Mit dem Patriarchat in jedem Raum
Kolumnistin Sophie besucht ein Seminar, in dem es um die Frage der post-feministischen Gesellschaft geht. Doch auch dort treten patriarchalische Verhaltensweisen auf.
Ich belege dieses Semester ein Seminar zum Post-Feminismus. Kürzlich haben wir einen Text von Angela McRobbie über den gegenwärtigen Zustand des Feminismus und seiner Verhandlung in der Populärkultur besprochen. Nachdem die Diskussion etwas stockte, kam es dazu, dass eine Zeit lang nur noch zwei männliche Teilnehmer miteinander redeten, sich dabei aufeinander bezogen, unmittelbar auf den Beitrag des anderen eingingen, bis der – männliche – Dozent sie unterbrach und darauf hinwies, dass die beiden und auch er gerade eine Unausgeglichenheit im Seminar geschaffen hatten, in der kein*e andere*r Teilnehmer*in mehr zu Wort kam. Oder besser gesagt: keine Teilnehmerin.
Daraufhin meldeten sich mehrere sich als Frauen identifizierende oder nicht binäre Personen zu Wort, dass auch ihnen dieses Ungleichgewicht aufgefallen sei und sie sich deswegen zurückgezogen hätten. Eine Teilnehmerin meinte, dass sie wütend sei und wegen ihrer Wut nichts mehr sagen wolle.
Wir sind in diesem Seminar etwa 25 Menschen – vornehmlich Menschen, die ich als Frauen lesen würde. Es gibt etwa fünf oder sechs Menschen, die ich als cis Männer lesen würde, sie sind also deutlich in der Unterzahl. Wie kann es also sein, dass in einer Situation, die eine Mehrheit der Teilnehmer*innen als dominant und buchstäblich herrisch geprägt wahrnimmt, keine andere Person etwas sagt? Warum hat keine Frau oder nicht binäre Person versucht, sich in das Gespräch einzubringen? Warum war es unsere kollektive Reaktion, sich zurückzuziehen? Spoiler: Ich habe auf keine der Fragen eine zufriedenstellende Antwort.
Auch mir kam die Situation reichlich absurd und ironisch vor: Drei Männer diskutieren, ob das Ende des Feminismus erreicht ist und alle anwesenden Frauen und nicht binären Personen schweigen. Ich habe aber auch nichts dagegen gemacht, wobei ich dafür in dem Moment eher andere Gründe sah. Ich hatte den Text nicht vollständig gelesen, zudem fällt es mir im digitalen Format und großen Gruppen nicht leicht, mich aktiv an Diskussionen zu beteiligen. Trotzdem hätte ich anmerken können, dass ich die Situation unangebracht finde. Dass ich mich tatsächlich unterdrückt gefühlt habe, glaube ich nicht. Deshalb konnte ich die Aussage der Teilnehmerin, sie sei wütend, nicht komplett nachvollziehen. Ich war nicht wütend auf die männlichen Teilnehmer, die zu viel Raum für sich eingenommen haben, das ist vielleicht das Traurigste daran. Ganz sicher schwingt hier auch etwas Resignation mit, denn es war ja nicht das erste Mal, dass ich das im Seminarkontext erlebt habe. Es verwirrte mich eher, dass niemand der Teilnehmer*innen etwas dagegen getan hatte. Ist es, weil Menschen je nach ihrem zugewiesenen Geschlecht immer noch unterschiedlich sozialisiert werden? Weil geschlechtstypische Erziehung für Mädchen nach wie vor oft Unterordnung und Stillsein beinhaltet und für Jungs Macht und Durchsetzung? Ist das zu einfach gedacht? Cis Männer kommen mir oft selbstbewusster und absoluter vor, in allem was sie sagen, selbst wenn es die Diskussion nicht bereichert. Sie sind präsenter, es kostet sie nicht so viel Überwindung, sich zu Wort zu melden. In meiner Wahrnehmung halten sich viele Frauen und nicht Binäre dagegen eher klein.
Universitäre Seminare sind kein luftleerer Raum, auch nicht die, in denen wir über Gleichberechtigung und Diversität reden. Auch hier greifen gesellschaftliche Machtgefälle und Mechanismen. Die zwei cis Männer, die im Feminismus-Seminar unbewusst die Diskussion an sich reißen, sind im Vergleich zu rassistischen Diskriminierungen dabei vermutlich noch ein kleineres Übel. Aber übel ist es trotzdem, weil diese Machtgefälle dadurch reproduziert werden.
Umso besser, wenn es wie in meinem Seminar kritisch angemerkt und auch vom Professor reflektiert wird. Denn so einfach es in der Theorie klingt, den Raum, der einem zusteht, einzufordern, wenn andere ihn einnehmen, so schwer ist es auch in der Realität.
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