„Menschen wollen sich gehört und verstanden fühlen”
„Nightline“ ist ein Zuhörtelefon von Studierenden für Studierende, das es in vielen Universitätsstädten in ganz Europa gibt. Eine Leipziger Mitarbeiterin hat mit luhze über ihr Ehrenamt gesprochen.
Seit sieben Jahren gibt es die Nightline bereits. Die Studierenden sind von Montag bis Freitag durchgehend von 21 bis 0 Uhr nachts für euch per Telefon erreichbar, freitags auch zur gleichen Zeit per Chat. Im Interview hat Emma mit luhze-Redakteurin Nele Sikau über ihre Arbeit bei der Nightline, wie die Pandemie ihre Tätigkeit verändert hat und was sie von ihrem Ehrenamt für den Alltag mitnimmt, gesprochen. Emma heißt eigentlich anders, möchte aufgrund ihrer Arbeit aber anonym bleiben.
luhze: Was hat dich dazu bewegt, bei Nightline mitzumachen?
Emma: Ich bin über eines der berühmten Klo-Plakate in der Uni Toilette auf die Nightline aufmerksam geworden und fand das Projekt hörte sich sehr spannend an. Ich studiere Psychologie und hatte zu Beginn meines Studiums auch noch vor, später mal in den klinischen Bereich zu gehen, also zum Beispiel Therapeutin zu werden, was ich aber mittlerweile verworfen habe. Mich hat es angesprochen, etwas in diese Richtung als Ehrenamt zu machen.
Wie läuft eine typische Schicht bei Nightline ab?
Meistens machen wir zu zweit Schicht in unserem Büro, damit wir jemanden haben, mit dem wir reden können, falls uns ein Gespräch irgendwie belastet hat. Aber auch damit man jemanden zum Quatschen hat, wenn mal niemand anruft. Es ist sehr unterschiedlich wie viele Anrufer*innen wir pro Nacht haben, im Durchschnitt ist es etwa eine Person. In manchen Nächten rufen aber auch mehr Menschen an oder es meldet sich niemand bei uns.
Was sind typische Anliegen, mit denen sich Menschen an euch wenden?
Ganz typisch sind auf jeden Fall Themen wie Liebes- oder Freundschaftskummer. Beim Liebeskummer geht es oft ums Zurückgewiesen-Werden oder Einsamkeit. Unistress oder Prüfungsängste sind auch oft dabei. Es wenden sich aber auch Menschen mit psychischen Problemen oder psychischen Krankheiten an uns. Wir haben für alles ein offenes Ohr. Man kann auch anrufen, wenn man sich gerade einfach einsam fühlt oder über den Tag sprechen muss. Es muss nicht Großes sein.
Wie sieht die Ausbildung bei der Nightline aus?
Die Schulung dauert meistens ein Wochenende, an dem sich die Teilnehmer*innen vor allem mit verschiedenen Gesprächstechniken beschäftigen. Da arbeiten wir auch viel mit Rollenspielen. Die Nightline bietet eine Art Pat*innen Programm an. Dabei unterstützen wir, die schon länger dabei sind, Neue bei den ersten Schichten. In der Übung bleibt man dann dadurch, dass man Schichten übernimmt. Offiziell ausgebildet als Berater*innen wie Mitarbeiter*innen bei der Telefonseelsorge sind wir aber natürlich nicht. Vielmehr sind wir Studierende, die in die Rolle von Freund*innen treten.
Was sollten Zuhörer*innen zur Nightline mitbringen?
Bei Nightline machen Studierende aller Fachrichtungen mit, man muss also nicht unbedingt Psychologie studieren und muss auch keine Vorerfahrungen mitbringen. Zuhörer*innen sollte auf jeden Fall empathisch sein. Es ist wichtig, sensibel dafür zu sein, wenn Menschen um den heißen Brei herumreden. Ganz wichtig ist auch, Menschen nicht zu verurteilen, sie so zu nehmen wie sie sind und die Menschen nicht verändern zu wollen. Es geht darum, für den Menschen da zu sein. Damit kommt auch für einen selbst die Gelassenheit, das nicht für alles eine Lösung gefunden werden muss, denn es geht mehr um das Zuhören und die Unterstützung des*der Anrufer*in. Die meisten Menschen wollen sich gehört und verstanden fühlen.
Warum ist die Anonymität der Zuhörer*innen bei der Nightline so wichtig?
Ich denke, das hat zweierlei Gründe. Primär geht es um den Schutz der Zuhörer*innen, falls es zu missbräuchlichen Anrufen kommt, also zum Beispiel zum Beispiel zu Grenzüberschreitungen. Zum anderen vermuten wir auch, dass die Anrufer*innen Hemmungen hätten, sich bei uns zu melden, wenn sie wüssten, dass eine ihnen bekannte Person bei der Nightline aktiv ist.
Was sind solche Grenzüberschreitungen? Wie gehst du damit um?
Ich mache die*den Anrufer*in darauf aufmerksam und verweise auf die Regeln der Nightline. Eine Regel ist beispielsweise, dass wir nicht über uns selber sprechen. Wenn die* der Anrufer*in sich nicht nach diesen Regel richten möchte, dann muss man das Gespräch beenden. In solchen Momenten muss man sich dann einfach durchsetzen können, denn auch die Gefühle der zuhörenden Person sind wichtig. Regelüberschreitungen kommen aber sehr selten vor.
Wissen deinen Freund*innen über deine Tätigkeit bei der Nightline Bescheid?
Bei mir wissen nur meine Mitbewohner, mein Partner und meine beste Freundin, dass ich Teil von Nightline bin. Auch damit sie sich nicht fragen, wo ich bin und warum ich nachts nicht nach Hause komme.
Was tust du, wenn das Problem eines*einer Anrufer*in deine Kompetenzen überschreitet?
Wenn beispielsweise jemand mit einer Depression bei uns anruft, die*der auch akut in dem Moment darunter leidet, dann überschreitet das natürlich unsere Kompetenzen. Wir können die*den Anrufer*in nicht im Gespräch heilen, was auch nicht unsere Aufgabe ist. Wir versuchen der Person dann erstmal Unterstützung zu bieten, ihr zuzuhören. So kann sie sich zunächst aussprechen und dann leiten wir sie an die passenden Stellen weiter.
Wie hat die Pandemie die Arbeit bei Nightline allgemein verändert?
Zu Beginn des Sommersemesters, als die Maßnahmen am strengsten waren, konnten wir leider keinen regulären Dienst anbieten. Wir hatten aufgrund des Lockdowns keinen Zugang zu unserem Büro und eine Umleitung der Anrufe auf unsere privaten Handys war aus logistischen Gründen nicht möglich. Das ist natürlich sehr schade, weil vor allem da vielleicht mehr Menschen hätten anrufen wollen. Erst Mitte des Sommersemester konnten wir unsere Dienste wieder anbieten, aber nur drei statt fünf Tage die Woche. Dieses Semester sind wir wieder wie gewohnt zu erreichen.
Zum Glück sind wir auch diesmal während des zweiten Lockdowns normal erreichbar, nur in der Zeit über Weihnachten bis zum 1. Dezember machen wir eine kleine Weihnachtspause.
Würdest du sagen, dass seit Beginn der Corona Pandemie mehr Menschen anrufen? Und haben sich die Anliegen der Anrufenden verändert?
Offizielle Zahlen habe ich dazu nicht. Ich hatte aber in meinen Schichten den Eindruck, dass die Anzahl der Anrufe etwas gestiegen ist und dass das Thema Corona in den Gesprächen präsenter war. Es ging häufiger um Zukunftsängste oder Einsamkeit.
Kannst du nach der Arbeit gut abschalten oder beschäftigen dich die Telefonate auch danach noch?
Ja, ich kann eigentlich immer sehr gut abschalten. Dafür hat man ja auch die andere Person, die mit einem Schicht macht. Mit der kann man über Dinge sprechen, die einen eventuell noch beschäftigen.
Hast du aus deiner Tätigkeit bei Nightline etwas für deinen Alltag gelernt?
Vor allem die bei der Schulung erlernten Gesprächstechniken haben mir, da man sich vorher normalerweise noch nicht mit so etwas befasst. Durch die Tätigkeit bei Nightline gewinnt man auch die Fähigkeit im Alltag zum Beispiel besser mit den Problemen von Freund*innen umzugehen. Viele Menschen versuchen ihren Freund*innen immer gleich konstruktive Lösungsvorschläge zu geben. Häufig ist das aber nicht das, was die*der Freund*in möchte, sie*er will sich häufig einfach nur aussprechen. Jemanden haben, der*die zuhört und sie*ihn versteht. Möchte die Person von mir wissen, was ich an ihrer Stelle tun würde oder möchte sich einfach nur Unterstützung? Diese Unterschiede nehme ich stärker wahr.
Hochschuljournalismus wie dieser ist teuer. Dementsprechend schwierig ist es, eine unabhängige, ehrenamtlich betriebene Zeitung am Leben zu halten. Wir brauchen also eure Unterstützung: Schon für den Preis eines veganen Gerichts in der Mensa könnt ihr unabhängigen, jungen Journalismus für Studierende, Hochschulangehörige und alle anderen Leipziger*innen auf Steady unterstützen. Wir freuen uns über jeden Euro, der dazu beiträgt, luhze erscheinen zu lassen.