden muss, wenn man Menschen die Möglichkeit gibt, sich spontan zu äußern. Hätte ich dieses Plakat gesehen, hätte ich es entfernt. Das, was auf den Plakaten geschrieben stand, sind nicht einzeln abgesegnete Kommentare dieser Kirche, sondern zuerst eine Plattform zum Sich-äußern-Können. Aber alles, was menschenverachtend ist oder in eine Richtung geht, die mit christlicher Nächstenliebe nicht gut zu vereinen ist, möchte ich ungern auf solchen Plakaten sehen.
Funk: Ich stehe zu diesem offenen Format, auch wenn mich Ergebnisse wie dieses irritieren. Da braucht es meiner Meinung nach aber keine Zensur, sondern eine gute Bearbeitung der Beiträge. Mal sehen, wie uns das künftig noch besser gelingt.
Die Nikolaikirche selbst ist kein offizieller Teil von CFF?
Linke: Nein, wir haben nur die Kirche und die Räume zur Verfügung gestellt.
Warum nicht?
Funk: Die Gruppe ist gerade noch dabei, sich zu gründen. Wenn der Prozess abgeschlossen ist, würden wir vielleicht auf die Nikolaikirche und andere Gemeinden zukommen und schauen, ob sie sich uns anschließen.
Linke: Ich persönlich finde es gut, wenn es eine Gruppe gibt, die sich das Thema konkret auf die Fahnen schreibt und man nicht ohne einen längeren Diskurs alle Gemeindemitglieder gleich mitverpflichtet. Es wäre mir zu viel, würden die Nikolaikirche und all ihre Mitglieder zu CFF gehören.
CFF hat es sich zur Hauptaufgabe gemacht, den Klimawandel zu bekämpfen. Der Bibel nach ist die Hauptaufgabe der Kirche aber, alle Menschen zu Christen zu machen. Wie vereinen Sie das miteinander?
Linke: Ich denke, dass es die Aufgabe der Kirche ist, Gottes Liebe in die Welt zu tragen. Das kann man so übersetzen, es gehört aber noch mehr dazu. Kirche hat verschiedene Facetten, und eine dieser Facetten ist die Nächstenliebe umzusetzen, auch im Streben nach Klimagerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung.
Funk: Jesus hatte keine Kirche vor Augen oder zum Ziel. Stattdessen predigte er Liebe, Frieden und Gerechtigkeit, daraus erwächst für mich quasi die Pflicht, sich für Klimagerechtigkeit einzusetzen.
Die katholische und evangelische Kirche positionieren sich unterstützend, was die Klimakrise und Fridays For Future (FFF) angeht. Warum kriegen die meisten Menschen davon nichts mit?
Funk: Ich war sehr überrascht, wie viele offene Türen wir mit unserer Aktion eingerannt haben und wie viele Leute sich dem Engagement der Kirche bewusst sind. Es gab eine sehr positive Resonanz. Wenn Sie sagen, dass viele davon noch nichts mitbekommen haben, spricht das für mich umso mehr dafür, dass es Gruppen braucht, die vor Ort auf das Thema aufmerksam machen.
Linke: Das Engagement in den einzelnen Kirchgemeinden ist unterschiedlich. Oft geht es zum Beispiel mehr darum, wie sie sich um eine nachhaltige Beschaffung von Materialien und die Umsetzung von Klimafreundlichkeit in den Gruppen und Kreisen der Gemeindemitglieder kümmern. So etwas dringt nicht so stark nach außen, treibt aber die Kirchgemeinden stark um. Die Evangelische Kirche Deutschlands und die sächsische Landeskirche haben sich klar für den Klimaschutz positioniert, aber man muss auch anderweitige Meinungen innerhalb der Kirche wahrnehmen und kann deshalb nicht ganz so laut auftreten wie eine spezifisch dafür gegründete Gruppe. Diese sind dafür aber umso wichtiger.
Gruppen wie CFF? Die außerhalb der Kirche stehen?
Funk: Ich glaube, es kommt darauf an, was für Sie Kirche ist. Ist Kirche nur das Gebäude oder die Institution oder auch die Menschen, die Kirche gestalten? CFF ist eine Gruppe, die zu den Basisbewegungen der Kirche gehört, ohne welche die Institution gar nichts wäre.
Linke: Kirche vereint unterschiedliche Player, wie Gruppen und Arbeitskreise, die in den Kirchen ein spezifisches Interesse vertreten. Ich habe CFF immer als Teil des kirchlichen Lebens verstanden. Es ist deren Aufgabe, da Lärm zu machen.
Welche Chancen bringt es mit sich, in den Kirchen über das Klima zu reden?
Funk: Ich sehe riesiges Potential, weil man andere Menschen anders erreicht. Die Kirche hat ein unglaublich großes weltweites Netzwerk, die weltweite Kirche, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt. Sie hat die Möglichkeit, Menschen über ihren Glauben anzusprechen und und mit Hoffnung und Verantwortung zu zeigen, was unsere globale Verantwortung als Christ*innen ist.
Linke: Für mich kommt noch hinzu, dass das gemeinsame Suchen nach Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung, das sind diese klassischen Formulierungen aus dem konziliaren Prozess (Aufruf des Ökumenischen Rats der Kirchen zur globalen Reformbewegung in die Zukunft 1983; Anm. d. Red.), auch Teil des christlichen Lebens sind. Eine kirchliche Besonderheit ist, dass das Thema in An-dachten und Gebeten seinen Widerhall findet. Für Christ*innen ist es wichtig, das Klima mit ins Gebet zu nehmen.
Was können Kirchen selbst gegen den Klimawandel tun, abgesehen von Aufklären?
Linke: Es gibt Richtlinien, die sich zum Beispiel auf Erhalt und Materialbeschaffung beziehen und ökologisch ausgerichtet sind. Wir haben in den Gebäuden oft Probleme, was das Heizen angeht und dafür überlegen die verschiedenen Kirchgemeinden, wie man besser dämmen kann oder nicht zu viel Energie verschwendet wird. Meines Wissens nach ist in der Evangelischen Landeskirche ein Klimaschutzkonzept in Arbeit.
Funk: Ich sehe insbesondere drei Bereiche: Mobilität, Beschaffung und Gebäude. Ich komme aus der Nordkirche (Evangelisch-Lutherische Kirche in Norddeutschland; Anm. d. Red.). Wir haben ein Klimaschutzgesetz und konkrete Klimaschutzpläne, sowie seit 2015 einen Plan zur Umsetzung der Ziele, etwa in welchen Bereichen CO2 eingespart wird, damit die CO2-Neutralität 2050 erreicht werden kann. Das wünsche ich mir auch für die Landeskirche Sachsen.
FFF demonstriert, um auf den menschengemachten Klimawandel aufmerksam zu machen und stellt klare Anforderungen an die Politik, damit wir Menschen ihn aufhalten können. Besteht hier nicht die Gefahr, dass das Projekt „Wir halten den Klimawandel auf“ hochstilisiert wird zu einer Art Selbsterlösung als ein Ersatz für die Erlösungsbedürftigkeit des einzelnen Menschen?
Linke: Nein. Ich glaube, dass der „Ich muss erst dies und das tun und dann kriege ich mich schon selber rausgekauft“-Gedanke eine grundsätzliche Gefahr des Menschen ist. Ich glaube aber, dass sowohl bei jeglichem Klimaengagement der Kirche, als auch bei CFF im Speziellen und sogar bei FFF eigentlich erst etwas anderes im Vordergrund steht. Bei FFF ist es die Liebe zur Umwelt und bei uns die zur Schöpfung. Aus diesem Gedanken heraus erwächst das Handeln. Nicht weil der erste Gedanke ist, dass man mit möglichst reinem Gewand hier rauskommen möchte. Für mich als Theologin ist es immer wichtig zu betonen, dass das Handeln als Zweites kommt und die Erlösung, also Gottes Gnade, als Erstes. Man vertraut auf Gottes Gnade und gewinnt daraus die Kraft zu handeln.
Funk: Die enorme Komplexität der Klimafrage macht Selbsterlösung für mich obsolet. Für mich stehen der Einsatz für Verantwortung, die wir haben für globale, soziale und generationsübergreifende Gerechtigkeit und den Frieden miteinander, hinter meinem Engagement. Meine Motivation und das, was mir Kraft gibt, ist der christliche Glaube, aus dem das Streben nach Gerechtigkeit erwächst.
Vor 30 Jahren ging von den Friedensgebeten der Nikolaikirche die Friedliche Revolution aus. Sehen Sie einen Unterschied zwischen der wertverknüpften Positionierung der Kirche damals und Ihrer Partizipation heute?
Linke: Damals ging es klar um das Ausleben von Nächstenliebe und die Anerkennung, dass jeder Mensch wertvoll ist. Die Kirche war damals einer der wenigen Orte, wo man seine Meinung überhaupt sagen durfte.
Funk: Ich fand es sehr cool, dass die Nikolaikirche unsere Aktion unterstützt hat und grade durch die Plakate gibt es Parallelen zur Friedlichen Revolution. Das spricht dafür, dass Kirche politisch sein kann. Nicht parteipolitisch, aber sie spiegelt gesellschaftspolitische Fragen wider und sucht nach ethischen Antworten. Bei den Montagsgebeten haben sich viele Menschen nicht der Kirche direkt zugehörig oder als Christ*innen gefühlt. Ich glaube, mit unserer Plakataktion war das sehr ähnlich. Die Kirche hat mit der Aktion ausgestrahlt.
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